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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal.

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Eine Geschichte der amerikanischen Literatur.

Die Vorliebe für das Humoristische könnte bei einem so ernsten Volke als etwas
rätselhaftes erscheinen, wenn nicht gerade in diesem Lebensernst ein Teil der
Erklärung läge. Der Humor ist den Amerikanern ein Bedürfnis, weil er die
Seele von der bedrückenden Sorge und Hast des Daseins befreit. In ihm liegt
eine versöhnende und befreiende Kraft. Es geht nichts über die Excentrizität
des amerikanischen Humors; er geberdet sich häufig unsinnig wie ein Clown im
Zirkus, erhebt sich aber auch in den edleren Repräsentanten zu einer Lebens-
philosophie, wie wir sie bei Jean Paul und Sterne schätzen. Wir halten es
daher für ein verfehltes Urteil Nichols, wenn er von dein amerikanischen Humor
schreibt: "Transatlantischer Humor dringt selten bis zu den tieferen Strömungen
des Lebens; er ist eine spärliche Blüte bei einem von Haus aus ernsten Volke,
dessen Einsicht mehr klar als tief ist, er beruht bei ihm zumeist auf Übertrei¬
bung und einer Mischung von Scherz und Ernst, wie in den amerikanische"
Negermelodien, wo ein komischer Text zu einer traurigen Musik ertönt." Kein
Wunder, daß Nichol gerade bei dem ersten amerikanischen Humoristen, bei Mare
Twain oder, wie er eigentlich heißt, S. Clemens am meisten irrt. Es ist
schwer begreiflich, wie er dessen echt humoristische, an Shakespcaresche Gefühls¬
tiefe erinnernde Erzählung?rince Ma?auxsr so geringschätzen kann. Während
amerikanische Kritiker an Mare Twain gerade das preisen, daß derselbe den
spezifisch amerikanischen Humor, der vordem plumper und roher sich geberdete,
auf eine höhere Stufe hob, indem er ihm psychologische Feinheit, einen Sinn
für das Naturschöne und eine Empfindung für das Sittliche und Gerechte gab,
stellt ihn Nichol als gewandten Taschenspieler hin, der es bloß ans Effekt ab¬
gesehen habe, und spricht er von dem Schriftsteller, den ein Mann wie Darwin
zu seinen Lieblingen zählte, als demjenigen, "der mehr als ein andrer den lite¬
rarischen Ton des cnglischsprechenden Volkes erniedrigt hat!" Zur Entschul¬
digung Nichols läßt sich hier uur sagen, daß die Empfindung für Humor bei
kritischen Köpfen überaus verschieden ist; der Humor wendet sich eben nicht an
unsern geschulten Verstand und unser anerzogenes Gefühl, sondern an unsre kind¬
lichste, ursprünglichste Seele. nachsichtiger, wenn auch immer etwas grämlich,
urteilt Nichol über die andern Humoristen: Lowell, Holmes, Artemns Ward,
Billings, Leland, Adeler. Erst am Schluß des Kapitels, für welche" er sich
Bret Harte vorbehalten hat, werden wir wieder mit ihm ausgesöhnt. Brei
Harte, der Erzähler der Goldsucherperiode des fernen Westens, besitzt eine reiche
humoristische Ader, die sein ganzes dichterisches Schaffen durchzieht. "Er ist,
schreibt Nichol, am meisten Humorist in einem höheren Sinne, wenn er sich am
weitesten vom Spaßmacher entfernt -- in den Prosaidhllen eines wilden Lebens,
das er mehr als ein andrer mit Poesie zu verklären verstanden hat."

Da Nichol in summarischer Weise alle bedeutenderen Verfasser und deren
Schriften an passender Stelle erwähnt, so ist sein Buch in bibliographischer
Hinsicht ziemlich vollständig. Vermißt haben wir nur einen in neuerer Zeit in


Eine Geschichte der amerikanischen Literatur.

Die Vorliebe für das Humoristische könnte bei einem so ernsten Volke als etwas
rätselhaftes erscheinen, wenn nicht gerade in diesem Lebensernst ein Teil der
Erklärung läge. Der Humor ist den Amerikanern ein Bedürfnis, weil er die
Seele von der bedrückenden Sorge und Hast des Daseins befreit. In ihm liegt
eine versöhnende und befreiende Kraft. Es geht nichts über die Excentrizität
des amerikanischen Humors; er geberdet sich häufig unsinnig wie ein Clown im
Zirkus, erhebt sich aber auch in den edleren Repräsentanten zu einer Lebens-
philosophie, wie wir sie bei Jean Paul und Sterne schätzen. Wir halten es
daher für ein verfehltes Urteil Nichols, wenn er von dein amerikanischen Humor
schreibt: „Transatlantischer Humor dringt selten bis zu den tieferen Strömungen
des Lebens; er ist eine spärliche Blüte bei einem von Haus aus ernsten Volke,
dessen Einsicht mehr klar als tief ist, er beruht bei ihm zumeist auf Übertrei¬
bung und einer Mischung von Scherz und Ernst, wie in den amerikanische»
Negermelodien, wo ein komischer Text zu einer traurigen Musik ertönt." Kein
Wunder, daß Nichol gerade bei dem ersten amerikanischen Humoristen, bei Mare
Twain oder, wie er eigentlich heißt, S. Clemens am meisten irrt. Es ist
schwer begreiflich, wie er dessen echt humoristische, an Shakespcaresche Gefühls¬
tiefe erinnernde Erzählung?rince Ma?auxsr so geringschätzen kann. Während
amerikanische Kritiker an Mare Twain gerade das preisen, daß derselbe den
spezifisch amerikanischen Humor, der vordem plumper und roher sich geberdete,
auf eine höhere Stufe hob, indem er ihm psychologische Feinheit, einen Sinn
für das Naturschöne und eine Empfindung für das Sittliche und Gerechte gab,
stellt ihn Nichol als gewandten Taschenspieler hin, der es bloß ans Effekt ab¬
gesehen habe, und spricht er von dem Schriftsteller, den ein Mann wie Darwin
zu seinen Lieblingen zählte, als demjenigen, „der mehr als ein andrer den lite¬
rarischen Ton des cnglischsprechenden Volkes erniedrigt hat!" Zur Entschul¬
digung Nichols läßt sich hier uur sagen, daß die Empfindung für Humor bei
kritischen Köpfen überaus verschieden ist; der Humor wendet sich eben nicht an
unsern geschulten Verstand und unser anerzogenes Gefühl, sondern an unsre kind¬
lichste, ursprünglichste Seele. nachsichtiger, wenn auch immer etwas grämlich,
urteilt Nichol über die andern Humoristen: Lowell, Holmes, Artemns Ward,
Billings, Leland, Adeler. Erst am Schluß des Kapitels, für welche» er sich
Bret Harte vorbehalten hat, werden wir wieder mit ihm ausgesöhnt. Brei
Harte, der Erzähler der Goldsucherperiode des fernen Westens, besitzt eine reiche
humoristische Ader, die sein ganzes dichterisches Schaffen durchzieht. „Er ist,
schreibt Nichol, am meisten Humorist in einem höheren Sinne, wenn er sich am
weitesten vom Spaßmacher entfernt — in den Prosaidhllen eines wilden Lebens,
das er mehr als ein andrer mit Poesie zu verklären verstanden hat."

