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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal.

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Das diesjährige Prachtwerk,

hat auf diese Thatsache aufmerksam gemacht. Hat der Metteur eine Querleiste
gebraucht, Thumann hat sie gezeichnet (wenn auch dabei aus einem im Lehnstuhl
sitzenden Mädchen ein liegendes geworden ist), hat er für ein hufeisenförmiges
Bild Verwendung gehabt, Thnmcmn hat es geliefert, hat er eine halbe, eine
viertel, eine achtet Seite übrig gehabt, Thumann hat sie bereitwillig gefüllt.
Man möchte darauf schwören, daß das ganze Buch erst probeweise im Satz
hergestellt worden sei, ehe Thnmann Erlaubnis erhalten hat, mich nur einen
Strich zu zeichnen. Das nennt man würdige künstlerische Thätigkeit! Wieder¬
holt sind, um ein tadelloses typographisches Arrangement zu erzielen, Gedichte
umgestellt worden, ja mit einzelnen, die gar zu sehr genirten, ist kurzer Prozeß
gemacht, sie sind einfach -- weggelassen worden. In einem Falle scheint aber
auch der Zeichner einen Ausfall veranlaßt zu haben: die "Seebilder" fehlen
ganz. Wahrscheinlich waren sie Thnmann unbequem. "Das ist zu arg. Dagegen
deckt die Verantwortlichkeit keines Metteurs. Eine Lücke von solchem Umfange
entschuldigt nicht Nachlässigkeit oder Unverstand eines Einzelnen. Dafür ist die
Verlagshandlung selber anzuklagen. Wenn man sich einer solchen Verstümmelung
schuldig weiß, dann ist man nicht berechtigt, auf das Titelblatt "Das Buch der
Lieder" zu drucken." So der wackere Rezensent in "Nord und Süd." Wir
haben dem nichts hinzuzufügen."

Das "diesjährige Prachtwerk -- ob der illustrirte Heine das sein wird?
Seit Jahren ist es ja Herkommen in Deutschland, daß der Bildungsphilister,
dem es sonst das ganze Jahr über nicht einfällt, den Fuß über die Schwelle
eines Buchladens zu setzen, zu Weihnachten zwei Bücher kauft: ein Bilderbuch und
ein Lesebuch. Das Bilderbuchbedürfnis hat in den letzten Jahren der Titzesche Verlag
in Leipzig abwechselnd mit einigen Stuttgarter Verleger", das Lesebuchbedürfnis
der deutsche Universitätsprofessor Georg Ebers abwechselnd mit dem deutschen
Universitntsprofessor Felix Dahn befriedigt. Vorm Jahre war die Gruppirung
so: "Amor und Psyche" -- "Ein Wort," vor zwei Jahren -- ja wie war
sie doch gleich vor zwei Jahren? Die glücklichen Empfänger Werdens vielleicht
noch wissen. Diese Mvdcbücher vergißt man ja so schnell wie die Kleidermoden.
Wenn es in der bisherigen Weise weiterginge, dann würde es dies Jahr heißen:
"Heines Buch der Lieder" -- "Bissnla." Aber ob es so weiter gehen wird?
Wenn nicht alle Zeichen trügen, so vermindert sich doch von Jahr zu Jahr
die Zahl der großen Kinder, die sich zu Weihnachten im Buchladen das übliche
Zehnmarkstück und das übliche Zwanzigmarkstück für gvldschillerude Einbände
aus der Tasche locken lasse", und es vermehrt sich die Zahl der Denkenden,
Prüfenden und Urteilenden. Diese aber werden, wenn sie nur ein Viertel-
stündchen ernstlich Umschau halten wollen, gewahr werden, wie thöricht sie ge¬
wesen sind, sich jedes Jahr jene Allerweltsbücher in die Hände spielen zu lassen.




Das diesjährige Prachtwerk,

hat auf diese Thatsache aufmerksam gemacht. Hat der Metteur eine Querleiste
gebraucht, Thumann hat sie gezeichnet (wenn auch dabei aus einem im Lehnstuhl
sitzenden Mädchen ein liegendes geworden ist), hat er für ein hufeisenförmiges
Bild Verwendung gehabt, Thnmcmn hat es geliefert, hat er eine halbe, eine
viertel, eine achtet Seite übrig gehabt, Thumann hat sie bereitwillig gefüllt.
Man möchte darauf schwören, daß das ganze Buch erst probeweise im Satz
hergestellt worden sei, ehe Thnmann Erlaubnis erhalten hat, mich nur einen
Strich zu zeichnen. Das nennt man würdige künstlerische Thätigkeit! Wieder¬
holt sind, um ein tadelloses typographisches Arrangement zu erzielen, Gedichte
umgestellt worden, ja mit einzelnen, die gar zu sehr genirten, ist kurzer Prozeß
gemacht, sie sind einfach — weggelassen worden. In einem Falle scheint aber
auch der Zeichner einen Ausfall veranlaßt zu haben: die „Seebilder" fehlen
ganz. Wahrscheinlich waren sie Thnmann unbequem. „Das ist zu arg. Dagegen
deckt die Verantwortlichkeit keines Metteurs. Eine Lücke von solchem Umfange
entschuldigt nicht Nachlässigkeit oder Unverstand eines Einzelnen. Dafür ist die
Verlagshandlung selber anzuklagen. Wenn man sich einer solchen Verstümmelung
schuldig weiß, dann ist man nicht berechtigt, auf das Titelblatt »Das Buch der
Lieder« zu drucken." So der wackere Rezensent in „Nord und Süd." Wir
haben dem nichts hinzuzufügen."

