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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal.

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Der neue Merlin.

und wagte doch nicht, ihre Hand zu berühren. Sie verhehlte nicht, daß sie
völlig hoffnungslos in die Zukunft gesehen und nun plötzlich einen rosigen,
lockenden Schimmer erblickt habe, wo nur Nacht und grauer Nebel gewesen
sei. Noch sei es ein schwacher Schimmer, aber für ihn sei sie dankbar! Ich
konnte und durfte sie so nicht weiter sprechen lassen, mit leidenschaftlichen, heißen
Worten mußte ich ihr sagen, daß ich außer meiner Jugend und einem, so Gott
wolle, starken Willen nichts in der Welt mein nenne, aber daß ich mich ihrem
Dienste weihen würde und zu jedem Wagnis bereit sei. Meine Blicke verrieten
Gabriella uur zu gut, was keines meiner unzusammenhängend hervorstürzenden
Worte zu gestehen wagte. Sie entzog mir ihre Hände nicht, die ich leiden¬
schaftlich gefaßt hatte und mit glühenden Küssen bedeckte, aber sie schüttelte
liebevoll lächelnd den Kopf und sagte dann mit der Stimme, die ich immer
klingen höre, immer und immer: Ich muß mehr fordern, Felice! Gewalt und
jugendlicher Mut können mir nicht helfen, auch die Reinheit und der Edelsinn
nicht, die aus Ihren Blicken so unwiderstehlich und rührend zu mir gesprochen
haben! Sie müssen mehr für mich thun, müssen um meinetwillen Ihre Jugend
in der Einsamkeit verbringen, müssen den Mut haben, meiner zu harren, am
besten auf diesem Eiland, in der tiefsten Verborgenheit! Wenn ich mich und
die mir lieb sind nicht allen Wechselfällen des Lebens preisgeben will, so
muß ich noch ein oder zwei Jahre in Venedig bleiben, ein oder zwei Jahre
lang darf keiner meiner habgierigen Verwandten ahnen, daß ich ein neues Glück
gesucht habe!

Ich verstand ihre Worte immer noch nicht ganz, aber eine berauschende
Verheißung klang mir aus denselben entgegen, und ich rief ihr zu: Ich bin dein
zu allem, was du begehrst und was dir frommt, Gabriella! Sie schlang wei¬
nend ihre Arme um mich und gelobte ihrer Schutzheiligen, die mich zu ihr ge¬
sandt habe, tausend Dinge, und nannte mich mit süßen Namen, die ich nie zuvor
gehört. Erst nach einer Stunde voll weltvergessener Seligkeit, in der ihr Blick
wieder und wieder auf mir ruhte, als sei ich ihr geschenkt worden, faßten wir
uns zu einem ruhigern Gespräch, und ich vernahm ihren Entschluß. Gabriella
wollte unverzüglich mein Weib werden, Bartolomeo war um ihretwillen bereit,
eine geheime Trauung im Doni zu wagen und im schlimmen Falle den schweren
Tadel des Patriarchen auf sich zu nehmen. Ich sollte für sie, aber unter meinem
Namen, ein Grundstück erwerben, das herrenlos war, und mich daselbst nieder¬
lassen. Sie kennen den Garten, das Haus und die Vignen, Signor Federigo!
Sie hatten einem alten Signor Bernardo gehört, der sich hierher zurückgezogen
und beides der Gemeinde von Toreello vererbt hatte. Von ihr kaufte ich dann
in den nächsten Tagen das gesamte Grundstück und bezog es, und heimliche
Barken kamen und gingen, um immer noch die Einrichtung zu verschönern, die
mir für mich selbst längst zu reich schien, aber freilich für meine holdselige
Herrin nicht reich und schön genug sein konnte, wenn sie auch nur Stunden in
jenem Hause zu weilen vermochte.


Der neue Merlin.

und wagte doch nicht, ihre Hand zu berühren. Sie verhehlte nicht, daß sie
völlig hoffnungslos in die Zukunft gesehen und nun plötzlich einen rosigen,
lockenden Schimmer erblickt habe, wo nur Nacht und grauer Nebel gewesen
sei. Noch sei es ein schwacher Schimmer, aber für ihn sei sie dankbar! Ich
konnte und durfte sie so nicht weiter sprechen lassen, mit leidenschaftlichen, heißen
Worten mußte ich ihr sagen, daß ich außer meiner Jugend und einem, so Gott
wolle, starken Willen nichts in der Welt mein nenne, aber daß ich mich ihrem
Dienste weihen würde und zu jedem Wagnis bereit sei. Meine Blicke verrieten
Gabriella uur zu gut, was keines meiner unzusammenhängend hervorstürzenden
Worte zu gestehen wagte. Sie entzog mir ihre Hände nicht, die ich leiden¬
schaftlich gefaßt hatte und mit glühenden Küssen bedeckte, aber sie schüttelte
liebevoll lächelnd den Kopf und sagte dann mit der Stimme, die ich immer
klingen höre, immer und immer: Ich muß mehr fordern, Felice! Gewalt und
jugendlicher Mut können mir nicht helfen, auch die Reinheit und der Edelsinn
nicht, die aus Ihren Blicken so unwiderstehlich und rührend zu mir gesprochen
haben! Sie müssen mehr für mich thun, müssen um meinetwillen Ihre Jugend
in der Einsamkeit verbringen, müssen den Mut haben, meiner zu harren, am
besten auf diesem Eiland, in der tiefsten Verborgenheit! Wenn ich mich und
die mir lieb sind nicht allen Wechselfällen des Lebens preisgeben will, so
muß ich noch ein oder zwei Jahre in Venedig bleiben, ein oder zwei Jahre
lang darf keiner meiner habgierigen Verwandten ahnen, daß ich ein neues Glück
gesucht habe!

Ich verstand ihre Worte immer noch nicht ganz, aber eine berauschende
Verheißung klang mir aus denselben entgegen, und ich rief ihr zu: Ich bin dein
zu allem, was du begehrst und was dir frommt, Gabriella! Sie schlang wei¬
nend ihre Arme um mich und gelobte ihrer Schutzheiligen, die mich zu ihr ge¬
sandt habe, tausend Dinge, und nannte mich mit süßen Namen, die ich nie zuvor
gehört. Erst nach einer Stunde voll weltvergessener Seligkeit, in der ihr Blick
wieder und wieder auf mir ruhte, als sei ich ihr geschenkt worden, faßten wir
uns zu einem ruhigern Gespräch, und ich vernahm ihren Entschluß. Gabriella
wollte unverzüglich mein Weib werden, Bartolomeo war um ihretwillen bereit,
eine geheime Trauung im Doni zu wagen und im schlimmen Falle den schweren
Tadel des Patriarchen auf sich zu nehmen. Ich sollte für sie, aber unter meinem
Namen, ein Grundstück erwerben, das herrenlos war, und mich daselbst nieder¬
lassen. Sie kennen den Garten, das Haus und die Vignen, Signor Federigo!
Sie hatten einem alten Signor Bernardo gehört, der sich hierher zurückgezogen
und beides der Gemeinde von Toreello vererbt hatte. Von ihr kaufte ich dann
in den nächsten Tagen das gesamte Grundstück und bezog es, und heimliche
Barken kamen und gingen, um immer noch die Einrichtung zu verschönern, die
mir für mich selbst längst zu reich schien, aber freilich für meine holdselige
Herrin nicht reich und schön genug sein konnte, wenn sie auch nur Stunden in
jenem Hause zu weilen vermochte.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_154164/700>, abgerufen am 28.07.2024.