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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal.

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Die Wahrheit über die Katastrophe von Jena.

könne, so verstatte man die Bemerkung, daß jene Ansicht auf dem umgekehrten
Wege zu einem ähnlichen Übermute führen würde, wie man ihn der alten preu¬
ßischen Armee häufig vorgeworfen hat. Wenn jene die Siege Friedrichs und
den Ruhm des siebenjährigen Krieges als ihr selbstgehörig ansah und auf den
nlteu Lorbeeren ruhend nur das tote Andenken ohne die lebendige Kraft jener
Siege behalten hatte, so mögen wir uns hüten, daß wir die herben Lehren der
Niederlage, die uns (der Verfasser schrieb im Jahre 1822) näher liegen als
jenen die alten Trophäen, nicht vergessen, als gingen sie uns nichts an; wenn
die im Frieden erwachsene Generation damals leicht sich mit dem Glauben
täuschte, sie seien noch die Alten, so möge sich die Jugend jetzt vor dem weit
übermütigeren Glauben hüten, sie seien besser als die Alten, und die Fort¬
schritte der Kriegskunst sicherten uns vor ähnlichem Unglück."

Diese Moral galt auch noch vierzig Jahre später, sie gilt noch heute und
wird in der friedlichen Zeit, die uns bevorsteht, weiter gelten. Setzen wir mit
dem Autor von "Roßbach und Jena" den Fall, die Armeerevrganisation von 1860
wäre vor dem Widersprüche der Liberalen unterblieben oder, wie die Mehrheit
des Landtages wollte, rückgängig gemacht worden, was wäre dann geschehen?
Preußen hätte dann 1863 und 1866 nichts haben thun können, oder es würde
den Ereignissen, die sich herandrängten wie sechs Jahrzehnte vorher, mit dem
Heere entgegengegangen sein, das man aus den Mobilmachungen von 1848
bis 1851 kennt, d. h. mit 45 Infanterieregimentern und zahlreicher frisch vom
Acker oder aus der Werkstatt und Schreibstube gekommener Landwehr in der
Feldarmee. Man antwortet darauf aus den Reihen der damaligen Opposition
vielleicht: Auch dann hätten wir unsre Schuldigkeit gethan. Aber mit dem
Vorsatz, ihre Schuldigkeit zu thun, zogen auch die Offiziere und Soldaten von
1806 nach den Thüringer Schlachtfeldern, und sie sind ihm, wie gezeigt worden,
redlich nachgekommen. Darum konnten sie das Unheil doch nicht abwenden,
und wie sie würde aller Wahrscheinlichkeit nach die jüngere Armee aus der Zeit
vor der Reform König Wilhelms trotz aller Tapferkeit erlegen sein, wenn die
Verwicklungen mit gleicher Unausbleiblichkeit und ähnlicher Wucht wie 1866
und 1870 über sie hereingebrochen wären. Und noch eins: Wer sich der Zeit
vor zwanzig Jahren erinnert, weiß, welche seltsame Stellung die Liberale"
damals zur Armee einnahmen. Wieviel wurde in jenen Tagen von den Zeitungen
und in Vereinen und Volksversammlungen über den Hochmut und die Anmaßung
der Offiziere und die Selbstüberschätzung der "Soldateska" überhaupt perorirt
und lamentire! Angenommen nun, diese stark und unablässig angefeindete und
versetzte Armee hätte eine Schlacht verloren, so würde sie noch heutigen Tages
von der öffentlichen Meinung ganz so angesehen sein wie das Heer, das bei
Jena und Auerstädt geschlagen wurde.

Der Verfasser schließt sein Kapitel über diese Fragen mit den beherzigens¬
werten Worten: "Wer den Lehren der Geschichte seine Aufmerksamkeit schenkt,


Die Wahrheit über die Katastrophe von Jena.

könne, so verstatte man die Bemerkung, daß jene Ansicht auf dem umgekehrten
Wege zu einem ähnlichen Übermute führen würde, wie man ihn der alten preu¬
ßischen Armee häufig vorgeworfen hat. Wenn jene die Siege Friedrichs und
den Ruhm des siebenjährigen Krieges als ihr selbstgehörig ansah und auf den
nlteu Lorbeeren ruhend nur das tote Andenken ohne die lebendige Kraft jener
Siege behalten hatte, so mögen wir uns hüten, daß wir die herben Lehren der
Niederlage, die uns (der Verfasser schrieb im Jahre 1822) näher liegen als
jenen die alten Trophäen, nicht vergessen, als gingen sie uns nichts an; wenn
die im Frieden erwachsene Generation damals leicht sich mit dem Glauben
täuschte, sie seien noch die Alten, so möge sich die Jugend jetzt vor dem weit
übermütigeren Glauben hüten, sie seien besser als die Alten, und die Fort¬
schritte der Kriegskunst sicherten uns vor ähnlichem Unglück."

