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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal.

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Die Entstehung des Faust,

Osterspazierganges, die er in Frankfurt von Goethe vorlesen gehört. Nach der
Mitteilung in diesem Briefe war der Schluß der Szene folgendermaßen gestaltet:
Faust und Wagner treten an eine Gruppe von Studenten heran, die sich an
den Kunststücken eines Pudels ergötzt. Nach einem kurzen Aufenthalt gehen
die Wanderer weiter, aber der Pudel folgt ihnen, springt bald vor ihnen her,
bald zur Seite. Dies würde stimmen zu deu jetzigen Schlußworten dieser
Szene, welche ans Wagners Munde lauten:


Ja deine Gunst verdient er ganz und gar,
Er, der Studenten trefflicher Scvlar.

Diese Einführung des Pudels an Stelle der jetzigen, in der er sogleich auf
Faust einen geisterhaften Eindruck macht, würde im übrigen die Szene des
Spazierganzes unberührt lassen, sie würde jedoch für das Folgende einen nicht
bedeutungslosen Zug ergeben. Der Unterschied der beiden Einführungen bestünde
nämlich darin, daß nach der ältern Einführung Faust, obwohl er im stillen auf
die Erfüllung des vom Erdgeist gegebenen Versprechens harrt, obwohl ihn die
Sehnsucht, die ihn zum Erdgeist geführt hat, immerfort beschäftigt, doch ganz
ahnungslos ist, wann und wo ihn die Gabe des Erdgeistes treffen wird. Daher
kommt auch der elegische Toi,, mit dem er während dieser Szene seiner Sehn¬
sucht Ausdruck leiht. Die neue Einführung wurde von dem Dichter gewählt,
weil in der veränderten Gestalt des Gedichts Faust überhaupt auf die Er¬
füllung seiner Wünsche dnrch die Hilfe der höheren Geisterivclt resignirt hat,
weil mit dem Teufel ein ganz neues selbständiges Element ins Spiel kommt,
ein Element, dessen Natur gleich bei der erste" Erscheinung durch ahnende
Gesichte mich bei Faust angedeutet werden mußte.

Dieser Brief Boies, dessen Inhalt doch nicht von der Art ist, daß ihn
jemand träumen kaun, noch dazu in einem Augenblick, wo alle Köpfe von einer
unabsehbaren politisch-militärischen Krisis voll waren, ist wahrscheinlich infolge
des Zeitpunktes seiner Veröffentlichung allen Goethcfammlcrn und Goethe¬
forschern, soweit ich Umfrage halten konnte, entgangen. Vielleicht, daß diese
Zeilen dem vor Auge" kommen, der den Brief der Öffentlichkeit übergab, und
ihn veranlassen, die immerhin wertvolle Reliquie nochmals zu produziren, aber
an einem Orte, wo sie der Goethcgcmcinde nicht entgeht. In dem jetzigen Faust
folgt der Pudel dem Faust in das Studirzimmer, wo sich nach dem Übcr-
setzungsmouolvg die Beschwöruugsfzene anschließt. Alles dies gehört der spätern
Dichtung an und entspringt zum Teil noch aus dem Motiv, den Teufel, die
neue selbständige Macht des Gedichts, wirksam einzuführen. Dagegen sollte der
Diener des Erdgeistes sich anfangs verberge", um diejenige Überraschung her¬
beizuführen, welche die Poesie gern anwendet, um einen schon erwarteten Gegen¬
stand noch einmal mit dem Reiz des Unerkannten, plötzlich Hervortretenden zu
umgeben. Wir dürfen daher vielleicht annehmen, daß der Pudel sich von den


Die Entstehung des Faust,

Osterspazierganges, die er in Frankfurt von Goethe vorlesen gehört. Nach der
Mitteilung in diesem Briefe war der Schluß der Szene folgendermaßen gestaltet:
Faust und Wagner treten an eine Gruppe von Studenten heran, die sich an
den Kunststücken eines Pudels ergötzt. Nach einem kurzen Aufenthalt gehen
die Wanderer weiter, aber der Pudel folgt ihnen, springt bald vor ihnen her,
bald zur Seite. Dies würde stimmen zu deu jetzigen Schlußworten dieser
Szene, welche ans Wagners Munde lauten:


Ja deine Gunst verdient er ganz und gar,
Er, der Studenten trefflicher Scvlar.

Diese Einführung des Pudels an Stelle der jetzigen, in der er sogleich auf
Faust einen geisterhaften Eindruck macht, würde im übrigen die Szene des
Spazierganzes unberührt lassen, sie würde jedoch für das Folgende einen nicht
bedeutungslosen Zug ergeben. Der Unterschied der beiden Einführungen bestünde
nämlich darin, daß nach der ältern Einführung Faust, obwohl er im stillen auf
die Erfüllung des vom Erdgeist gegebenen Versprechens harrt, obwohl ihn die
Sehnsucht, die ihn zum Erdgeist geführt hat, immerfort beschäftigt, doch ganz
ahnungslos ist, wann und wo ihn die Gabe des Erdgeistes treffen wird. Daher
kommt auch der elegische Toi,, mit dem er während dieser Szene seiner Sehn¬
sucht Ausdruck leiht. Die neue Einführung wurde von dem Dichter gewählt,
weil in der veränderten Gestalt des Gedichts Faust überhaupt auf die Er¬
füllung seiner Wünsche dnrch die Hilfe der höheren Geisterivclt resignirt hat,
weil mit dem Teufel ein ganz neues selbständiges Element ins Spiel kommt,
ein Element, dessen Natur gleich bei der erste» Erscheinung durch ahnende
Gesichte mich bei Faust angedeutet werden mußte.