Da Nichol in summarischer Weise alle bedeutenderen Verfasser und deren
Schriften an passender Stelle erwähnt, so ist sein Buch in bibliographischer
Hinsicht ziemlich vollständig. Vermißt haben wir nur einen in neuerer Zeit in


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[0574] Eine Geschichte der amerikanischen Literatur. Die Vorliebe für das Humoristische könnte bei einem so ernsten Volke als etwas rätselhaftes erscheinen, wenn nicht gerade in diesem Lebensernst ein Teil der Erklärung läge. Der Humor ist den Amerikanern ein Bedürfnis, weil er die Seele von der bedrückenden Sorge und Hast des Daseins befreit. In ihm liegt eine versöhnende und befreiende Kraft. Es geht nichts über die Excentrizität des amerikanischen Humors; er geberdet sich häufig unsinnig wie ein Clown im Zirkus, erhebt sich aber auch in den edleren Repräsentanten zu einer Lebens- philosophie, wie wir sie bei Jean Paul und Sterne schätzen. Wir halten es daher für ein verfehltes Urteil Nichols, wenn er von dein amerikanischen Humor schreibt: „Transatlantischer Humor dringt selten bis zu den tieferen Strömungen des Lebens; er ist eine spärliche Blüte bei einem von Haus aus ernsten Volke, dessen Einsicht mehr klar als tief ist, er beruht bei ihm zumeist auf Übertrei¬ bung und einer Mischung von Scherz und Ernst, wie in den amerikanische» Negermelodien, wo ein komischer Text zu einer traurigen Musik ertönt." Kein Wunder, daß Nichol gerade bei dem ersten amerikanischen Humoristen, bei Mare Twain oder, wie er eigentlich heißt, S. Clemens am meisten irrt. Es ist schwer begreiflich, wie er dessen echt humoristische, an Shakespcaresche Gefühls¬ tiefe erinnernde Erzählung?rince Ma?auxsr so geringschätzen kann. Während amerikanische Kritiker an Mare Twain gerade das preisen, daß derselbe den spezifisch amerikanischen Humor, der vordem plumper und roher sich geberdete, auf eine höhere Stufe hob, indem er ihm psychologische Feinheit, einen Sinn für das Naturschöne und eine Empfindung für das Sittliche und Gerechte gab, stellt ihn Nichol als gewandten Taschenspieler hin, der es bloß ans Effekt ab¬ gesehen habe, und spricht er von dem Schriftsteller, den ein Mann wie Darwin zu seinen Lieblingen zählte, als demjenigen, „der mehr als ein andrer den lite¬ rarischen Ton des cnglischsprechenden Volkes erniedrigt hat!" Zur Entschul¬ digung Nichols läßt sich hier uur sagen, daß die Empfindung für Humor bei kritischen Köpfen überaus verschieden ist; der Humor wendet sich eben nicht an unsern geschulten Verstand und unser anerzogenes Gefühl, sondern an unsre kind¬ lichste, ursprünglichste Seele. nachsichtiger, wenn auch immer etwas grämlich, urteilt Nichol über die andern Humoristen: Lowell, Holmes, Artemns Ward, Billings, Leland, Adeler. Erst am Schluß des Kapitels, für welche» er sich Bret Harte vorbehalten hat, werden wir wieder mit ihm ausgesöhnt. Brei Harte, der Erzähler der Goldsucherperiode des fernen Westens, besitzt eine reiche humoristische Ader, die sein ganzes dichterisches Schaffen durchzieht. „Er ist, schreibt Nichol, am meisten Humorist in einem höheren Sinne, wenn er sich am weitesten vom Spaßmacher entfernt — in den Prosaidhllen eines wilden Lebens, das er mehr als ein andrer mit Poesie zu verklären verstanden hat." Da Nichol in summarischer Weise alle bedeutenderen Verfasser und deren Schriften an passender Stelle erwähnt, so ist sein Buch in bibliographischer Hinsicht ziemlich vollständig. Vermißt haben wir nur einen in neuerer Zeit in

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_154164/574>, abgerufen am 28.07.2024.