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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal.

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Die Wahrheit über die Katastrophe von Jena.

zeigte sich dem Feinde gewachsen, die Büchsenschützen waren den Tirailleurs des¬
selben überlegen. Ein Augenzeuge aus der Doppelschlacht urteilt über die
preußische und sächsische Reiterei bei Eröffnung des Feldzuges: "Schön und
kraftvoll die Leute und Pferde, zweckmäßig und gut ihre Ausrüstung, voll¬
kommen ihre Geschicklichkeit im Reiten und Gebrauch ihrer Waffen, mutvoll
und entschlossen zum Kampfe das Offizierskorps. Rasch und gut angeführt,
konnte und mußte diese Kavallerie Wunder der Tapferkeit verrichten."

Sehr günstige Zeugnisse stellen ferner Minutoli, Marwitz und General
Reiche der damaligen Armee aus, und selbst die Franzosen rühmen indirekt
ihre Tüchtigkeit. Davoust schildert in seiner Korrespondenz die Schlacht bei
Auerstädt als eine sehr ernste und blutige. Er schätzt die Preußen, die ihm
gegenüberstanden, auf 80 000 Mann, während es in Wirklichkeit nur 30 000
waren, und spricht von dem unverhofften Erfolge, den ihm die Tapferkeit der
Soldaten und das Glück zugewendet hätten, das die Waffen seines Kaisers be¬
gleite. Ähnlich der letztere selbst, welcher der Angabe des bei Jena in Ge¬
fangenschaft geratenen sächsischen Majors von Funk, daß dort auf Seite der
Verbündeten nur etwa 45 000 Mann gefochten, keinen Glauben beimaß, sondern
bei der Behauptung verblieb, er habe mindestens 100 000 Mann vor sich gehabt.

Weitere Meinungsäußerungen anzuführen, wäre überflüssig. Gunst und
Ungunst stehen sich etwa mit gleichem Werte gegenüber, und die abfälligen
Urteile sind nur populärer geworden. Außer der Stimmung, welche die Kata¬
strophe hervorrief, haben drei Umstände wesentlich dazu beigetragen: die weit¬
verbreitete Opposition gegen den Adel, der Wunsch, das nach den Nieder¬
lagen von 1806 beginnende Werk der Armeereform zu verherrlichen, und der
plötzliche Wechsel der an der Spitze des Heeres stehenden Altersklassen von
höheren Offizieren. Die Abneigung gegen den Adel hing mit dem damals im
Gange begriffenen Emporstreben des Bürgerstandes zu politischer Bedeutung
und mit der Philosophie der Zeit zusammen, welche auf die ursprünglichen
Menschenrechte zurückgriff und jeden Klassenunterschied ohne weiteres für ein
Unrecht ansah. Dazu hatte eine lange Friedensperiode vergessen lassen, wieviel
der preußische Adel auf den Schlachtfeldern des siebenjährigen Krieges geleistet
hatte. "Nur durch einen neuen glorreichen Krieg," bemerkt der Verfasser, "hätte
der Adel seine Stellung im Staate für eine Zeit lang wieder zu einer wohl¬
begründeten machen können. Die Niederlage bestätigte, was mau längst gewußt
haben wollte, daß seine Stellung eine Anomalie oder eine "politische Mißgeburt"
sei. Die Opposition gewann die Oberhand, und alles, was sie an Anklagen
gegen den Adel zu richten hatte, traf zugleich die Armee." Adel und Offizier¬
korps wurden nach dem Kriege einfach für identisch angesehen, während doch seit
dem Beginn der Regierung Friedrich Wilhelms III. geeigneten Bürgerlichen
die militärische Laufbahn völlig offengestanden und das Heer von 1806 nicht
weniger als 695 Offiziere besessen hatte, die sich keines "von" vor ihrem Namen


Grenzboten IV. 1333. 70
Die Wahrheit über die Katastrophe von Jena.

zeigte sich dem Feinde gewachsen, die Büchsenschützen waren den Tirailleurs des¬
selben überlegen. Ein Augenzeuge aus der Doppelschlacht urteilt über die
preußische und sächsische Reiterei bei Eröffnung des Feldzuges: „Schön und
kraftvoll die Leute und Pferde, zweckmäßig und gut ihre Ausrüstung, voll¬
kommen ihre Geschicklichkeit im Reiten und Gebrauch ihrer Waffen, mutvoll
und entschlossen zum Kampfe das Offizierskorps. Rasch und gut angeführt,
konnte und mußte diese Kavallerie Wunder der Tapferkeit verrichten."

Sehr günstige Zeugnisse stellen ferner Minutoli, Marwitz und General
Reiche der damaligen Armee aus, und selbst die Franzosen rühmen indirekt
ihre Tüchtigkeit. Davoust schildert in seiner Korrespondenz die Schlacht bei
Auerstädt als eine sehr ernste und blutige. Er schätzt die Preußen, die ihm
gegenüberstanden, auf 80 000 Mann, während es in Wirklichkeit nur 30 000
waren, und spricht von dem unverhofften Erfolge, den ihm die Tapferkeit der
Soldaten und das Glück zugewendet hätten, das die Waffen seines Kaisers be¬
gleite. Ähnlich der letztere selbst, welcher der Angabe des bei Jena in Ge¬
fangenschaft geratenen sächsischen Majors von Funk, daß dort auf Seite der
Verbündeten nur etwa 45 000 Mann gefochten, keinen Glauben beimaß, sondern
bei der Behauptung verblieb, er habe mindestens 100 000 Mann vor sich gehabt.

