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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal.

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Slaatsamvalt und Fortschritt.

daß sie, eins dem Boden des Gesetzes stehend, ihre Pflicht thut, den Schuldige"
zu ermitteln "ud die Gesellschaft gegen die wirklichen Übelthäter zu schütze".
Welchen Nachteil soll nun die Bestimmung für den Angeschuldigten haben, daß
die Staatsanwaltschaft zu jeder Zeit durch Aktenciusicht von dem Stande der
Voruntersuchung sich Kenntnis verschaffen kann, während dem Vertheidiger die
volle Einsicht erst nach den, Schlusse der Voruntersuchung eröffnet wird, wenn doch
schon vor diesem Zeitpunkte der gesetzlichen Vorschrift entsprechend ihm die Ein¬
sicht gestattet wird, soweit dies ohne Gefährdung des Untersuchuugszweckes ge¬
schehen kann, die Einsicht der Protokolle über die Vernehmung des Beschuldigten,
der Gutachten der Sachverständigen und der Protokolle über diejenigen gericht¬
lichen Handlungen, denen er beizuwohnen befugt ist, ihm vorher schon nicht
verweigert werden darf, und ihm endlich nach dz-148 der Se.-P.-O. vom ersten
Beginn des Verfahrens an ohne alle Beschränkung (mit Ausnahme des richter¬
lichen Aufsichtsrechts über den Verkehr, vou welchem noch die Rede sei" wird)
der Verkehr mit dem Angeschuldigten offen steht, dieser alle seine Beweismittel
bezeichnen und überhaupt jede ihm sachdienlich scheinende Maßregel ergreifen
kaun? Welche Verhindern"", oder Erschwerung der Verteidigung soll aus dieser
höchst müßigen Einschränkung der Aktenciusicht während der Voruntersuchung
folgen, wenn doch nach Z 199 der Se,-P.-O, nach Eröffnung des Hauptver-
fahrcnS eine das ganze Ergebnis der Untersuchung samt den Beweismitteln
enthaltende Anklageschrift sofort dem Angeklagten zugestellt wird und von diesem
Zeitpunkte a" dem Verteidiger die unbeschränkte Meneinsicht offen steht, er
also, sogar wenn er dies in der Voruntersuchung unterlassen hätte, seine sämt¬
lichen Entlastungszeugen und andern Beweismittel zur Hauptverhandlung noch
angebe" kann? Eine gewisse Beschränkung des Aktencinsichtsrechts durch den
Verteidiger zu jeder Zeit ist schon im Interesse der Beschleunigung und un¬
gestörten Führung der Untersuchungen geboten.

Was die durch § 213 der Se.-P.-O. dem Staatsanwalte gegebene Frei¬
heit in Herbeischaffung von Zeugen und Beweismitteln zur Hauptverhandlung
betrifft, so ist dem Angeklagten in K 213 der Se.-P.-O. die gleiche Befugnis
eingeräumt, und die Ladung der genannten Zeugen, wenn sie auf Staatskosten
geschehen soll, nur davon abhängig gemacht, daß der Angeklagte Thatsachen
angiebt, über welche der Beweis erhoben werden soll. Daß der Angeklagte
wenigstens die Punkte angebe, über welche die von ihm benannten Zeugen ver¬
nommen werden sollen, und daß nicht der Staat die Kosten seiner Zeugen be¬
zahle, welche ganz zwecklos bezeichnet werden, wird wohl niemand eine unbillige
Forderung nennen. Will der Angeklagte aber auch dieser billigen Forderung
nicht entsprechen, so steht es ihm nach § 219 der Se.-P.-O. sogar noch frei, seine
Zeugen gegen den ablehnenden Bescheid des Vorsitzenden unmittelbar laden zu
lassen. Daß er in diesem Falle, also wenn er nicht einmal der oben bezeich¬
neten geringfügigen Anforderung ans Angabe der Thatsachen nachkommt, die


