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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal.

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Gedanken über Goethe.

Ihr sprecht schon fast wie, ein Franzos,
Doch bitt' ich, laßt's Euch nicht verdrießen:
Was hilft's nur grade zu genießen?
Die Freud' ist lauge nicht so groß,
Als wenn Ihr erst herauf, herum,
Durch allerlei Brimborium,
Das Püppchen geknetet und zugericht,
Wie's lehrt manche welsche Geschicht.

Dasselbe Wort "welsch" als Ausdruck der Verachtung in der "Dritten Wall¬
fahrt nach Erwins Grabe": "So sei es denn mein Schicksal, wie es dein
Schicksal ist, himmelanstrcbender Thurm, und deines, weitverbreitete Welt Gottes,
angegafft und läppchcnweise in den Gehirnchen der Wnlschcn aller Völker aus¬
tapeziert zu werden." Auch im "Egmont" in der ersten Szene: "Brannten
und sengten die wülschen Hunde nicht durch ganz Flandern?" "Mußte doch
die wälsche Majestät gleich das Pfötchen reichen und Friede machen!" So auch
im "Ewigen Juden":


Und wie sein Binder wiilscht und sprach,
Durst er auch wtilschcn eins darnach.

Als Wortemacher und geschickt in wohlgesetzter Schmeichelei erscheint der Fran¬
zose in den "Vögeln": Treufrennd hat vor den versammelten Vögeln eine Rede
gehalten, und der erste Vogel sagt: er spricht gut, der zweite: ganz allerliebst,
der dritte: ich wollte, ihr hörtet die Sache, nicht die Worte, und Hoffegut setzt
hinzu: es ist, als wenn ein Franzos unter die Deutschen kommt. Und der
Dichter selbst schreibt, nachdem er die Korrespondenz des Barons von Grimm
aus Paris gelesen, an Knebel (17. Oktober 1812): "Die nordischen Heroen,
Katharina, Friedrich, Gustav, der Erbprinz von Braunschweig und andre er¬
scheinen als erbärmliche Tributärs des französischen Sprach- und Schwatzüber¬
gewichts."

Auch die andern Nachbarn, die Flämingc. erhalten ihr Teil: ein flämisch
Gesicht machen, heißt soviel, als ein mürrisches, verdrossenes. Der Ausdruck
kehrt bei Goethe mehr als einmal wieder, wir begnügen uns, die eine Stelle
aus "Wilhelm Meister" 4, 19 anzuführen: "Sie machten unserem Freunde
nicht bloß durch ihre Gegenwart, sondern auch oft durch flämische Gesichter und
bittere Reden einen verdrießlichen Augenblick." Als aufgeputzter, jähzorniger
Mann erscheint der Polacke im "Götz": "Wißt Ihr noch, wie ich mit dem
Polacken Händel kriegte, dem ich sein gepicht und gekräuselt Haar von un¬
gefähr mit dem Ärmel verwischte?*) Es war bei Tische und er stach nach Euch



*) Der "Polack" ist aber nicht von Goethe, sondern stammt, wie die ganze Stelle,
aus der Lebensbeschreibung des Götz. D. Red.
Gedanken über Goethe.

Ihr sprecht schon fast wie, ein Franzos,
Doch bitt' ich, laßt's Euch nicht verdrießen:
Was hilft's nur grade zu genießen?
Die Freud' ist lauge nicht so groß,
Als wenn Ihr erst herauf, herum,
Durch allerlei Brimborium,
Das Püppchen geknetet und zugericht,
Wie's lehrt manche welsche Geschicht.

Dasselbe Wort „welsch" als Ausdruck der Verachtung in der „Dritten Wall¬
fahrt nach Erwins Grabe": „So sei es denn mein Schicksal, wie es dein
Schicksal ist, himmelanstrcbender Thurm, und deines, weitverbreitete Welt Gottes,
angegafft und läppchcnweise in den Gehirnchen der Wnlschcn aller Völker aus¬
tapeziert zu werden." Auch im „Egmont" in der ersten Szene: „Brannten
und sengten die wülschen Hunde nicht durch ganz Flandern?" „Mußte doch
die wälsche Majestät gleich das Pfötchen reichen und Friede machen!" So auch
im „Ewigen Juden":


Und wie sein Binder wiilscht und sprach,
Durst er auch wtilschcn eins darnach.

Als Wortemacher und geschickt in wohlgesetzter Schmeichelei erscheint der Fran¬
zose in den „Vögeln": Treufrennd hat vor den versammelten Vögeln eine Rede
gehalten, und der erste Vogel sagt: er spricht gut, der zweite: ganz allerliebst,
der dritte: ich wollte, ihr hörtet die Sache, nicht die Worte, und Hoffegut setzt
hinzu: es ist, als wenn ein Franzos unter die Deutschen kommt. Und der
Dichter selbst schreibt, nachdem er die Korrespondenz des Barons von Grimm
aus Paris gelesen, an Knebel (17. Oktober 1812): „Die nordischen Heroen,
Katharina, Friedrich, Gustav, der Erbprinz von Braunschweig und andre er¬
scheinen als erbärmliche Tributärs des französischen Sprach- und Schwatzüber¬
gewichts."

Auch die andern Nachbarn, die Flämingc. erhalten ihr Teil: ein flämisch
Gesicht machen, heißt soviel, als ein mürrisches, verdrossenes. Der Ausdruck
kehrt bei Goethe mehr als einmal wieder, wir begnügen uns, die eine Stelle
aus „Wilhelm Meister" 4, 19 anzuführen: „Sie machten unserem Freunde
nicht bloß durch ihre Gegenwart, sondern auch oft durch flämische Gesichter und
bittere Reden einen verdrießlichen Augenblick." Als aufgeputzter, jähzorniger
Mann erscheint der Polacke im „Götz": „Wißt Ihr noch, wie ich mit dem
Polacken Händel kriegte, dem ich sein gepicht und gekräuselt Haar von un¬
gefähr mit dem Ärmel verwischte?*) Es war bei Tische und er stach nach Euch



*) Der „Polack" ist aber nicht von Goethe, sondern stammt, wie die ganze Stelle,
aus der Lebensbeschreibung des Götz. D. Red.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_154164/312>, abgerufen am 28.07.2024.