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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal.

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Linne Zola.

gehend geschildert, wie es sich, das Wasser im Munde, um eine fette Gans ver¬
sammelt; die Lieblingsspeise des schlimmen Richters in?ot-Loui11ö, eines Mannes
mit liederlichen Neigungen im Herzen und Flechten im Gesicht, ist, wie mehrfach
angeführt wird, das blutige Roastbeef, und Nana, der "glänzende Mistkäfer" ißt
pfundweise Zuckerwerk. In diesem Punkte begegnet sich Zola unter anderm mit
Goethe, der im Faust die "ungemischte Speise" als eine Bedingung körperlicher
und geistiger Gesundheit nennt, und im Tasso durch den Mund Antonios die
erhitzende Diät des Dichters als den Grund seiner ungleichen, exaltirten Stim¬
mung bezeichnet. Mit einer solchen Auffassung steht auch Zolas Privatleben
in Einklang. Diejenigen, welche meinen, der Dichter so schrecklicher Geschichten
müsse ein wüster Mensch sein, der sich im Pariser Schlamm wälze, irren sehr.
Zola lebt in einer einsamen Behausung eine halbe Meile von dem kleinen Flecken
Meudan in glücklicher Ehe und ungetrübter Gesundheit und -- trinkt nur Waffer.

Wenn nun aber Zola auch in einigen Fällen seine Schlechten als vom
Schicksal zu Boden geworfen darstellt und insofern mit den Weisen überein¬
stimmt, so ist dies doch in den allermeisten Fällen, bei der unendlich über¬
wiegenden Menge seiner Personen nicht der Fall. Der Leser hat wohl aus¬
nahmslos bei der Lektüre die Empfindung, in eine durchaus schlechte Gesellschaft
geführt zu sein, welcher er weder Mitleid noch Liebe zuwenden kann. Ich glaube
nicht, daß irgend ein denkender und fühlender Mensch einen der drei erwähnten
bedeutenden Romane beendet aus der Hand legt, ohne sich zu freuen, daß er
fertig ist und sich nunmehr in reinere Luft begeben kann. Und das ist kein
gutes Zeichen für die Bücher. Denn es ist ja nicht Geistesschwache, was sich
hier in der Empfindung des Lesers kundgiebt, indem er etwa nicht den Mut
hätte, der Wahrheit ins Auge zu sehen, sondern es ist das in jeder Menschen -
brüht unvertilgbare Vertrauen zu der göttliche" Gerechtigkeit, was ihn wünschen
läßt, im Dichterwerke die Tugend verklärt zu erblicken, wenn auch nicht im
äußerlichen Siege des Guten, so doch in der poetischen Gerechtigkeit, welche auch
bei schlimmem Ausgange in der Perspektive ans das Unendliche und Bleibende
eröffnet wird. Bei Zola ist der endliche Eindruck ein trauriger, ein nieder-
drückender, ein abstoßender. Er ist stolz darauf und erklärt, daß dies eben
Naturalismus sei, aber in Wahrheit ist dies eine oausg. ÄelloiMS seines Genius.
Simonides sagt: Ich liebe, ja lobe jeglichen, der nnr nichts Schändliches thut.
Wen aber lobt und liebt Zola? Niemanden. Thun sie denn alle Schändliches?

Indem Zola die Gesellschaft nach ihrer dreifachen Gliederung in Arbeiter,
Bourgeois und Aristokratie schildert, zeigt er zwar insofern ein feines Denken, als
er die Größe der Laster mit zunehmender Wohlhabenheit und höherer Stellung des
Sünders als größer schildert. Seine Arbeiter sind noch ziemlich wacker, und
ihre Laster sind verhältnismäßig klein; seine Bourgeois sind schon weit mehr
angefault, die Krone der Schlechtigkeit findet sich aber erst auf dem Hanpte der
Vornehmen. Aber welches sind denn überhaupt die Verbrechen seiner Welt?


