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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal.

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Botho von Hülsen und seine Leute.

sollt ihr sie erkennen" gilt ihm als Maxime, und das Ergebnis ist am Schlüsse
ein bedenkliches Defizit, welches den Verfasser zu dem boshaften Wunsche ver¬
anlaßt, Herrn von Hülsen möge es hinfort vergönnt sein, "in beschaulicher Ruhe"
den Abend seines Lebens zu genießen.

Gewiß gilt das biblische Wort von den meisten Arten menschlicher Thätig¬
keit und bis zu einem gewissen Grade auch von den Theatern. Ob aber auch
in gleichem Maße von einem Hoftheater, erscheint dem mindestens sehr zweifel¬
haft, dem es vergönnt war, einen Blick in das geheimnisvolle Innere eines
solchen von den seltsamsten Rücksichten, den wunderlichsten Launen und tausend
Zufälligkeiten beherrschten Mechanismus zu thun, welchem zum Leiter bestellt zu
werden sicherlich zu den allerundankbarsten Aufgaben dieser Welt gehört. Um
nicht Mißdeutungen zu veranlassen, muß ich hier die Versicherung einschalten,
daß mir der Theaterstaat des Herrn von Hülsen in seiner innern Einrichtung
und Verwaltung just ebenso fremd ist wie jedem andern Unbeteiligten. Aus
langjähriger genauer Beobachtung und Bekanntschaft jedoch mit den interne"
Verhältnissen eines andern Hoftheaters, welches zu den besten seiner Art zählt,
weiß ich, daß selbst der aufmerksamste Kritiker meist keine Ahnung von den
tausend Hemmnissen und Kulisseneinflüssen hat, welche den täglichen Kampf des
Chefs bilden und selbst die soldatisch-strammste Natur mitunter in Verzweiflung
bringen, weil sie sich oft stärker erweisen als der energischste Wille. Da ist ein
Prinz, der schlechterdings die erste Tragödin nicht leiden kann und deshalb seinen
ganzen Einfluß aufbietet, um gegen sie Stimmung zu machen und die höchsten
Kreise zu einem kleinen Kriege gegen den sie schützenden Intendanten zu mobili-
siren. Da ist ein Autor, der in der übermütigen Weinlaune durch ein unvor¬
sichtiges Wort eine hochgestellte Person zum Stichblatt aller Nachtischwitze bei
der höchsten Tafel gemacht hat und deshalb von der Bühne verbannt bleiben
muß, während ihm draußen alle Welt huldigt. Da ist ein Regisseur, der die
Rollenbesetzung sich mit schweren Geldopfern von rivalisirenden Kollegen ab¬
kaufen läßt, ohne daß der Intendant, der seinen Vorschlägen nicht fortwährend
widersprechen mag. eine Spur von Verdacht hegt. Da sind Rollenmonopole
alteingesessener und halb invalid gewordener Celebritäten, an die nicht gerührt
werden kann, weil sie kontraktlich ausbedungen wurden. Da sind die kleinen
Künste raffinirten Zetteluugstalcntes, mit denen das Repertoire durchkreuzt wird,
und eine Menge andrer Motoren, von deren Existenz selbst die scharfsinnigste
Kvmbinationsgabe sich nichts träumen läßt und die doch allesamt sehr wichtige
Einwirkungen auf die Gestaltung des Kunstlebens üben, indem sie die Absichten
des Leiters der Bühne vereiteln oder mindestens erheblich verkümmern. Darf
man, wenn man kein Unrecht begehen will, von ihnen ganz absehen und sich
lediglich an die äußere Erscheinung der Dinge halten?

Eine Anklage gegen ein öffentliches Kunstinstitut zu erheben, ist für einen
kundigen und scharfen Beobachter nicht schwer, umsoweniger, wenn er gar seine


Botho von Hülsen und seine Leute.

sollt ihr sie erkennen" gilt ihm als Maxime, und das Ergebnis ist am Schlüsse
ein bedenkliches Defizit, welches den Verfasser zu dem boshaften Wunsche ver¬
anlaßt, Herrn von Hülsen möge es hinfort vergönnt sein, „in beschaulicher Ruhe"
den Abend seines Lebens zu genießen.

Gewiß gilt das biblische Wort von den meisten Arten menschlicher Thätig¬
keit und bis zu einem gewissen Grade auch von den Theatern. Ob aber auch
in gleichem Maße von einem Hoftheater, erscheint dem mindestens sehr zweifel¬
haft, dem es vergönnt war, einen Blick in das geheimnisvolle Innere eines
solchen von den seltsamsten Rücksichten, den wunderlichsten Launen und tausend
Zufälligkeiten beherrschten Mechanismus zu thun, welchem zum Leiter bestellt zu
werden sicherlich zu den allerundankbarsten Aufgaben dieser Welt gehört. Um
nicht Mißdeutungen zu veranlassen, muß ich hier die Versicherung einschalten,
daß mir der Theaterstaat des Herrn von Hülsen in seiner innern Einrichtung
und Verwaltung just ebenso fremd ist wie jedem andern Unbeteiligten. Aus
langjähriger genauer Beobachtung und Bekanntschaft jedoch mit den interne»
Verhältnissen eines andern Hoftheaters, welches zu den besten seiner Art zählt,
weiß ich, daß selbst der aufmerksamste Kritiker meist keine Ahnung von den
tausend Hemmnissen und Kulisseneinflüssen hat, welche den täglichen Kampf des
Chefs bilden und selbst die soldatisch-strammste Natur mitunter in Verzweiflung
bringen, weil sie sich oft stärker erweisen als der energischste Wille. Da ist ein
Prinz, der schlechterdings die erste Tragödin nicht leiden kann und deshalb seinen
ganzen Einfluß aufbietet, um gegen sie Stimmung zu machen und die höchsten
Kreise zu einem kleinen Kriege gegen den sie schützenden Intendanten zu mobili-
siren. Da ist ein Autor, der in der übermütigen Weinlaune durch ein unvor¬
sichtiges Wort eine hochgestellte Person zum Stichblatt aller Nachtischwitze bei
der höchsten Tafel gemacht hat und deshalb von der Bühne verbannt bleiben
muß, während ihm draußen alle Welt huldigt. Da ist ein Regisseur, der die
Rollenbesetzung sich mit schweren Geldopfern von rivalisirenden Kollegen ab¬
kaufen läßt, ohne daß der Intendant, der seinen Vorschlägen nicht fortwährend
widersprechen mag. eine Spur von Verdacht hegt. Da sind Rollenmonopole
alteingesessener und halb invalid gewordener Celebritäten, an die nicht gerührt
werden kann, weil sie kontraktlich ausbedungen wurden. Da sind die kleinen
Künste raffinirten Zetteluugstalcntes, mit denen das Repertoire durchkreuzt wird,
und eine Menge andrer Motoren, von deren Existenz selbst die scharfsinnigste
Kvmbinationsgabe sich nichts träumen läßt und die doch allesamt sehr wichtige
Einwirkungen auf die Gestaltung des Kunstlebens üben, indem sie die Absichten
des Leiters der Bühne vereiteln oder mindestens erheblich verkümmern. Darf
man, wenn man kein Unrecht begehen will, von ihnen ganz absehen und sich
lediglich an die äußere Erscheinung der Dinge halten?

Eine Anklage gegen ein öffentliches Kunstinstitut zu erheben, ist für einen
kundigen und scharfen Beobachter nicht schwer, umsoweniger, wenn er gar seine


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_154164/33>, abgerufen am 27.07.2024.