Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Neue Gedichte.

Verwandt in der Art der Formgebung, im Geiste freilich unendlich ver-
schieden von den Fischerschen, zeigen sich die Gedichte von I. Herzfcldcr,
die gleichfalls im Cottaschc" Vcrlcige erschienen sind und unsers Wissens einen
neuen Dichterittimen in die Literatur einführe". In reinen, runden Versen,
wie sie seit Platen und Geibel, wenn nicht Gesamteigentum unsrer Lyriker,
doch Eigentum vieler geworden sind, enthüllt sich hier ein Seelenleben, das
mminichfach verdüstert und gepreßt erscheint und sich nur im Liede erhebt. Ein
starker Tropfen des neuesten Pessimismus giebt dem poetische" Tranke, de"
Herzfeldcr bietet, einen bittern Beigeschmack:


Mir fehlt das tröstliche Vertraue",
Mir fehlt der Glauben um ein Glück.
Seh ich veraus, seh ich zurück,
Die Wolken hängen tief, die graue".
Ich flog der Sonne uach, den Freude",
Die Schwinge" hab ich nur verbrannt.
Ich habe Lust und Glück erkannt,
Nur um sie flüchtig zu vergeuden.
Die Zweifelsucht, die grimme Rüde,
Hat mich von Haus zu Haus gehetzt.
Ich rang uach Ruhe, und zuletzt
Wie ward ich müde, stcrbenSmüdc!

Natürlich bleibt es nicht bei Klängen dieser Art, aber sie hallen doch durch
die große Mehrzahl der Herzfclderschen Gedichte hindurch und tönen selbst in
den verhältnismäßig frischen Cyklen "Liebesleben" und "Wanderleben" nach.
Die meisten Gedichte zeichnen sich durch reines Gleichmaß des Ausdrucks und
warme Stimmung aus, obschon die letztere selten derart ist, daß man sie teilen
möchte. Das Bewußtsein seiner jüdischen Abstammung und der Dienst der
Themis scheinen Herzselder schwer aufzuliegen; in glücklicheren Tagen besaßen ein
Poetisches Talent, wie das, welches ihm unzweifelhaft innewohnt, und so fröh¬
liche cindrncksreiche Ferien, wie ihm gegönnt zu sein scheinen, die Kraft, einen
Mann über den Druck des Alltags zu erheben; heute drücken sie den Stachel
des Mißmuth und der grollenden Weltbetrachtung nur tiefer in die Seele. Aber
wie dem auch sei -- es ist keine lyrische Dutzenderscheinung, die uns aus diesen
"Gedichten" anspricht. Den Schluß des mäßigen Bandes bilden einige vor¬
treffliche Übertragungen aus dem Italienischen und Französischen, darunter ein
Gesang aus Giambattista Castis mit Unrecht vergessenem satirischen Epos "Die
sprechenden Tiere."

Unter den lyrischen Weihnachtsgaben finden sich auch die Gedichte von
Felix Dahn (zweite Sammlung) in dritter, die Gedichte von Konrad Fer¬
dinand Meyer in zweiter, die Lotosblätter, neue Gedichte von Adolf
Friedrich Grafen von Schack in zweiter Auflage. Da alle diese Samen-


Neue Gedichte.

Verwandt in der Art der Formgebung, im Geiste freilich unendlich ver-
schieden von den Fischerschen, zeigen sich die Gedichte von I. Herzfcldcr,
die gleichfalls im Cottaschc» Vcrlcige erschienen sind und unsers Wissens einen
neuen Dichterittimen in die Literatur einführe». In reinen, runden Versen,
wie sie seit Platen und Geibel, wenn nicht Gesamteigentum unsrer Lyriker,
doch Eigentum vieler geworden sind, enthüllt sich hier ein Seelenleben, das
mminichfach verdüstert und gepreßt erscheint und sich nur im Liede erhebt. Ein
starker Tropfen des neuesten Pessimismus giebt dem poetische» Tranke, de»
Herzfeldcr bietet, einen bittern Beigeschmack:


Mir fehlt das tröstliche Vertraue»,
Mir fehlt der Glauben um ein Glück.
Seh ich veraus, seh ich zurück,
Die Wolken hängen tief, die graue».
Ich flog der Sonne uach, den Freude»,
Die Schwinge» hab ich nur verbrannt.
Ich habe Lust und Glück erkannt,
Nur um sie flüchtig zu vergeuden.
Die Zweifelsucht, die grimme Rüde,
Hat mich von Haus zu Haus gehetzt.
Ich rang uach Ruhe, und zuletzt
Wie ward ich müde, stcrbenSmüdc!