Linne Zola.

gehend geschildert, wie es sich, das Wasser im Munde, um eine fette Gans ver¬
sammelt; die Lieblingsspeise des schlimmen Richters in?ot-Loui11ö, eines Mannes
mit liederlichen Neigungen im Herzen und Flechten im Gesicht, ist, wie mehrfach
angeführt wird, das blutige Roastbeef, und Nana, der „glänzende Mistkäfer" ißt
pfundweise Zuckerwerk. In diesem Punkte begegnet sich Zola unter anderm mit
Goethe, der im Faust die „ungemischte Speise" als eine Bedingung körperlicher
und geistiger Gesundheit nennt, und im Tasso durch den Mund Antonios die
erhitzende Diät des Dichters als den Grund seiner ungleichen, exaltirten Stim¬
mung bezeichnet. Mit einer solchen Auffassung steht auch Zolas Privatleben
in Einklang. Diejenigen, welche meinen, der Dichter so schrecklicher Geschichten
müsse ein wüster Mensch sein, der sich im Pariser Schlamm wälze, irren sehr.
Zola lebt in einer einsamen Behausung eine halbe Meile von dem kleinen Flecken
Meudan in glücklicher Ehe und ungetrübter Gesundheit und — trinkt nur Waffer.

Wenn nun aber Zola auch in einigen Fällen seine Schlechten als vom
Schicksal zu Boden geworfen darstellt und insofern mit den Weisen überein¬
stimmt, so ist dies doch in den allermeisten Fällen, bei der unendlich über¬
wiegenden Menge seiner Personen nicht der Fall. Der Leser hat wohl aus¬
nahmslos bei der Lektüre die Empfindung, in eine durchaus schlechte Gesellschaft
geführt zu sein, welcher er weder Mitleid noch Liebe zuwenden kann. Ich glaube
nicht, daß irgend ein denkender und fühlender Mensch einen der drei erwähnten
bedeutenden Romane beendet aus der Hand legt, ohne sich zu freuen, daß er
fertig ist und sich nunmehr in reinere Luft begeben kann. Und das ist kein
gutes Zeichen für die Bücher. Denn es ist ja nicht Geistesschwache, was sich
hier in der Empfindung des Lesers kundgiebt, indem er etwa nicht den Mut
hätte, der Wahrheit ins Auge zu sehen, sondern es ist das in jeder Menschen -
brüht unvertilgbare Vertrauen zu der göttliche» Gerechtigkeit, was ihn wünschen
läßt, im Dichterwerke die Tugend verklärt zu erblicken, wenn auch nicht im
äußerlichen Siege des Guten, so doch in der poetischen Gerechtigkeit, welche auch
bei schlimmem Ausgange in der Perspektive ans das Unendliche und Bleibende
eröffnet wird. Bei Zola ist der endliche Eindruck ein trauriger, ein nieder-
drückender, ein abstoßender. Er ist stolz darauf und erklärt, daß dies eben
Naturalismus sei, aber in Wahrheit ist dies eine oausg. ÄelloiMS seines Genius.
Simonides sagt: Ich liebe, ja lobe jeglichen, der nnr nichts Schändliches thut.
Wen aber lobt und liebt Zola? Niemanden. Thun sie denn alle Schändliches?

Indem Zola die Gesellschaft nach ihrer dreifachen Gliederung in Arbeiter,
Bourgeois und Aristokratie schildert, zeigt er zwar insofern ein feines Denken, als
er die Größe der Laster mit zunehmender Wohlhabenheit und höherer Stellung des
Sünders als größer schildert. Seine Arbeiter sind noch ziemlich wacker, und
ihre Laster sind verhältnismäßig klein; seine Bourgeois sind schon weit mehr
angefault, die Krone der Schlechtigkeit findet sich aber erst auf dem Hanpte der
Vornehmen. Aber welches sind denn überhaupt die Verbrechen seiner Welt?


