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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal.

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Francesca von Rimini.
Adam von Festenberg. Novelle von(Fortsetzung.)
8.

rst als er sich wieder eine Zeit allein fand, kam Oswald zu
sich selbst. Es war ein Erwachen wie aus einem Rausch, sein
Kopf war wüst, seine Seele traurig. Das also war das Weib,
an das ' er sein ganzes Herz gehängt hatte? Er geriet nicht
nur in Zorn gegen Margarethe, welche ihre Gefühle schneller
als ihre Toilette wechselte, sondern es ergriff ihn auch Ekel und Verachtung
gegen ihr ganzes Geschlecht. Feigheit und Frechheit sah er als Grundzug des
ganzen Charakters, und das, was er in Bitterkeit zu Margarethe über die
Straßendirne gesagt, war ihm bald ein unumstößliches Dogma. Der allgemein
menschliche Fehler, aus einem einzelnen Vorkommnis einen gemeingültigen Grund¬
satz zu machen, war auch unserm Freunde nicht fremd. Er kam zu dem Schlüsse,
daß man sich in einer solchen Versnmpftheit nur zurecht finden könne, wenn man
verachte und genieße. Unter so bittern Gedanken war Oswald durch das Ca-
dorethal gefahren, für dessen Schönheiten sein umdüsterter Blick blind war.
Erst in Tai ti Cadore lenkte der Geburtsort Tizians seinen Geist auf freuden¬
vollere Dinge, und er ging in Andacht neben dem Wagen den Weg, der von
diesem Örtchen nach Pieve ti Cadore führte, wo der große Meister seine Ju¬
gend verbracht und sich an der ihn umgebenden herrlichen Natur auch zu dem
Landschaftsmaler ausgebildet hatte, von dem seine Bilder ein so lebendiges
Zeugnis geben.

Durch die Begegnung mit Margarethen in der eben geschilderten Art hatte
die Moral und sittliche Weltanschauung Oswalds einen schweren Stoß erhalten.
Vielleicht würde er sich von demselben erholt haben, wenn er sich sofort in die
Stille seiner Werkstatt zu strenger Arbeit hätte zurückziehen können. Allein die
Unruhe des Reiselebens, die sinnlichen Eindrücke, welche die Großartigkeit von




Francesca von Rimini.
Adam von Festenberg. Novelle von(Fortsetzung.)
8.

rst als er sich wieder eine Zeit allein fand, kam Oswald zu
sich selbst. Es war ein Erwachen wie aus einem Rausch, sein
Kopf war wüst, seine Seele traurig. Das also war das Weib,
an das ' er sein ganzes Herz gehängt hatte? Er geriet nicht
nur in Zorn gegen Margarethe, welche ihre Gefühle schneller
als ihre Toilette wechselte, sondern es ergriff ihn auch Ekel und Verachtung
gegen ihr ganzes Geschlecht. Feigheit und Frechheit sah er als Grundzug des
ganzen Charakters, und das, was er in Bitterkeit zu Margarethe über die
Straßendirne gesagt, war ihm bald ein unumstößliches Dogma. Der allgemein
menschliche Fehler, aus einem einzelnen Vorkommnis einen gemeingültigen Grund¬
satz zu machen, war auch unserm Freunde nicht fremd. Er kam zu dem Schlüsse,
daß man sich in einer solchen Versnmpftheit nur zurecht finden könne, wenn man
verachte und genieße. Unter so bittern Gedanken war Oswald durch das Ca-
dorethal gefahren, für dessen Schönheiten sein umdüsterter Blick blind war.
Erst in Tai ti Cadore lenkte der Geburtsort Tizians seinen Geist auf freuden¬
vollere Dinge, und er ging in Andacht neben dem Wagen den Weg, der von
diesem Örtchen nach Pieve ti Cadore führte, wo der große Meister seine Ju¬
gend verbracht und sich an der ihn umgebenden herrlichen Natur auch zu dem
Landschaftsmaler ausgebildet hatte, von dem seine Bilder ein so lebendiges
Zeugnis geben.

Durch die Begegnung mit Margarethen in der eben geschilderten Art hatte
die Moral und sittliche Weltanschauung Oswalds einen schweren Stoß erhalten.
Vielleicht würde er sich von demselben erholt haben, wenn er sich sofort in die
Stille seiner Werkstatt zu strenger Arbeit hätte zurückziehen können. Allein die
Unruhe des Reiselebens, die sinnlichen Eindrücke, welche die Großartigkeit von


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[0327] [Abbildung] Francesca von Rimini. Adam von Festenberg. Novelle von(Fortsetzung.) 8. rst als er sich wieder eine Zeit allein fand, kam Oswald zu sich selbst. Es war ein Erwachen wie aus einem Rausch, sein Kopf war wüst, seine Seele traurig. Das also war das Weib, an das ' er sein ganzes Herz gehängt hatte? Er geriet nicht nur in Zorn gegen Margarethe, welche ihre Gefühle schneller als ihre Toilette wechselte, sondern es ergriff ihn auch Ekel und Verachtung gegen ihr ganzes Geschlecht. Feigheit und Frechheit sah er als Grundzug des ganzen Charakters, und das, was er in Bitterkeit zu Margarethe über die Straßendirne gesagt, war ihm bald ein unumstößliches Dogma. Der allgemein menschliche Fehler, aus einem einzelnen Vorkommnis einen gemeingültigen Grund¬ satz zu machen, war auch unserm Freunde nicht fremd. Er kam zu dem Schlüsse, daß man sich in einer solchen Versnmpftheit nur zurecht finden könne, wenn man verachte und genieße. Unter so bittern Gedanken war Oswald durch das Ca- dorethal gefahren, für dessen Schönheiten sein umdüsterter Blick blind war. Erst in Tai ti Cadore lenkte der Geburtsort Tizians seinen Geist auf freuden¬ vollere Dinge, und er ging in Andacht neben dem Wagen den Weg, der von diesem Örtchen nach Pieve ti Cadore führte, wo der große Meister seine Ju¬ gend verbracht und sich an der ihn umgebenden herrlichen Natur auch zu dem Landschaftsmaler ausgebildet hatte, von dem seine Bilder ein so lebendiges Zeugnis geben. Durch die Begegnung mit Margarethen in der eben geschilderten Art hatte die Moral und sittliche Weltanschauung Oswalds einen schweren Stoß erhalten. Vielleicht würde er sich von demselben erholt haben, wenn er sich sofort in die Stille seiner Werkstatt zu strenger Arbeit hätte zurückziehen können. Allein die Unruhe des Reiselebens, die sinnlichen Eindrücke, welche die Großartigkeit von

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_154164/327>, abgerufen am 28.07.2024.