Weitere Meinungsäußerungen anzuführen, wäre überflüssig. Gunst und
Ungunst stehen sich etwa mit gleichem Werte gegenüber, und die abfälligen
Urteile sind nur populärer geworden. Außer der Stimmung, welche die Kata¬
strophe hervorrief, haben drei Umstände wesentlich dazu beigetragen: die weit¬
verbreitete Opposition gegen den Adel, der Wunsch, das nach den Nieder¬
lagen von 1806 beginnende Werk der Armeereform zu verherrlichen, und der
plötzliche Wechsel der an der Spitze des Heeres stehenden Altersklassen von
höheren Offizieren. Die Abneigung gegen den Adel hing mit dem damals im
Gange begriffenen Emporstreben des Bürgerstandes zu politischer Bedeutung
und mit der Philosophie der Zeit zusammen, welche auf die ursprünglichen
Menschenrechte zurückgriff und jeden Klassenunterschied ohne weiteres für ein
Unrecht ansah. Dazu hatte eine lange Friedensperiode vergessen lassen, wieviel
der preußische Adel auf den Schlachtfeldern des siebenjährigen Krieges geleistet
hatte. „Nur durch einen neuen glorreichen Krieg," bemerkt der Verfasser, „hätte
der Adel seine Stellung im Staate für eine Zeit lang wieder zu einer wohl¬
begründeten machen können. Die Niederlage bestätigte, was mau längst gewußt
haben wollte, daß seine Stellung eine Anomalie oder eine „politische Mißgeburt"
sei. Die Opposition gewann die Oberhand, und alles, was sie an Anklagen
gegen den Adel zu richten hatte, traf zugleich die Armee." Adel und Offizier¬
korps wurden nach dem Kriege einfach für identisch angesehen, während doch seit
dem Beginn der Regierung Friedrich Wilhelms III. geeigneten Bürgerlichen
die militärische Laufbahn völlig offengestanden und das Heer von 1806 nicht
weniger als 695 Offiziere besessen hatte, die sich keines „von" vor ihrem Namen


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[0563] Die Wahrheit über die Katastrophe von Jena. zeigte sich dem Feinde gewachsen, die Büchsenschützen waren den Tirailleurs des¬ selben überlegen. Ein Augenzeuge aus der Doppelschlacht urteilt über die preußische und sächsische Reiterei bei Eröffnung des Feldzuges: „Schön und kraftvoll die Leute und Pferde, zweckmäßig und gut ihre Ausrüstung, voll¬ kommen ihre Geschicklichkeit im Reiten und Gebrauch ihrer Waffen, mutvoll und entschlossen zum Kampfe das Offizierskorps. Rasch und gut angeführt, konnte und mußte diese Kavallerie Wunder der Tapferkeit verrichten." Sehr günstige Zeugnisse stellen ferner Minutoli, Marwitz und General Reiche der damaligen Armee aus, und selbst die Franzosen rühmen indirekt ihre Tüchtigkeit. Davoust schildert in seiner Korrespondenz die Schlacht bei Auerstädt als eine sehr ernste und blutige. Er schätzt die Preußen, die ihm gegenüberstanden, auf 80 000 Mann, während es in Wirklichkeit nur 30 000 waren, und spricht von dem unverhofften Erfolge, den ihm die Tapferkeit der Soldaten und das Glück zugewendet hätten, das die Waffen seines Kaisers be¬ gleite. Ähnlich der letztere selbst, welcher der Angabe des bei Jena in Ge¬ fangenschaft geratenen sächsischen Majors von Funk, daß dort auf Seite der Verbündeten nur etwa 45 000 Mann gefochten, keinen Glauben beimaß, sondern bei der Behauptung verblieb, er habe mindestens 100 000 Mann vor sich gehabt. Weitere Meinungsäußerungen anzuführen, wäre überflüssig. Gunst und Ungunst stehen sich etwa mit gleichem Werte gegenüber, und die abfälligen Urteile sind nur populärer geworden. Außer der Stimmung, welche die Kata¬ strophe hervorrief, haben drei Umstände wesentlich dazu beigetragen: die weit¬ verbreitete Opposition gegen den Adel, der Wunsch, das nach den Nieder¬ lagen von 1806 beginnende Werk der Armeereform zu verherrlichen, und der plötzliche Wechsel der an der Spitze des Heeres stehenden Altersklassen von höheren Offizieren. Die Abneigung gegen den Adel hing mit dem damals im Gange begriffenen Emporstreben des Bürgerstandes zu politischer Bedeutung und mit der Philosophie der Zeit zusammen, welche auf die ursprünglichen Menschenrechte zurückgriff und jeden Klassenunterschied ohne weiteres für ein Unrecht ansah. Dazu hatte eine lange Friedensperiode vergessen lassen, wieviel der preußische Adel auf den Schlachtfeldern des siebenjährigen Krieges geleistet hatte. „Nur durch einen neuen glorreichen Krieg," bemerkt der Verfasser, „hätte der Adel seine Stellung im Staate für eine Zeit lang wieder zu einer wohl¬ begründeten machen können. Die Niederlage bestätigte, was mau längst gewußt haben wollte, daß seine Stellung eine Anomalie oder eine „politische Mißgeburt" sei. Die Opposition gewann die Oberhand, und alles, was sie an Anklagen gegen den Adel zu richten hatte, traf zugleich die Armee." Adel und Offizier¬ korps wurden nach dem Kriege einfach für identisch angesehen, während doch seit dem Beginn der Regierung Friedrich Wilhelms III. geeigneten Bürgerlichen die militärische Laufbahn völlig offengestanden und das Heer von 1806 nicht weniger als 695 Offiziere besessen hatte, die sich keines „von" vor ihrem Namen Grenzboten IV. 1333. 70

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_154164/563>, abgerufen am 28.07.2024.