Natürlich bleibt es nicht bei Klängen dieser Art, aber sie hallen doch durch
die große Mehrzahl der Herzfclderschen Gedichte hindurch und tönen selbst in
den verhältnismäßig frischen Cyklen „Liebesleben" und „Wanderleben" nach.
Die meisten Gedichte zeichnen sich durch reines Gleichmaß des Ausdrucks und
warme Stimmung aus, obschon die letztere selten derart ist, daß man sie teilen
möchte. Das Bewußtsein seiner jüdischen Abstammung und der Dienst der
Themis scheinen Herzselder schwer aufzuliegen; in glücklicheren Tagen besaßen ein
Poetisches Talent, wie das, welches ihm unzweifelhaft innewohnt, und so fröh¬
liche cindrncksreiche Ferien, wie ihm gegönnt zu sein scheinen, die Kraft, einen
Mann über den Druck des Alltags zu erheben; heute drücken sie den Stachel
des Mißmuth und der grollenden Weltbetrachtung nur tiefer in die Seele. Aber
wie dem auch sei — es ist keine lyrische Dutzenderscheinung, die uns aus diesen
„Gedichten" anspricht. Den Schluß des mäßigen Bandes bilden einige vor¬
treffliche Übertragungen aus dem Italienischen und Französischen, darunter ein
Gesang aus Giambattista Castis mit Unrecht vergessenem satirischen Epos „Die
sprechenden Tiere."