Dieser Brief Boies, dessen Inhalt doch nicht von der Art ist, daß ihn
jemand träumen kaun, noch dazu in einem Augenblick, wo alle Köpfe von einer
unabsehbaren politisch-militärischen Krisis voll waren, ist wahrscheinlich infolge
des Zeitpunktes seiner Veröffentlichung allen Goethcfammlcrn und Goethe¬
forschern, soweit ich Umfrage halten konnte, entgangen. Vielleicht, daß diese
Zeilen dem vor Auge» kommen, der den Brief der Öffentlichkeit übergab, und
ihn veranlassen, die immerhin wertvolle Reliquie nochmals zu produziren, aber
an einem Orte, wo sie der Goethcgcmcinde nicht entgeht. In dem jetzigen Faust
folgt der Pudel dem Faust in das Studirzimmer, wo sich nach dem Übcr-
setzungsmouolvg die Beschwöruugsfzene anschließt. Alles dies gehört der spätern
Dichtung an und entspringt zum Teil noch aus dem Motiv, den Teufel, die
neue selbständige Macht des Gedichts, wirksam einzuführen. Dagegen sollte der
Diener des Erdgeistes sich anfangs verberge», um diejenige Überraschung her¬
beizuführen, welche die Poesie gern anwendet, um einen schon erwarteten Gegen¬
stand noch einmal mit dem Reiz des Unerkannten, plötzlich Hervortretenden zu
umgeben. Wir dürfen daher vielleicht annehmen, daß der Pudel sich von den


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[0672] Die Entstehung des Faust, Osterspazierganges, die er in Frankfurt von Goethe vorlesen gehört. Nach der Mitteilung in diesem Briefe war der Schluß der Szene folgendermaßen gestaltet: Faust und Wagner treten an eine Gruppe von Studenten heran, die sich an den Kunststücken eines Pudels ergötzt. Nach einem kurzen Aufenthalt gehen die Wanderer weiter, aber der Pudel folgt ihnen, springt bald vor ihnen her, bald zur Seite. Dies würde stimmen zu deu jetzigen Schlußworten dieser Szene, welche ans Wagners Munde lauten: Ja deine Gunst verdient er ganz und gar, Er, der Studenten trefflicher Scvlar. Diese Einführung des Pudels an Stelle der jetzigen, in der er sogleich auf Faust einen geisterhaften Eindruck macht, würde im übrigen die Szene des Spazierganzes unberührt lassen, sie würde jedoch für das Folgende einen nicht bedeutungslosen Zug ergeben. Der Unterschied der beiden Einführungen bestünde nämlich darin, daß nach der ältern Einführung Faust, obwohl er im stillen auf die Erfüllung des vom Erdgeist gegebenen Versprechens harrt, obwohl ihn die Sehnsucht, die ihn zum Erdgeist geführt hat, immerfort beschäftigt, doch ganz ahnungslos ist, wann und wo ihn die Gabe des Erdgeistes treffen wird. Daher kommt auch der elegische Toi,, mit dem er während dieser Szene seiner Sehn¬ sucht Ausdruck leiht. Die neue Einführung wurde von dem Dichter gewählt, weil in der veränderten Gestalt des Gedichts Faust überhaupt auf die Er¬ füllung seiner Wünsche dnrch die Hilfe der höheren Geisterivclt resignirt hat, weil mit dem Teufel ein ganz neues selbständiges Element ins Spiel kommt, ein Element, dessen Natur gleich bei der erste» Erscheinung durch ahnende Gesichte mich bei Faust angedeutet werden mußte. Dieser Brief Boies, dessen Inhalt doch nicht von der Art ist, daß ihn jemand träumen kaun, noch dazu in einem Augenblick, wo alle Köpfe von einer unabsehbaren politisch-militärischen Krisis voll waren, ist wahrscheinlich infolge des Zeitpunktes seiner Veröffentlichung allen Goethcfammlcrn und Goethe¬ forschern, soweit ich Umfrage halten konnte, entgangen. Vielleicht, daß diese Zeilen dem vor Auge» kommen, der den Brief der Öffentlichkeit übergab, und ihn veranlassen, die immerhin wertvolle Reliquie nochmals zu produziren, aber an einem Orte, wo sie der Goethcgcmcinde nicht entgeht. In dem jetzigen Faust folgt der Pudel dem Faust in das Studirzimmer, wo sich nach dem Übcr- setzungsmouolvg die Beschwöruugsfzene anschließt. Alles dies gehört der spätern Dichtung an und entspringt zum Teil noch aus dem Motiv, den Teufel, die neue selbständige Macht des Gedichts, wirksam einzuführen. Dagegen sollte der Diener des Erdgeistes sich anfangs verberge», um diejenige Überraschung her¬ beizuführen, welche die Poesie gern anwendet, um einen schon erwarteten Gegen¬ stand noch einmal mit dem Reiz des Unerkannten, plötzlich Hervortretenden zu umgeben. Wir dürfen daher vielleicht annehmen, daß der Pudel sich von den

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_154164/672>, abgerufen am 28.07.2024.