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[0629] Linne Zola. gehend geschildert, wie es sich, das Wasser im Munde, um eine fette Gans ver¬ sammelt; die Lieblingsspeise des schlimmen Richters in?ot-Loui11ö, eines Mannes mit liederlichen Neigungen im Herzen und Flechten im Gesicht, ist, wie mehrfach angeführt wird, das blutige Roastbeef, und Nana, der „glänzende Mistkäfer" ißt pfundweise Zuckerwerk. In diesem Punkte begegnet sich Zola unter anderm mit Goethe, der im Faust die „ungemischte Speise" als eine Bedingung körperlicher und geistiger Gesundheit nennt, und im Tasso durch den Mund Antonios die erhitzende Diät des Dichters als den Grund seiner ungleichen, exaltirten Stim¬ mung bezeichnet. Mit einer solchen Auffassung steht auch Zolas Privatleben in Einklang. Diejenigen, welche meinen, der Dichter so schrecklicher Geschichten müsse ein wüster Mensch sein, der sich im Pariser Schlamm wälze, irren sehr. Zola lebt in einer einsamen Behausung eine halbe Meile von dem kleinen Flecken Meudan in glücklicher Ehe und ungetrübter Gesundheit und — trinkt nur Waffer. Wenn nun aber Zola auch in einigen Fällen seine Schlechten als vom Schicksal zu Boden geworfen darstellt und insofern mit den Weisen überein¬ stimmt, so ist dies doch in den allermeisten Fällen, bei der unendlich über¬ wiegenden Menge seiner Personen nicht der Fall. Der Leser hat wohl aus¬ nahmslos bei der Lektüre die Empfindung, in eine durchaus schlechte Gesellschaft geführt zu sein, welcher er weder Mitleid noch Liebe zuwenden kann. Ich glaube nicht, daß irgend ein denkender und fühlender Mensch einen der drei erwähnten bedeutenden Romane beendet aus der Hand legt, ohne sich zu freuen, daß er fertig ist und sich nunmehr in reinere Luft begeben kann. Und das ist kein gutes Zeichen für die Bücher. Denn es ist ja nicht Geistesschwache, was sich hier in der Empfindung des Lesers kundgiebt, indem er etwa nicht den Mut hätte, der Wahrheit ins Auge zu sehen, sondern es ist das in jeder Menschen - brüht unvertilgbare Vertrauen zu der göttliche» Gerechtigkeit, was ihn wünschen läßt, im Dichterwerke die Tugend verklärt zu erblicken, wenn auch nicht im äußerlichen Siege des Guten, so doch in der poetischen Gerechtigkeit, welche auch bei schlimmem Ausgange in der Perspektive ans das Unendliche und Bleibende eröffnet wird. Bei Zola ist der endliche Eindruck ein trauriger, ein nieder- drückender, ein abstoßender. Er ist stolz darauf und erklärt, daß dies eben Naturalismus sei, aber in Wahrheit ist dies eine oausg. ÄelloiMS seines Genius. Simonides sagt: Ich liebe, ja lobe jeglichen, der nnr nichts Schändliches thut. Wen aber lobt und liebt Zola? Niemanden. Thun sie denn alle Schändliches? Indem Zola die Gesellschaft nach ihrer dreifachen Gliederung in Arbeiter, Bourgeois und Aristokratie schildert, zeigt er zwar insofern ein feines Denken, als er die Größe der Laster mit zunehmender Wohlhabenheit und höherer Stellung des Sünders als größer schildert. Seine Arbeiter sind noch ziemlich wacker, und ihre Laster sind verhältnismäßig klein; seine Bourgeois sind schon weit mehr angefault, die Krone der Schlechtigkeit findet sich aber erst auf dem Hanpte der Vornehmen. Aber welches sind denn überhaupt die Verbrechen seiner Welt?

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_154164/629>, abgerufen am 28.07.2024.