Unter den lyrischen Weihnachtsgaben finden sich auch die Gedichte von
Felix Dahn (zweite Sammlung) in dritter, die Gedichte von Konrad Fer¬
dinand Meyer in zweiter, die Lotosblätter, neue Gedichte von Adolf
Friedrich Grafen von Schack in zweiter Auflage. Da alle diese Samen-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0687" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/154852"/>
          <fw type="header" place="top"> Neue Gedichte.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_2049" next="#ID_2050"> Verwandt in der Art der Formgebung, im Geiste freilich unendlich ver-<lb/>
schieden von den Fischerschen, zeigen sich die Gedichte von I. Herzfcldcr,<lb/>
die gleichfalls im Cottaschc» Vcrlcige erschienen sind und unsers Wissens einen<lb/>
neuen Dichterittimen in die Literatur einführe». In reinen, runden Versen,<lb/>
wie sie seit Platen und Geibel, wenn nicht Gesamteigentum unsrer Lyriker,<lb/>
doch Eigentum vieler geworden sind, enthüllt sich hier ein Seelenleben, das<lb/>
mminichfach verdüstert und gepreßt erscheint und sich nur im Liede erhebt. Ein<lb/>
starker Tropfen des neuesten Pessimismus giebt dem poetische» Tranke, de»<lb/>
Herzfeldcr bietet, einen bittern Beigeschmack:</p><lb/>
          <quote>
            <lg xml:id="POEMID_72" type="poem">
              <l> Mir fehlt das tröstliche Vertraue»,<lb/>
Mir fehlt der Glauben um ein Glück.<lb/>
Seh ich veraus, seh ich zurück,<lb/>
Die Wolken hängen tief, die graue».</l>
              <l> Ich flog der Sonne uach, den Freude»,<lb/>
Die Schwinge» hab ich nur verbrannt.<lb/>
Ich habe Lust und Glück erkannt,<lb/>
Nur um sie flüchtig zu vergeuden.</l>
              <l> Die Zweifelsucht, die grimme Rüde,<lb/>
Hat mich von Haus zu Haus gehetzt.<lb/>
Ich rang uach Ruhe, und zuletzt<lb/>
Wie ward ich müde, stcrbenSmüdc!</l>
            </lg>
          </quote><lb/>
          <p xml:id="ID_2050" prev="#ID_2049"> Natürlich bleibt es nicht bei Klängen dieser Art, aber sie hallen doch durch<lb/>
die große Mehrzahl der Herzfclderschen Gedichte hindurch und tönen selbst in<lb/>
den verhältnismäßig frischen Cyklen &#x201E;Liebesleben" und &#x201E;Wanderleben" nach.<lb/>
Die meisten Gedichte zeichnen sich durch reines Gleichmaß des Ausdrucks und<lb/>
warme Stimmung aus, obschon die letztere selten derart ist, daß man sie teilen<lb/>
möchte. Das Bewußtsein seiner jüdischen Abstammung und der Dienst der<lb/>
Themis scheinen Herzselder schwer aufzuliegen; in glücklicheren Tagen besaßen ein<lb/>
Poetisches Talent, wie das, welches ihm unzweifelhaft innewohnt, und so fröh¬<lb/>
liche cindrncksreiche Ferien, wie ihm gegönnt zu sein scheinen, die Kraft, einen<lb/>
Mann über den Druck des Alltags zu erheben; heute drücken sie den Stachel<lb/>
des Mißmuth und der grollenden Weltbetrachtung nur tiefer in die Seele. Aber<lb/>
wie dem auch sei &#x2014; es ist keine lyrische Dutzenderscheinung, die uns aus diesen<lb/>
&#x201E;Gedichten" anspricht. Den Schluß des mäßigen Bandes bilden einige vor¬<lb/>
treffliche Übertragungen aus dem Italienischen und Französischen, darunter ein<lb/>
Gesang aus Giambattista Castis mit Unrecht vergessenem satirischen Epos &#x201E;Die<lb/>
sprechenden Tiere."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2051" next="#ID_2052"> Unter den lyrischen Weihnachtsgaben finden sich auch die Gedichte von<lb/>
Felix Dahn (zweite Sammlung) in dritter, die Gedichte von Konrad Fer¬<lb/>
dinand Meyer in zweiter, die Lotosblätter, neue Gedichte von Adolf<lb/>
Friedrich Grafen von Schack in zweiter Auflage.  Da alle diese Samen-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0687] Neue Gedichte. Verwandt in der Art der Formgebung, im Geiste freilich unendlich ver- schieden von den Fischerschen, zeigen sich die Gedichte von I. Herzfcldcr, die gleichfalls im Cottaschc» Vcrlcige erschienen sind und unsers Wissens einen neuen Dichterittimen in die Literatur einführe». In reinen, runden Versen, wie sie seit Platen und Geibel, wenn nicht Gesamteigentum unsrer Lyriker, doch Eigentum vieler geworden sind, enthüllt sich hier ein Seelenleben, das mminichfach verdüstert und gepreßt erscheint und sich nur im Liede erhebt. Ein starker Tropfen des neuesten Pessimismus giebt dem poetische» Tranke, de» Herzfeldcr bietet, einen bittern Beigeschmack: Mir fehlt das tröstliche Vertraue», Mir fehlt der Glauben um ein Glück. Seh ich veraus, seh ich zurück, Die Wolken hängen tief, die graue». Ich flog der Sonne uach, den Freude», Die Schwinge» hab ich nur verbrannt. Ich habe Lust und Glück erkannt, Nur um sie flüchtig zu vergeuden. Die Zweifelsucht, die grimme Rüde, Hat mich von Haus zu Haus gehetzt. Ich rang uach Ruhe, und zuletzt Wie ward ich müde, stcrbenSmüdc! Natürlich bleibt es nicht bei Klängen dieser Art, aber sie hallen doch durch die große Mehrzahl der Herzfclderschen Gedichte hindurch und tönen selbst in den verhältnismäßig frischen Cyklen „Liebesleben" und „Wanderleben" nach. Die meisten Gedichte zeichnen sich durch reines Gleichmaß des Ausdrucks und warme Stimmung aus, obschon die letztere selten derart ist, daß man sie teilen möchte. Das Bewußtsein seiner jüdischen Abstammung und der Dienst der Themis scheinen Herzselder schwer aufzuliegen; in glücklicheren Tagen besaßen ein Poetisches Talent, wie das, welches ihm unzweifelhaft innewohnt, und so fröh¬ liche cindrncksreiche Ferien, wie ihm gegönnt zu sein scheinen, die Kraft, einen Mann über den Druck des Alltags zu erheben; heute drücken sie den Stachel des Mißmuth und der grollenden Weltbetrachtung nur tiefer in die Seele. Aber wie dem auch sei — es ist keine lyrische Dutzenderscheinung, die uns aus diesen „Gedichten" anspricht. Den Schluß des mäßigen Bandes bilden einige vor¬ treffliche Übertragungen aus dem Italienischen und Französischen, darunter ein Gesang aus Giambattista Castis mit Unrecht vergessenem satirischen Epos „Die sprechenden Tiere." Unter den lyrischen Weihnachtsgaben finden sich auch die Gedichte von Felix Dahn (zweite Sammlung) in dritter, die Gedichte von Konrad Fer¬ dinand Meyer in zweiter, die Lotosblätter, neue Gedichte von Adolf Friedrich Grafen von Schack in zweiter Auflage. Da alle diese Samen-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_154164
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_154164/687
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_154164/687>, abgerufen am 01.09.2024.