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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal.

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Neuere Aunstliteratur.

Streit höchst überflüssig und das Ergebnis desselben, mag es nun endgiltig für
Siegen oder für die Scheldcstadt ausfallen, überaus gleichgiltig, da durch das¬
selbe nicht der geringste Beitrag zur nähern Kenntnis des Meisters geliefert
wird, Rubens war durch und durch Vlamländer, und daran würde auch die
Thatsache nichts ändern, daß er in Siegen das Licht der Welt erblickt hätte,
wo seine Eltern durch traurige Verhältnisse zu einem Aufenthalt wider ihren
Willen genötigt waren.

Mit gleichem Eifer haben sich die holländischen Gelehrten auf die Aus¬
beutung der Archive gelegt, und auch sie haben eine so reiche Ernte gehabt, daß
auf ganze Partien der Geschichte der holländischen Malerei neues Licht gefallen
ist. Fast jedes neue Heft der holländischen Kunstzeitschriften bringt neue archi-
valische Mitteilungen, welche durch ihre urkundliche Kraft manche geistreiche und
scharfsinnig begründete Hypothese umstoßen. Der Umstand nun, daß diese Aus¬
nutzung der Archive bei weitem noch nicht zum Abschluß gelangt ist, hat auch
denjenigen deutschen Gelehrten, von welchem die Kunstfreunde mit Ungeduld die
lauge vermißte Geschichte der holländischen Malerei erwartete, bewogen, einst¬
weilen diese Arbeit noch aufzuschieben. Wilhelm Bode hat jedoch zur Ent¬
schädigung einen Teil seiner Vorarbeiten unter dem Titel Studien zur Ge¬
schichte der holländischen Malerei (Braunschweig, Vieweg und Sohn) ver¬
öffentlicht, welche für die nähere Beschäftigung mit diesem umfangreichen und
weitsichtigen Thema wenigstens eine sichere Basis schaffen. Die erste dieser
Studien giebt sogar in kurzen prägnanten Zügen einen Überblick über die Ent¬
wicklungsgeschichte der holländischen Malerei, sodaß man wenigstens den Faden
hat, mit dessen Hilfe man sich in diesem Labyrinthe von Kunststätten, in dieser
außerordentlichen Fülle von Künstlerindividualitäten zurechtfinden kann. Das
Hauptgewicht ist in diesen Studien jedoch auf die beiden Führer der Schule,
auf Frans Hals und Rembrandt gelegt, von denen besonders der erstere eine
so eingehende Behandlung erfahren hat, daß kaum noch etwas für ihn zu thun
übrig bleibt. Bei Rembrandt hat der Verfasser die biographischen Einzelheiten
nur insofern berücksichtigt, als sie ihm für seinen Zweck, Rembrandts künst¬
lerischen Entwicklungsgang nach seinen Gemälden darzustellen, nötig erschienen.
Die Gemälde aber haben durch Bode eine geradezu meisterhafte Analyse ge¬
funden, welche ebensowohl bahnbrechend als grundlegend ist. Er hat zum ersten¬
male ein kritisches Verzeichnis der Rembrandtschen Gemälde aufgestellt und dabei
eine staunenswerte Bilderkenntnis bewiesen. In der Studie über Frans Hals
hat er den Kreis weiter gezogen, indem er dem Einflüsse nachgespürt hat, welchen
der Harlemer Meister nicht nur auf seine Schüler im engern Sinne, sondern
auch auf andre Künstler, auf die Meister des Sittenbildes, wie Terborch, Metsu
und Steen, auf die Bauernmaler, wie Ostade, auf Architektur- und Stillleben¬
maler ausgeübt hat.


Neuere Aunstliteratur.

Streit höchst überflüssig und das Ergebnis desselben, mag es nun endgiltig für
Siegen oder für die Scheldcstadt ausfallen, überaus gleichgiltig, da durch das¬
selbe nicht der geringste Beitrag zur nähern Kenntnis des Meisters geliefert
wird, Rubens war durch und durch Vlamländer, und daran würde auch die
Thatsache nichts ändern, daß er in Siegen das Licht der Welt erblickt hätte,
wo seine Eltern durch traurige Verhältnisse zu einem Aufenthalt wider ihren
Willen genötigt waren.

Mit gleichem Eifer haben sich die holländischen Gelehrten auf die Aus¬
beutung der Archive gelegt, und auch sie haben eine so reiche Ernte gehabt, daß
auf ganze Partien der Geschichte der holländischen Malerei neues Licht gefallen
ist. Fast jedes neue Heft der holländischen Kunstzeitschriften bringt neue archi-
valische Mitteilungen, welche durch ihre urkundliche Kraft manche geistreiche und
scharfsinnig begründete Hypothese umstoßen. Der Umstand nun, daß diese Aus¬
nutzung der Archive bei weitem noch nicht zum Abschluß gelangt ist, hat auch
denjenigen deutschen Gelehrten, von welchem die Kunstfreunde mit Ungeduld die
lauge vermißte Geschichte der holländischen Malerei erwartete, bewogen, einst¬
weilen diese Arbeit noch aufzuschieben. Wilhelm Bode hat jedoch zur Ent¬
schädigung einen Teil seiner Vorarbeiten unter dem Titel Studien zur Ge¬
schichte der holländischen Malerei (Braunschweig, Vieweg und Sohn) ver¬
öffentlicht, welche für die nähere Beschäftigung mit diesem umfangreichen und
weitsichtigen Thema wenigstens eine sichere Basis schaffen. Die erste dieser
Studien giebt sogar in kurzen prägnanten Zügen einen Überblick über die Ent¬
wicklungsgeschichte der holländischen Malerei, sodaß man wenigstens den Faden
hat, mit dessen Hilfe man sich in diesem Labyrinthe von Kunststätten, in dieser
außerordentlichen Fülle von Künstlerindividualitäten zurechtfinden kann. Das
Hauptgewicht ist in diesen Studien jedoch auf die beiden Führer der Schule,
auf Frans Hals und Rembrandt gelegt, von denen besonders der erstere eine
so eingehende Behandlung erfahren hat, daß kaum noch etwas für ihn zu thun
übrig bleibt. Bei Rembrandt hat der Verfasser die biographischen Einzelheiten
nur insofern berücksichtigt, als sie ihm für seinen Zweck, Rembrandts künst¬
lerischen Entwicklungsgang nach seinen Gemälden darzustellen, nötig erschienen.
Die Gemälde aber haben durch Bode eine geradezu meisterhafte Analyse ge¬
funden, welche ebensowohl bahnbrechend als grundlegend ist. Er hat zum ersten¬
male ein kritisches Verzeichnis der Rembrandtschen Gemälde aufgestellt und dabei
eine staunenswerte Bilderkenntnis bewiesen. In der Studie über Frans Hals
hat er den Kreis weiter gezogen, indem er dem Einflüsse nachgespürt hat, welchen
der Harlemer Meister nicht nur auf seine Schüler im engern Sinne, sondern
auch auf andre Künstler, auf die Meister des Sittenbildes, wie Terborch, Metsu
und Steen, auf die Bauernmaler, wie Ostade, auf Architektur- und Stillleben¬
maler ausgeübt hat.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_154164/469>, abgerufen am 28.07.2024.