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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal.

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Vom Festefeiertt.

der jetzigen Generation wieder geschärft wird. Für die Wahl des Tages sprechen
dieselben Umstände, wie dereinst für den 18. Oktober, der auch noch nicht den
Frieden gebracht hatte, geschweige die Früchte alle, welche er einst zu verheißen
schien, und den man dennoch mit Höhenfeuern. Reden und Spielen beging, um
in den neuen Geschlechtern seine Bedeutung für den Bruch der Fremdherrschaft
lebendig zu erhalten.

Wohl aber müssen alle aufrichtig vaterländisch Gesinnten es als eine Pflicht
erkennen, der Krankheit des Festefeierns nach Kräften zu steuern. Wir dürfen,
was Arbeitsamkeit, Nüchternheit, Sparsamkeit betrifft, uns so manche Nationa¬
lität, Franzosen, Italiener, Juden, einzelne Slavcnstämme zum Muster nehmen,
andre slavische als warnendes Beispiel, wohin der "liebenswürdige" Leichtsinn,
die Lust an rauschenden und berauschenden Festlichkeiten führen. Hinter dem
lustig Wirtschaftenden steht immer schon einer bereit, sich in das verwirtschaf¬
tete Gut zu setzen; das ist im Großen wie im Kleinen so. Unaufhaltsam
dringen im Süden und Osten fremde Elemente auf uralt deutschem Boden vor,
und die "Intelligenz," welche man gern als Grund dafür anführt, besteht ledig¬
lich darin, daß sie fleißig erwerben und das Erworbene zusammenhalten.

Das darf nicht befremden, daß die eifrigsten Förderer der Festkrankheit
dieselben Leute sind, welche stets das Bürgertum, den Mittelstand, die Industrie,
die Arbeit im Munde führen. Gerade sie können ein tüchtiges, fleißiges Bürger¬
tum am wenigsten brauchen, weil dies seiner Natur nach konservativ im wahren
Sinne sein muß. Und ebensowenig ist die Begegnung der Apostel der Freiheit
in der Phrase mit ihren zentralen Gegenfüßlern auffallend; sie sind eben "die¬
selbe Kouleur in Grün." Sie eifern gegen die vielen kirchlichen Feiertage in
katholischen Ländern, wissen, leider oft mit Grund, zu berichten, daß die Heiligen
anhaltender im Wirtshause als in der Kirche verehrt werden, und jeder be¬
sondre Feiertag noch seinen besondern blauen Montag im Gefolge habe; wenn
sie von der Sonntagsfeier sprechen, könnte man meinen, unsre ganze Zukunft
hänge von der Wahrung des Menschenrechts ab, auch während des Gottes¬
dienstes Kravatten, Cigarren oder Branntwein verkaufen zu dürfen. Aber nicht¬
kirchliche, politische Feste -- ja, Bauer . . .! Die "Luftiger von Weimar"
hatten keinen vollständigem Festkalender als unsre Fortgeschrittener. Da giebts
Schützenfeste, Turuerfeste, Sängerfeste, Verbrüderungsfefte; da giebts Wähler¬
versammlungen, da erscheinen Gastredner, um die etwa wankende Gesinnungs¬
tüchtigkeit wieder zu befestigen, da erstatten der verehrte Landtags- und der noch
verchrtere Reichstagsabgeordnete ihren Rechenschaftsbericht mit obligatem Bankett,
da giebts Wanderversammlungen, landwirtschaftliche und ^Werbeausstellungen
und wer weiß welche Anlässe noch zum Unterbrechen der bürgerlichen Thätigkeit.
Wenn es dem einzelnen auch gelegentlich zu viel werden will, fernbleiben kann
er unmöglich als Mann von entschiedener Gesinnung. Das öffentliche Inter¬
esse geht dem privaten vor!


Vom Festefeiertt.

der jetzigen Generation wieder geschärft wird. Für die Wahl des Tages sprechen
dieselben Umstände, wie dereinst für den 18. Oktober, der auch noch nicht den
Frieden gebracht hatte, geschweige die Früchte alle, welche er einst zu verheißen
schien, und den man dennoch mit Höhenfeuern. Reden und Spielen beging, um
in den neuen Geschlechtern seine Bedeutung für den Bruch der Fremdherrschaft
lebendig zu erhalten.

Wohl aber müssen alle aufrichtig vaterländisch Gesinnten es als eine Pflicht
erkennen, der Krankheit des Festefeierns nach Kräften zu steuern. Wir dürfen,
was Arbeitsamkeit, Nüchternheit, Sparsamkeit betrifft, uns so manche Nationa¬
lität, Franzosen, Italiener, Juden, einzelne Slavcnstämme zum Muster nehmen,
andre slavische als warnendes Beispiel, wohin der „liebenswürdige" Leichtsinn,
die Lust an rauschenden und berauschenden Festlichkeiten führen. Hinter dem
lustig Wirtschaftenden steht immer schon einer bereit, sich in das verwirtschaf¬
tete Gut zu setzen; das ist im Großen wie im Kleinen so. Unaufhaltsam
dringen im Süden und Osten fremde Elemente auf uralt deutschem Boden vor,
und die „Intelligenz," welche man gern als Grund dafür anführt, besteht ledig¬
lich darin, daß sie fleißig erwerben und das Erworbene zusammenhalten.