Slaatsamvalt und Fortschritt.

daß sie, eins dem Boden des Gesetzes stehend, ihre Pflicht thut, den Schuldige»
zu ermitteln »ud die Gesellschaft gegen die wirklichen Übelthäter zu schütze».
Welchen Nachteil soll nun die Bestimmung für den Angeschuldigten haben, daß
die Staatsanwaltschaft zu jeder Zeit durch Aktenciusicht von dem Stande der
Voruntersuchung sich Kenntnis verschaffen kann, während dem Vertheidiger die
volle Einsicht erst nach den, Schlusse der Voruntersuchung eröffnet wird, wenn doch
schon vor diesem Zeitpunkte der gesetzlichen Vorschrift entsprechend ihm die Ein¬
sicht gestattet wird, soweit dies ohne Gefährdung des Untersuchuugszweckes ge¬
schehen kann, die Einsicht der Protokolle über die Vernehmung des Beschuldigten,
der Gutachten der Sachverständigen und der Protokolle über diejenigen gericht¬
lichen Handlungen, denen er beizuwohnen befugt ist, ihm vorher schon nicht
verweigert werden darf, und ihm endlich nach dz-148 der Se.-P.-O. vom ersten
Beginn des Verfahrens an ohne alle Beschränkung (mit Ausnahme des richter¬
lichen Aufsichtsrechts über den Verkehr, vou welchem noch die Rede sei» wird)
der Verkehr mit dem Angeschuldigten offen steht, dieser alle seine Beweismittel
bezeichnen und überhaupt jede ihm sachdienlich scheinende Maßregel ergreifen
kaun? Welche Verhindern»«, oder Erschwerung der Verteidigung soll aus dieser
höchst müßigen Einschränkung der Aktenciusicht während der Voruntersuchung
folgen, wenn doch nach Z 199 der Se,-P.-O, nach Eröffnung des Hauptver-
fahrcnS eine das ganze Ergebnis der Untersuchung samt den Beweismitteln
enthaltende Anklageschrift sofort dem Angeklagten zugestellt wird und von diesem
Zeitpunkte a» dem Verteidiger die unbeschränkte Meneinsicht offen steht, er
also, sogar wenn er dies in der Voruntersuchung unterlassen hätte, seine sämt¬
lichen Entlastungszeugen und andern Beweismittel zur Hauptverhandlung noch
angebe» kann? Eine gewisse Beschränkung des Aktencinsichtsrechts durch den
Verteidiger zu jeder Zeit ist schon im Interesse der Beschleunigung und un¬
gestörten Führung der Untersuchungen geboten.

Was die durch § 213 der Se.-P.-O. dem Staatsanwalte gegebene Frei¬
heit in Herbeischaffung von Zeugen und Beweismitteln zur Hauptverhandlung
betrifft, so ist dem Angeklagten in K 213 der Se.-P.-O. die gleiche Befugnis
eingeräumt, und die Ladung der genannten Zeugen, wenn sie auf Staatskosten
geschehen soll, nur davon abhängig gemacht, daß der Angeklagte Thatsachen
angiebt, über welche der Beweis erhoben werden soll. Daß der Angeklagte
wenigstens die Punkte angebe, über welche die von ihm benannten Zeugen ver¬
nommen werden sollen, und daß nicht der Staat die Kosten seiner Zeugen be¬
zahle, welche ganz zwecklos bezeichnet werden, wird wohl niemand eine unbillige
Forderung nennen. Will der Angeklagte aber auch dieser billigen Forderung
nicht entsprechen, so steht es ihm nach § 219 der Se.-P.-O. sogar noch frei, seine
Zeugen gegen den ablehnenden Bescheid des Vorsitzenden unmittelbar laden zu
lassen. Daß er in diesem Falle, also wenn er nicht einmal der oben bezeich¬
neten geringfügigen Anforderung ans Angabe der Thatsachen nachkommt, die


