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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal.

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und erhält so zugleich eine Mahnung zur Aufmerksamkeit und eine Erleichterung
in der Erfüllung seiner Pflicht. Ohne Zweifel beruht diese durch langjähriges
Herkommen befestigte Sitte auf Erfahrungen an zügellosen Verhandlungen.

Daß im alten Parlamentshanse der Raum für Zuhörer sehr beschränkt war,
ertrug das Publikum ohne Murren, denn die Öffentlichkeit der Verhandlungen
war dadurch nicht beeinträchtigt, weil die Reporter der Zeitungen jeder Farbe
reichlich und gewissenhaft darüber berichteten. Auch ist ja die Zahl derer, welche
den Verhandlungen beiwohnen können im Vergleich mit dem ganzen Volke so
gering, daß für die wenigen keine übermäßigen Anstalten geboten sind. Die Ver¬
handlungen sind kein Schauspiel für Müßiggnuger der Hauptstadt. Das alles gab
den Verhandlungen in der glänzenden Zeit von Lord Chatham, Pitt, Fox und
Burke einen einfachen, objektiven Charakter; die Mitglieder unter einander achteten
sich als Gentlemen und der Ton, in welchem sie sprachen, ist noch immer gentle-
menlike.

Bei den Franzosen hat das ganze Verfahren seit der ersten Revolution eine
andre Gestalt. Am besten mag es noch gewesen sein unter Ludwig dem Achtzehnter.
Seitdem ist es ihrem Volkstum gemäß theatralischer geworden, und wir haben ihnen
viel nachgemacht: einen halben Zirkus für die Abgeordneten, eine Art Thron oder
einen breiten, erhöhten Platz für das Präsidium, darunter die Rednerbühne, Mi¬
nistertisch, Stenographentisch, Platz für den Protokollführer, unter der Decke Ga¬
lerien für die Zuhörer und Logen für privilegirte Personen. Die Frankfurter
Nationalversammlung, verführt durch deu zur Versammlung gewählten Raum, hat
dazu das Beispiel gegeben und leider Nachfolge gefunden.

Wir Deutschen könnten füglich solche anspruchsvolle Anstalten entbehren; größere
Einfachheit würde uns besser anstehen und dem Ganzen mehr innere Würde ver¬
leihen. Der Halbkreis, den die Abgeordneten füllen, begünstigt unsre Erbsünde,
die Zersplitterung in Parteien infolge von Priuzipieureiterei, die Rednerbühne ist
ganz geeignet, Redner zu verführen, daß sie den glücklich eroberten Platz länger
als nötig behaupten, lange Einleitungen, oder Abschweifungen vom Gegenstande
machen, rednerische Kunstwerke zum besten geben, ja mitunter selbst sprechen, als
hätten sie weniger die Abgeordneten als die Zuhörer auf der Galerie oder gar
eine Volksversammlung vor sich.


Sxondeus.


Literatur.
Das englische Verwaltungsrecht der Gegenwart in Vergleichung mit den
deutschen Verwaltungssystemen. Von Rudolf Gneist. Dritte, nach deutscher Syste¬
matik umgestaltete Auflage. 2. Band. Besondrer Teil. Berlin, Julius Springer, 1884. 1144 S.

Dem im vorigen Jahre in diesen Blättern besprochenen ersten Teile, welcher
die allgemeinen Lehren des Verwaltungsrechts behandelte, ist jetzt der zweite Teil
gefolgt, der die Einzelgebiete des Verwaltungsrechts umfaßt. Die hohe Meinung,
die Wir für alle Werke des berühmten Verfassers und insbesondre für den ersten


Literatur.

und erhält so zugleich eine Mahnung zur Aufmerksamkeit und eine Erleichterung
in der Erfüllung seiner Pflicht. Ohne Zweifel beruht diese durch langjähriges
Herkommen befestigte Sitte auf Erfahrungen an zügellosen Verhandlungen.

Daß im alten Parlamentshanse der Raum für Zuhörer sehr beschränkt war,
ertrug das Publikum ohne Murren, denn die Öffentlichkeit der Verhandlungen
war dadurch nicht beeinträchtigt, weil die Reporter der Zeitungen jeder Farbe
reichlich und gewissenhaft darüber berichteten. Auch ist ja die Zahl derer, welche
den Verhandlungen beiwohnen können im Vergleich mit dem ganzen Volke so
gering, daß für die wenigen keine übermäßigen Anstalten geboten sind. Die Ver¬
handlungen sind kein Schauspiel für Müßiggnuger der Hauptstadt. Das alles gab
den Verhandlungen in der glänzenden Zeit von Lord Chatham, Pitt, Fox und
Burke einen einfachen, objektiven Charakter; die Mitglieder unter einander achteten
sich als Gentlemen und der Ton, in welchem sie sprachen, ist noch immer gentle-
menlike.

Bei den Franzosen hat das ganze Verfahren seit der ersten Revolution eine
andre Gestalt. Am besten mag es noch gewesen sein unter Ludwig dem Achtzehnter.
Seitdem ist es ihrem Volkstum gemäß theatralischer geworden, und wir haben ihnen
viel nachgemacht: einen halben Zirkus für die Abgeordneten, eine Art Thron oder
einen breiten, erhöhten Platz für das Präsidium, darunter die Rednerbühne, Mi¬
nistertisch, Stenographentisch, Platz für den Protokollführer, unter der Decke Ga¬
lerien für die Zuhörer und Logen für privilegirte Personen. Die Frankfurter
Nationalversammlung, verführt durch deu zur Versammlung gewählten Raum, hat
dazu das Beispiel gegeben und leider Nachfolge gefunden.

Wir Deutschen könnten füglich solche anspruchsvolle Anstalten entbehren; größere
Einfachheit würde uns besser anstehen und dem Ganzen mehr innere Würde ver¬
leihen. Der Halbkreis, den die Abgeordneten füllen, begünstigt unsre Erbsünde,
die Zersplitterung in Parteien infolge von Priuzipieureiterei, die Rednerbühne ist
ganz geeignet, Redner zu verführen, daß sie den glücklich eroberten Platz länger
als nötig behaupten, lange Einleitungen, oder Abschweifungen vom Gegenstande
machen, rednerische Kunstwerke zum besten geben, ja mitunter selbst sprechen, als
hätten sie weniger die Abgeordneten als die Zuhörer auf der Galerie oder gar
eine Volksversammlung vor sich.


Sxondeus.


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Das englische Verwaltungsrecht der Gegenwart in Vergleichung mit den
deutschen Verwaltungssystemen. Von Rudolf Gneist. Dritte, nach deutscher Syste¬
matik umgestaltete Auflage. 2. Band. Besondrer Teil. Berlin, Julius Springer, 1884. 1144 S.

Dem im vorigen Jahre in diesen Blättern besprochenen ersten Teile, welcher
die allgemeinen Lehren des Verwaltungsrechts behandelte, ist jetzt der zweite Teil
gefolgt, der die Einzelgebiete des Verwaltungsrechts umfaßt. Die hohe Meinung,
die Wir für alle Werke des berühmten Verfassers und insbesondre für den ersten


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156270/205>, abgerufen am 21.06.2024.