Das darf nicht befremden, daß die eifrigsten Förderer der Festkrankheit
dieselben Leute sind, welche stets das Bürgertum, den Mittelstand, die Industrie,
die Arbeit im Munde führen. Gerade sie können ein tüchtiges, fleißiges Bürger¬
tum am wenigsten brauchen, weil dies seiner Natur nach konservativ im wahren
Sinne sein muß. Und ebensowenig ist die Begegnung der Apostel der Freiheit
in der Phrase mit ihren zentralen Gegenfüßlern auffallend; sie sind eben „die¬
selbe Kouleur in Grün." Sie eifern gegen die vielen kirchlichen Feiertage in
katholischen Ländern, wissen, leider oft mit Grund, zu berichten, daß die Heiligen
anhaltender im Wirtshause als in der Kirche verehrt werden, und jeder be¬
sondre Feiertag noch seinen besondern blauen Montag im Gefolge habe; wenn
sie von der Sonntagsfeier sprechen, könnte man meinen, unsre ganze Zukunft
hänge von der Wahrung des Menschenrechts ab, auch während des Gottes¬
dienstes Kravatten, Cigarren oder Branntwein verkaufen zu dürfen. Aber nicht¬
kirchliche, politische Feste — ja, Bauer . . .! Die „Luftiger von Weimar"
hatten keinen vollständigem Festkalender als unsre Fortgeschrittener. Da giebts
Schützenfeste, Turuerfeste, Sängerfeste, Verbrüderungsfefte; da giebts Wähler¬
versammlungen, da erscheinen Gastredner, um die etwa wankende Gesinnungs¬
tüchtigkeit wieder zu befestigen, da erstatten der verehrte Landtags- und der noch
verchrtere Reichstagsabgeordnete ihren Rechenschaftsbericht mit obligatem Bankett,
da giebts Wanderversammlungen, landwirtschaftliche und ^Werbeausstellungen
und wer weiß welche Anlässe noch zum Unterbrechen der bürgerlichen Thätigkeit.
Wenn es dem einzelnen auch gelegentlich zu viel werden will, fernbleiben kann
er unmöglich als Mann von entschiedener Gesinnung. Das öffentliche Inter¬
esse geht dem privaten vor!


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[0436] Vom Festefeiertt. der jetzigen Generation wieder geschärft wird. Für die Wahl des Tages sprechen dieselben Umstände, wie dereinst für den 18. Oktober, der auch noch nicht den Frieden gebracht hatte, geschweige die Früchte alle, welche er einst zu verheißen schien, und den man dennoch mit Höhenfeuern. Reden und Spielen beging, um in den neuen Geschlechtern seine Bedeutung für den Bruch der Fremdherrschaft lebendig zu erhalten. Wohl aber müssen alle aufrichtig vaterländisch Gesinnten es als eine Pflicht erkennen, der Krankheit des Festefeierns nach Kräften zu steuern. Wir dürfen, was Arbeitsamkeit, Nüchternheit, Sparsamkeit betrifft, uns so manche Nationa¬ lität, Franzosen, Italiener, Juden, einzelne Slavcnstämme zum Muster nehmen, andre slavische als warnendes Beispiel, wohin der „liebenswürdige" Leichtsinn, die Lust an rauschenden und berauschenden Festlichkeiten führen. Hinter dem lustig Wirtschaftenden steht immer schon einer bereit, sich in das verwirtschaf¬ tete Gut zu setzen; das ist im Großen wie im Kleinen so. Unaufhaltsam dringen im Süden und Osten fremde Elemente auf uralt deutschem Boden vor, und die „Intelligenz," welche man gern als Grund dafür anführt, besteht ledig¬ lich darin, daß sie fleißig erwerben und das Erworbene zusammenhalten. Das darf nicht befremden, daß die eifrigsten Förderer der Festkrankheit dieselben Leute sind, welche stets das Bürgertum, den Mittelstand, die Industrie, die Arbeit im Munde führen. Gerade sie können ein tüchtiges, fleißiges Bürger¬ tum am wenigsten brauchen, weil dies seiner Natur nach konservativ im wahren Sinne sein muß. Und ebensowenig ist die Begegnung der Apostel der Freiheit in der Phrase mit ihren zentralen Gegenfüßlern auffallend; sie sind eben „die¬ selbe Kouleur in Grün." Sie eifern gegen die vielen kirchlichen Feiertage in katholischen Ländern, wissen, leider oft mit Grund, zu berichten, daß die Heiligen anhaltender im Wirtshause als in der Kirche verehrt werden, und jeder be¬ sondre Feiertag noch seinen besondern blauen Montag im Gefolge habe; wenn sie von der Sonntagsfeier sprechen, könnte man meinen, unsre ganze Zukunft hänge von der Wahrung des Menschenrechts ab, auch während des Gottes¬ dienstes Kravatten, Cigarren oder Branntwein verkaufen zu dürfen. Aber nicht¬ kirchliche, politische Feste — ja, Bauer . . .! Die „Luftiger von Weimar" hatten keinen vollständigem Festkalender als unsre Fortgeschrittener. Da giebts Schützenfeste, Turuerfeste, Sängerfeste, Verbrüderungsfefte; da giebts Wähler¬ versammlungen, da erscheinen Gastredner, um die etwa wankende Gesinnungs¬ tüchtigkeit wieder zu befestigen, da erstatten der verehrte Landtags- und der noch verchrtere Reichstagsabgeordnete ihren Rechenschaftsbericht mit obligatem Bankett, da giebts Wanderversammlungen, landwirtschaftliche und ^Werbeausstellungen und wer weiß welche Anlässe noch zum Unterbrechen der bürgerlichen Thätigkeit. Wenn es dem einzelnen auch gelegentlich zu viel werden will, fernbleiben kann er unmöglich als Mann von entschiedener Gesinnung. Das öffentliche Inter¬ esse geht dem privaten vor!

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_154164/436>, abgerufen am 01.09.2024.