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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal.

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Das neue Aktiengosetz.

Objektivität zu wahren, pries man mit Herrn Delbrück im Chor die juristische
Konstruktion des Entwurfs und erklärte im übrigen die Vortage als ein wirt¬
schaftlich völlig unbrauchbares Machwerk. Gleichzeitig erinnerte man sich in der
Presse, daß bereits früher der Reichskanzler mit einigen Handelskammern in
Widerspruch geraten war -- er hatte einseitigen und tendenziös gefärbten Be¬
richten entgegenzuwirken gesucht --, und so fanden Delbrück und Genossen überall
einen reichen Wiederhall. Der Höhepunkt der Exposition dieses Dramas wurde
im Deutschen Handelstag erreicht, wo in den ersten Tagen des April dem Mi߬
trauen ein feierlicher Ausdruck gegeben wurde. Nur den kühlen und verständig
nüchternen Worten des Ministers von Bötticher ist es zu danken, daß der Pro¬
test des Hcindelstagcs einen etwas schwächern Ausdruck erhielt.

Unter diesen Auspizien begann die parlamentarische Beratung, und die erste
Lesung des Entwurfs im Reichstage spiegelte den Charakter der so bearbeiteten
öffentlichen Meinung wieder. Es ertönte soviel Lob über den juristischen In¬
halt des Entwurfs, daß der Staatssekretär des Reichsjustizamtes treffend be¬
merkte, er wünschte, daß die Vorlage mehr gebilligt als gelobt werde. Gebilligt
wurde sie nur von konservativer Seite, alle andern Redner waren der Meinung,
daß dieses kostbare Werk höchstens als schätzbares Material für eine künftige
Reform des Aktienrechts zu verwenden sein werde. Man wählte eine Kom¬
mission unter der stillschweigenden Voraussetzung, daß damit der Entwurf für
jetzt und alle Zeiten begraben sei. Die Kommission trat daher auch in den vier
ersten Wochen garnicht zusammen, und als endlich gegen Ende April der Zu¬
sammentritt erfolgte, zeigte sich von seiten der Freisinnigen lind Nationallibe¬
ralen eine völlige Abneigung. Es bedürfte aller Energie der Regierungsvertreter,
um nnr eine Geneigtheit zu einer Beratung wachzurufen, und es gelang all¬
mählich, das Zentrum mit den Vertretern der konservativen Fraktionen zu ver¬
binden lind zu gewinnen. Schon nach der ersten Lesung brachten die noch zu
erörternden Konzessionen die Nativnallibemlen auf die Seite der Regierung;
sie haben dadurch eine Thorheit vermieden, in die sie beim Unfallversicherungs¬
gesetz geraten waren. Auch ohne ihr Zuthun hätten die Fraktionen der ver¬
einigten Konservativen und das Zentrum den Entwurf durchbringen können, und
die Nationalliberalen wären einfach beiseite gedrängt worden. Sie zogen es
aber vor, sich hier einen Einfluß zu sichern. Ganz ablehnend war zunächst die
deutsch-freisinnige Fraktion, die das Hauptrüstzeug ihrer Anträge dem Arsenal
des Reichsgcrichtsrats Wiener entnahm, bei dem sie sich Rat geholt hatte. Aber
nach der zweiten Lesung in der Kommission wurde auch dieser Opposition gegen¬
über das Eis gebrochen, namentlich fanden sich Mitglieder der frühern sezessio-
nistischen Partei bereit, mit Ernst und Eifer an dem Reformwerke mitzuarbeiten,
und das überraschende Resultat war, daß die Vorlage -- was seit Jahren nicht
vorgekommen war -- einstimmig von der Kommission angenommen wurde, daß
letztere ohne Unterschied der Parteien von der Provinzialkorrespondenz ihr reich-


Das neue Aktiengosetz.

Objektivität zu wahren, pries man mit Herrn Delbrück im Chor die juristische
Konstruktion des Entwurfs und erklärte im übrigen die Vortage als ein wirt¬
schaftlich völlig unbrauchbares Machwerk. Gleichzeitig erinnerte man sich in der
Presse, daß bereits früher der Reichskanzler mit einigen Handelskammern in
Widerspruch geraten war — er hatte einseitigen und tendenziös gefärbten Be¬
richten entgegenzuwirken gesucht —, und so fanden Delbrück und Genossen überall
einen reichen Wiederhall. Der Höhepunkt der Exposition dieses Dramas wurde
im Deutschen Handelstag erreicht, wo in den ersten Tagen des April dem Mi߬
trauen ein feierlicher Ausdruck gegeben wurde. Nur den kühlen und verständig
nüchternen Worten des Ministers von Bötticher ist es zu danken, daß der Pro¬
test des Hcindelstagcs einen etwas schwächern Ausdruck erhielt.

Unter diesen Auspizien begann die parlamentarische Beratung, und die erste
Lesung des Entwurfs im Reichstage spiegelte den Charakter der so bearbeiteten
öffentlichen Meinung wieder. Es ertönte soviel Lob über den juristischen In¬
halt des Entwurfs, daß der Staatssekretär des Reichsjustizamtes treffend be¬
merkte, er wünschte, daß die Vorlage mehr gebilligt als gelobt werde. Gebilligt
wurde sie nur von konservativer Seite, alle andern Redner waren der Meinung,
daß dieses kostbare Werk höchstens als schätzbares Material für eine künftige
Reform des Aktienrechts zu verwenden sein werde. Man wählte eine Kom¬
mission unter der stillschweigenden Voraussetzung, daß damit der Entwurf für
jetzt und alle Zeiten begraben sei. Die Kommission trat daher auch in den vier
ersten Wochen garnicht zusammen, und als endlich gegen Ende April der Zu¬
sammentritt erfolgte, zeigte sich von seiten der Freisinnigen lind Nationallibe¬
ralen eine völlige Abneigung. Es bedürfte aller Energie der Regierungsvertreter,
um nnr eine Geneigtheit zu einer Beratung wachzurufen, und es gelang all¬
mählich, das Zentrum mit den Vertretern der konservativen Fraktionen zu ver¬
binden lind zu gewinnen. Schon nach der ersten Lesung brachten die noch zu
erörternden Konzessionen die Nativnallibemlen auf die Seite der Regierung;
sie haben dadurch eine Thorheit vermieden, in die sie beim Unfallversicherungs¬
gesetz geraten waren. Auch ohne ihr Zuthun hätten die Fraktionen der ver¬
einigten Konservativen und das Zentrum den Entwurf durchbringen können, und
die Nationalliberalen wären einfach beiseite gedrängt worden. Sie zogen es
aber vor, sich hier einen Einfluß zu sichern. Ganz ablehnend war zunächst die
deutsch-freisinnige Fraktion, die das Hauptrüstzeug ihrer Anträge dem Arsenal
des Reichsgcrichtsrats Wiener entnahm, bei dem sie sich Rat geholt hatte. Aber
nach der zweiten Lesung in der Kommission wurde auch dieser Opposition gegen¬
über das Eis gebrochen, namentlich fanden sich Mitglieder der frühern sezessio-
nistischen Partei bereit, mit Ernst und Eifer an dem Reformwerke mitzuarbeiten,
und das überraschende Resultat war, daß die Vorlage — was seit Jahren nicht
vorgekommen war — einstimmig von der Kommission angenommen wurde, daß
letztere ohne Unterschied der Parteien von der Provinzialkorrespondenz ihr reich-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156270/115>, abgerufen am 21.06.2024.