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[0656] Slaatsamvalt und Fortschritt. daß sie, eins dem Boden des Gesetzes stehend, ihre Pflicht thut, den Schuldige» zu ermitteln »ud die Gesellschaft gegen die wirklichen Übelthäter zu schütze». Welchen Nachteil soll nun die Bestimmung für den Angeschuldigten haben, daß die Staatsanwaltschaft zu jeder Zeit durch Aktenciusicht von dem Stande der Voruntersuchung sich Kenntnis verschaffen kann, während dem Vertheidiger die volle Einsicht erst nach den, Schlusse der Voruntersuchung eröffnet wird, wenn doch schon vor diesem Zeitpunkte der gesetzlichen Vorschrift entsprechend ihm die Ein¬ sicht gestattet wird, soweit dies ohne Gefährdung des Untersuchuugszweckes ge¬ schehen kann, die Einsicht der Protokolle über die Vernehmung des Beschuldigten, der Gutachten der Sachverständigen und der Protokolle über diejenigen gericht¬ lichen Handlungen, denen er beizuwohnen befugt ist, ihm vorher schon nicht verweigert werden darf, und ihm endlich nach dz-148 der Se.-P.-O. vom ersten Beginn des Verfahrens an ohne alle Beschränkung (mit Ausnahme des richter¬ lichen Aufsichtsrechts über den Verkehr, vou welchem noch die Rede sei» wird) der Verkehr mit dem Angeschuldigten offen steht, dieser alle seine Beweismittel bezeichnen und überhaupt jede ihm sachdienlich scheinende Maßregel ergreifen kaun? Welche Verhindern»«, oder Erschwerung der Verteidigung soll aus dieser höchst müßigen Einschränkung der Aktenciusicht während der Voruntersuchung folgen, wenn doch nach Z 199 der Se,-P.-O, nach Eröffnung des Hauptver- fahrcnS eine das ganze Ergebnis der Untersuchung samt den Beweismitteln enthaltende Anklageschrift sofort dem Angeklagten zugestellt wird und von diesem Zeitpunkte a» dem Verteidiger die unbeschränkte Meneinsicht offen steht, er also, sogar wenn er dies in der Voruntersuchung unterlassen hätte, seine sämt¬ lichen Entlastungszeugen und andern Beweismittel zur Hauptverhandlung noch angebe» kann? Eine gewisse Beschränkung des Aktencinsichtsrechts durch den Verteidiger zu jeder Zeit ist schon im Interesse der Beschleunigung und un¬ gestörten Führung der Untersuchungen geboten. Was die durch § 213 der Se.-P.-O. dem Staatsanwalte gegebene Frei¬ heit in Herbeischaffung von Zeugen und Beweismitteln zur Hauptverhandlung betrifft, so ist dem Angeklagten in K 213 der Se.-P.-O. die gleiche Befugnis eingeräumt, und die Ladung der genannten Zeugen, wenn sie auf Staatskosten geschehen soll, nur davon abhängig gemacht, daß der Angeklagte Thatsachen angiebt, über welche der Beweis erhoben werden soll. Daß der Angeklagte wenigstens die Punkte angebe, über welche die von ihm benannten Zeugen ver¬ nommen werden sollen, und daß nicht der Staat die Kosten seiner Zeugen be¬ zahle, welche ganz zwecklos bezeichnet werden, wird wohl niemand eine unbillige Forderung nennen. Will der Angeklagte aber auch dieser billigen Forderung nicht entsprechen, so steht es ihm nach § 219 der Se.-P.-O. sogar noch frei, seine Zeugen gegen den ablehnenden Bescheid des Vorsitzenden unmittelbar laden zu lassen. Daß er in diesem Falle, also wenn er nicht einmal der oben bezeich¬ neten geringfügigen Anforderung ans Angabe der Thatsachen nachkommt, die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_154164/656>, abgerufen am 28.07.2024.