Das „diesjährige Prachtwerk — ob der illustrirte Heine das sein wird?
Seit Jahren ist es ja Herkommen in Deutschland, daß der Bildungsphilister,
dem es sonst das ganze Jahr über nicht einfällt, den Fuß über die Schwelle
eines Buchladens zu setzen, zu Weihnachten zwei Bücher kauft: ein Bilderbuch und
ein Lesebuch. Das Bilderbuchbedürfnis hat in den letzten Jahren der Titzesche Verlag
in Leipzig abwechselnd mit einigen Stuttgarter Verleger», das Lesebuchbedürfnis
der deutsche Universitätsprofessor Georg Ebers abwechselnd mit dem deutschen
Universitntsprofessor Felix Dahn befriedigt. Vorm Jahre war die Gruppirung
so: „Amor und Psyche" — „Ein Wort," vor zwei Jahren — ja wie war
sie doch gleich vor zwei Jahren? Die glücklichen Empfänger Werdens vielleicht
noch wissen. Diese Mvdcbücher vergißt man ja so schnell wie die Kleidermoden.
Wenn es in der bisherigen Weise weiterginge, dann würde es dies Jahr heißen:
„Heines Buch der Lieder" — „Bissnla." Aber ob es so weiter gehen wird?
Wenn nicht alle Zeichen trügen, so vermindert sich doch von Jahr zu Jahr
die Zahl der großen Kinder, die sich zu Weihnachten im Buchladen das übliche
Zehnmarkstück und das übliche Zwanzigmarkstück für gvldschillerude Einbände
aus der Tasche locken lasse», und es vermehrt sich die Zahl der Denkenden,
Prüfenden und Urteilenden. Diese aber werden, wenn sie nur ein Viertel-
stündchen ernstlich Umschau halten wollen, gewahr werden, wie thöricht sie ge¬
wesen sind, sich jedes Jahr jene Allerweltsbücher in die Hände spielen zu lassen.




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[0639] Das diesjährige Prachtwerk, hat auf diese Thatsache aufmerksam gemacht. Hat der Metteur eine Querleiste gebraucht, Thumann hat sie gezeichnet (wenn auch dabei aus einem im Lehnstuhl sitzenden Mädchen ein liegendes geworden ist), hat er für ein hufeisenförmiges Bild Verwendung gehabt, Thnmcmn hat es geliefert, hat er eine halbe, eine viertel, eine achtet Seite übrig gehabt, Thumann hat sie bereitwillig gefüllt. Man möchte darauf schwören, daß das ganze Buch erst probeweise im Satz hergestellt worden sei, ehe Thnmann Erlaubnis erhalten hat, mich nur einen Strich zu zeichnen. Das nennt man würdige künstlerische Thätigkeit! Wieder¬ holt sind, um ein tadelloses typographisches Arrangement zu erzielen, Gedichte umgestellt worden, ja mit einzelnen, die gar zu sehr genirten, ist kurzer Prozeß gemacht, sie sind einfach — weggelassen worden. In einem Falle scheint aber auch der Zeichner einen Ausfall veranlaßt zu haben: die „Seebilder" fehlen ganz. Wahrscheinlich waren sie Thnmann unbequem. „Das ist zu arg. Dagegen deckt die Verantwortlichkeit keines Metteurs. Eine Lücke von solchem Umfange entschuldigt nicht Nachlässigkeit oder Unverstand eines Einzelnen. Dafür ist die Verlagshandlung selber anzuklagen. Wenn man sich einer solchen Verstümmelung schuldig weiß, dann ist man nicht berechtigt, auf das Titelblatt »Das Buch der Lieder« zu drucken." So der wackere Rezensent in „Nord und Süd." Wir haben dem nichts hinzuzufügen." Das „diesjährige Prachtwerk — ob der illustrirte Heine das sein wird? Seit Jahren ist es ja Herkommen in Deutschland, daß der Bildungsphilister, dem es sonst das ganze Jahr über nicht einfällt, den Fuß über die Schwelle eines Buchladens zu setzen, zu Weihnachten zwei Bücher kauft: ein Bilderbuch und ein Lesebuch. Das Bilderbuchbedürfnis hat in den letzten Jahren der Titzesche Verlag in Leipzig abwechselnd mit einigen Stuttgarter Verleger», das Lesebuchbedürfnis der deutsche Universitätsprofessor Georg Ebers abwechselnd mit dem deutschen Universitntsprofessor Felix Dahn befriedigt. Vorm Jahre war die Gruppirung so: „Amor und Psyche" — „Ein Wort," vor zwei Jahren — ja wie war sie doch gleich vor zwei Jahren? Die glücklichen Empfänger Werdens vielleicht noch wissen. Diese Mvdcbücher vergißt man ja so schnell wie die Kleidermoden. Wenn es in der bisherigen Weise weiterginge, dann würde es dies Jahr heißen: „Heines Buch der Lieder" — „Bissnla." Aber ob es so weiter gehen wird? Wenn nicht alle Zeichen trügen, so vermindert sich doch von Jahr zu Jahr die Zahl der großen Kinder, die sich zu Weihnachten im Buchladen das übliche Zehnmarkstück und das übliche Zwanzigmarkstück für gvldschillerude Einbände aus der Tasche locken lasse», und es vermehrt sich die Zahl der Denkenden, Prüfenden und Urteilenden. Diese aber werden, wenn sie nur ein Viertel- stündchen ernstlich Umschau halten wollen, gewahr werden, wie thöricht sie ge¬ wesen sind, sich jedes Jahr jene Allerweltsbücher in die Hände spielen zu lassen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_154164/639>, abgerufen am 27.07.2024.