Diese Moral galt auch noch vierzig Jahre später, sie gilt noch heute und
wird in der friedlichen Zeit, die uns bevorsteht, weiter gelten. Setzen wir mit
dem Autor von „Roßbach und Jena" den Fall, die Armeerevrganisation von 1860
wäre vor dem Widersprüche der Liberalen unterblieben oder, wie die Mehrheit
des Landtages wollte, rückgängig gemacht worden, was wäre dann geschehen?
Preußen hätte dann 1863 und 1866 nichts haben thun können, oder es würde
den Ereignissen, die sich herandrängten wie sechs Jahrzehnte vorher, mit dem
Heere entgegengegangen sein, das man aus den Mobilmachungen von 1848
bis 1851 kennt, d. h. mit 45 Infanterieregimentern und zahlreicher frisch vom
Acker oder aus der Werkstatt und Schreibstube gekommener Landwehr in der
Feldarmee. Man antwortet darauf aus den Reihen der damaligen Opposition
vielleicht: Auch dann hätten wir unsre Schuldigkeit gethan. Aber mit dem
Vorsatz, ihre Schuldigkeit zu thun, zogen auch die Offiziere und Soldaten von
1806 nach den Thüringer Schlachtfeldern, und sie sind ihm, wie gezeigt worden,
redlich nachgekommen. Darum konnten sie das Unheil doch nicht abwenden,
und wie sie würde aller Wahrscheinlichkeit nach die jüngere Armee aus der Zeit
vor der Reform König Wilhelms trotz aller Tapferkeit erlegen sein, wenn die
Verwicklungen mit gleicher Unausbleiblichkeit und ähnlicher Wucht wie 1866
und 1870 über sie hereingebrochen wären. Und noch eins: Wer sich der Zeit
vor zwanzig Jahren erinnert, weiß, welche seltsame Stellung die Liberale»
damals zur Armee einnahmen. Wieviel wurde in jenen Tagen von den Zeitungen
und in Vereinen und Volksversammlungen über den Hochmut und die Anmaßung
der Offiziere und die Selbstüberschätzung der „Soldateska" überhaupt perorirt
und lamentire! Angenommen nun, diese stark und unablässig angefeindete und
versetzte Armee hätte eine Schlacht verloren, so würde sie noch heutigen Tages
von der öffentlichen Meinung ganz so angesehen sein wie das Heer, das bei
Jena und Auerstädt geschlagen wurde.

Der Verfasser schließt sein Kapitel über diese Fragen mit den beherzigens¬
werten Worten: „Wer den Lehren der Geschichte seine Aufmerksamkeit schenkt,


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[0565] Die Wahrheit über die Katastrophe von Jena. könne, so verstatte man die Bemerkung, daß jene Ansicht auf dem umgekehrten Wege zu einem ähnlichen Übermute führen würde, wie man ihn der alten preu¬ ßischen Armee häufig vorgeworfen hat. Wenn jene die Siege Friedrichs und den Ruhm des siebenjährigen Krieges als ihr selbstgehörig ansah und auf den nlteu Lorbeeren ruhend nur das tote Andenken ohne die lebendige Kraft jener Siege behalten hatte, so mögen wir uns hüten, daß wir die herben Lehren der Niederlage, die uns (der Verfasser schrieb im Jahre 1822) näher liegen als jenen die alten Trophäen, nicht vergessen, als gingen sie uns nichts an; wenn die im Frieden erwachsene Generation damals leicht sich mit dem Glauben täuschte, sie seien noch die Alten, so möge sich die Jugend jetzt vor dem weit übermütigeren Glauben hüten, sie seien besser als die Alten, und die Fort¬ schritte der Kriegskunst sicherten uns vor ähnlichem Unglück." Diese Moral galt auch noch vierzig Jahre später, sie gilt noch heute und wird in der friedlichen Zeit, die uns bevorsteht, weiter gelten. Setzen wir mit dem Autor von „Roßbach und Jena" den Fall, die Armeerevrganisation von 1860 wäre vor dem Widersprüche der Liberalen unterblieben oder, wie die Mehrheit des Landtages wollte, rückgängig gemacht worden, was wäre dann geschehen? Preußen hätte dann 1863 und 1866 nichts haben thun können, oder es würde den Ereignissen, die sich herandrängten wie sechs Jahrzehnte vorher, mit dem Heere entgegengegangen sein, das man aus den Mobilmachungen von 1848 bis 1851 kennt, d. h. mit 45 Infanterieregimentern und zahlreicher frisch vom Acker oder aus der Werkstatt und Schreibstube gekommener Landwehr in der Feldarmee. Man antwortet darauf aus den Reihen der damaligen Opposition vielleicht: Auch dann hätten wir unsre Schuldigkeit gethan. Aber mit dem Vorsatz, ihre Schuldigkeit zu thun, zogen auch die Offiziere und Soldaten von 1806 nach den Thüringer Schlachtfeldern, und sie sind ihm, wie gezeigt worden, redlich nachgekommen. Darum konnten sie das Unheil doch nicht abwenden, und wie sie würde aller Wahrscheinlichkeit nach die jüngere Armee aus der Zeit vor der Reform König Wilhelms trotz aller Tapferkeit erlegen sein, wenn die Verwicklungen mit gleicher Unausbleiblichkeit und ähnlicher Wucht wie 1866 und 1870 über sie hereingebrochen wären. Und noch eins: Wer sich der Zeit vor zwanzig Jahren erinnert, weiß, welche seltsame Stellung die Liberale» damals zur Armee einnahmen. Wieviel wurde in jenen Tagen von den Zeitungen und in Vereinen und Volksversammlungen über den Hochmut und die Anmaßung der Offiziere und die Selbstüberschätzung der „Soldateska" überhaupt perorirt und lamentire! Angenommen nun, diese stark und unablässig angefeindete und versetzte Armee hätte eine Schlacht verloren, so würde sie noch heutigen Tages von der öffentlichen Meinung ganz so angesehen sein wie das Heer, das bei Jena und Auerstädt geschlagen wurde. Der Verfasser schließt sein Kapitel über diese Fragen mit den beherzigens¬ werten Worten: „Wer den Lehren der Geschichte seine Aufmerksamkeit schenkt,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_154164/565>, abgerufen am 01.09.2024.