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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal.

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Der neue Merlin.

schienen sein Fleiß und sein Gelingen tiefere Teilnahme einzuflößen als den
andern. Über sein Gesicht breitete sich eine frohe Erregung, und seine Finger
schlössen sich fest um die schmale, weiße Hand des anmutigen Mädchens. Sie
wehrte mit einem raschen und ihm verständlichen Allgenwink weiterer Zärtlich¬
keit, blieb aber an seiner Seite, als er wenige Minuten später die bunte Ge¬
sellschaft der Landsleute einlud, ihm zu dem Dom und der Kirche von Sau
Fosca zu folgen, und, wie verabredet, den Führer zu den beiden ehrwürdigen
Bauten Torccllos abgab. Der Tag war klar, doch nicht heiß, eine wohlthuende
Frische, die Hinterlassenschaft schwerer Gewitter, welche seit einige" Tagen und
namentlich in der letzten Nacht sich über den Lagunen entladen hatten, erfüllte
die sonnige Luft, und mit seltener Empfänglichkeit betrat die Gesellschaft die
ruudbogige Halle, welche um das alte Gemäuer von San Fosca herumführte.
Der wundersame Reiz, der die einsam und hoch nebeneinander aufragenden
Kirchen, die einzigen Neste einer vergangenen größeren Stadt, umspielt, ward
von allen empfunden, und Friedrich Carstens sorgte dafür, daß es nicht bloß
bei dem flüchtigen Gesamteindruck blieb. Unermüdlich schritt er den andern
voran und lenkte ihre Augen auf alle die Merkwürdigkeiten und verborgenen
Schönheiten, welche er im Laufe der letzten Woche erspäht hatte. Als die Ge¬
sellschaft aus dein Halbdunkel des Domes wieder in das Sonnenlicht hinaustrat
und noch einmal Dom und Kirche mit ihren Ueberdenken umging, lag auf allen
Gesichtern eine ernste Befriedigung, Ungewöhnliches geschaut und erlebt zu haben.
Und als einzelne Stimmen das Bedauern aussprachen, daß der seltene Genuß
schon vorüber sei und man an die Rückfahrt nach Venedig denken müsse, rief
der Kunsthistoriker aus:

Sie sollen noch ein Wunder von Tvrcello sehen! Der Garten meines
Gastfreundes, der sonst für alle Welt verschlossen bleibt, wird heute geöffnet sein.
Signor Felice Constantini hat mir ausdrücklich Erlaubnis gegeben, meine Lands¬
leute in sein Heiligtum einzuführen, und so wenig Sehenswertes an dem
Hause ist, so einzig schön ist der Garten. Wenn Sie mir also folgen wollen --

Die Gesellschaft war offenbar froh überrascht und zeigte sich sofort bereit, sich
der Führung des junge" Mannes, welcher die ganze Fahrt nach Toreello veranlaßt
hatte, anzuvertrauen. Friedrich reichte seiner blonde" Begleiter!" den Arm und schlug
dann einen engen, halbverwachscnen Pfad durch die Viguen ein, welche hier ein
Stück der Insel bedeckten. Nicht lange, so tauchte ein andrer Teil der langen
Mauer, an der sie vorhin hingegangen waren, vor ihren Blicken auf, ein zweites
Pförtchen zeigte sich geöffnet. Die Gesellschaft folgte ihrem Führer voll Span¬
nung durch die schmale Thür und sah sich innerhalb derselben mit einer ge¬
wissen Enttäuschung zwischen Rebenfeldern und Maulbeerpflanzen, wie sie jen¬
seits der Mauer denn auch vorhanden waren. Doktor Carstens beschleunigte
seine Schritte, da er die verwunderte" Gesichter der Freunde wahrnahm,
und weiidete sich nur einen Augenblick mit einem Lächeln des Dankes zu der


Der neue Merlin.

schienen sein Fleiß und sein Gelingen tiefere Teilnahme einzuflößen als den
andern. Über sein Gesicht breitete sich eine frohe Erregung, und seine Finger
schlössen sich fest um die schmale, weiße Hand des anmutigen Mädchens. Sie
wehrte mit einem raschen und ihm verständlichen Allgenwink weiterer Zärtlich¬
keit, blieb aber an seiner Seite, als er wenige Minuten später die bunte Ge¬
sellschaft der Landsleute einlud, ihm zu dem Dom und der Kirche von Sau
Fosca zu folgen, und, wie verabredet, den Führer zu den beiden ehrwürdigen
Bauten Torccllos abgab. Der Tag war klar, doch nicht heiß, eine wohlthuende
Frische, die Hinterlassenschaft schwerer Gewitter, welche seit einige» Tagen und
namentlich in der letzten Nacht sich über den Lagunen entladen hatten, erfüllte
die sonnige Luft, und mit seltener Empfänglichkeit betrat die Gesellschaft die
ruudbogige Halle, welche um das alte Gemäuer von San Fosca herumführte.
Der wundersame Reiz, der die einsam und hoch nebeneinander aufragenden
Kirchen, die einzigen Neste einer vergangenen größeren Stadt, umspielt, ward
von allen empfunden, und Friedrich Carstens sorgte dafür, daß es nicht bloß
bei dem flüchtigen Gesamteindruck blieb. Unermüdlich schritt er den andern
voran und lenkte ihre Augen auf alle die Merkwürdigkeiten und verborgenen
Schönheiten, welche er im Laufe der letzten Woche erspäht hatte. Als die Ge¬
sellschaft aus dein Halbdunkel des Domes wieder in das Sonnenlicht hinaustrat
und noch einmal Dom und Kirche mit ihren Ueberdenken umging, lag auf allen
Gesichtern eine ernste Befriedigung, Ungewöhnliches geschaut und erlebt zu haben.
Und als einzelne Stimmen das Bedauern aussprachen, daß der seltene Genuß
schon vorüber sei und man an die Rückfahrt nach Venedig denken müsse, rief
der Kunsthistoriker aus:

Sie sollen noch ein Wunder von Tvrcello sehen! Der Garten meines
Gastfreundes, der sonst für alle Welt verschlossen bleibt, wird heute geöffnet sein.
Signor Felice Constantini hat mir ausdrücklich Erlaubnis gegeben, meine Lands¬
leute in sein Heiligtum einzuführen, und so wenig Sehenswertes an dem
Hause ist, so einzig schön ist der Garten. Wenn Sie mir also folgen wollen —

Die Gesellschaft war offenbar froh überrascht und zeigte sich sofort bereit, sich
der Führung des junge» Mannes, welcher die ganze Fahrt nach Toreello veranlaßt
hatte, anzuvertrauen. Friedrich reichte seiner blonde» Begleiter!» den Arm und schlug
dann einen engen, halbverwachscnen Pfad durch die Viguen ein, welche hier ein
Stück der Insel bedeckten. Nicht lange, so tauchte ein andrer Teil der langen
Mauer, an der sie vorhin hingegangen waren, vor ihren Blicken auf, ein zweites
Pförtchen zeigte sich geöffnet. Die Gesellschaft folgte ihrem Führer voll Span¬
nung durch die schmale Thür und sah sich innerhalb derselben mit einer ge¬
wissen Enttäuschung zwischen Rebenfeldern und Maulbeerpflanzen, wie sie jen¬
seits der Mauer denn auch vorhanden waren. Doktor Carstens beschleunigte
seine Schritte, da er die verwunderte» Gesichter der Freunde wahrnahm,
und weiidete sich nur einen Augenblick mit einem Lächeln des Dankes zu der


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_154164/580>, abgerufen am 01.09.2024.