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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal.

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Francesca von Rimini.

offen ließen die Offiziere es sich an der reich besetzten Tafel Genöves recht gut
schmecken und verkehrten mit den Damen des Hauses in einer ungezwungenen
Weise. Wenn sie unter sich waren, wurden dagegen alle Schwächen der Empor¬
kömmlinge schonungslos bloßgelegt. Frau Genöve glaubte sich auf dem Gipfel
ihres Strebens; endlich war sie mitten in dem aristokratischen Verkehr, endlich
war die Aussicht, ihre Tochter mit einer freihcrrlichen Krone geschmückt zu
sehen, näher getreten. Sie machte auch Margarethe gegenüber kein Hehl von
ihren Hoffnungen, und obwohl diese dergleichen Reden zuerst mit Unwillen zu
hören schien, allmählich ließ sie sich diese gefallen, ja sie stimmte selbst zuweilen
in das Lob des einen oder andern Offiziers ein und fand, daß es sich in ihren
Kreisen recht angenehm lebe.

Auf Großheims Zureden hatte auch Oswald mehrere Wochen Stillschweigen
beobachtet und versprochen, weitere Schritte erst dann unternehmen zu wollen,
wenn die Familie Gensve nach Berlin zurückgekehrt sein würde. Als diese
Rückkehr stattgefunden hatte, machte er mehrfache Besuche bei Genöves, wurde
aber immer mit dem Vorgebe", daß die Herrschaft abwesend sei, von den Dienern
zurückgewiesen. Oswald hatte offenbare Beweise, daß diese Abweisungen beab¬
sichtigte Ausflüchte waren, er wurde immer unruhiger und begann allmählich
auch an Margarethens Gesinnung zu zweifeln, sodaß er endlich beschloß, ihr
einen Brief zu schreiben, in welchem er ihr die Qualen feines Seelenzustandes
schilderte, sie an ihre ermutigende Äußerung erinnerte und sie beschwor, ihm dnrch
eine versichernde Antwort ein Zeichen ihrer fortdauernden Liebe zu geben.
Mit vieler List hatte er es verstanden, den Brief durch einen Diener in Mar¬
garethens Hände zu spielen. Oswald war an der Grenze des Harrens ange¬
langt; wie ein zum Tode Verurteilter, welcher der Bestätigung des Urteils
oder der Begnadigung entgegensieht, wollte er lieber die vernichtende Gewißheit
als den mit langsamer Todesqual verbundenen Zweifel. Margarethens Ant¬
wort war ein Gemisch von Liebe und Zurückweisung, von Hingebung und Ab¬
wendung. Der Hauptinhalt aber war, daß sie den Widerstand der Eltern nicht
würde überwinden und ohne deren Einwilligung nicht würde heiraten können.
Nachdem sie die Antwort an Oswald abgeschickt hatte, machte sie ihren Eltern
von derselben und dem Briefe Mitteilung. Die Eltern zeigten sich über diese
neue hinter ihrem Rücken gespickte Intrigue empört. Sie ergriffen aber gleich¬
zeitig die Gelegenheit, der Tochter zum erstenmale die uneheliche Geburt Oswalds
vorzustellen und fragten sie, ob sie ihrer Mutter zumuten könnte, eine Person
wie Hedwig als nahe Verwandte aufzunehmen. Ware Oswald ein offener und
ehrlicher Charakter, so hätte er dem Mädchen von seiner Geburt bei seiner
Werbung Kenntnis geben müssen, sein Schweigen über diesen so wichtigen Gegen¬
stand -- so argumentirte Frau Bertha -- sei aber der gröbste Betrug, und
er sei nur darauf bedacht gewesen, Margarethe in sein Netz einzufangen, ehe
ihr klar werden sollte, in welche Familie sie trete. Diesen Anschuldigungen gegen-


Francesca von Rimini.

offen ließen die Offiziere es sich an der reich besetzten Tafel Genöves recht gut
schmecken und verkehrten mit den Damen des Hauses in einer ungezwungenen
Weise. Wenn sie unter sich waren, wurden dagegen alle Schwächen der Empor¬
kömmlinge schonungslos bloßgelegt. Frau Genöve glaubte sich auf dem Gipfel
ihres Strebens; endlich war sie mitten in dem aristokratischen Verkehr, endlich
war die Aussicht, ihre Tochter mit einer freihcrrlichen Krone geschmückt zu
sehen, näher getreten. Sie machte auch Margarethe gegenüber kein Hehl von
ihren Hoffnungen, und obwohl diese dergleichen Reden zuerst mit Unwillen zu
hören schien, allmählich ließ sie sich diese gefallen, ja sie stimmte selbst zuweilen
in das Lob des einen oder andern Offiziers ein und fand, daß es sich in ihren
Kreisen recht angenehm lebe.

Auf Großheims Zureden hatte auch Oswald mehrere Wochen Stillschweigen
beobachtet und versprochen, weitere Schritte erst dann unternehmen zu wollen,
wenn die Familie Gensve nach Berlin zurückgekehrt sein würde. Als diese
Rückkehr stattgefunden hatte, machte er mehrfache Besuche bei Genöves, wurde
aber immer mit dem Vorgebe», daß die Herrschaft abwesend sei, von den Dienern
zurückgewiesen. Oswald hatte offenbare Beweise, daß diese Abweisungen beab¬
sichtigte Ausflüchte waren, er wurde immer unruhiger und begann allmählich
auch an Margarethens Gesinnung zu zweifeln, sodaß er endlich beschloß, ihr
einen Brief zu schreiben, in welchem er ihr die Qualen feines Seelenzustandes
schilderte, sie an ihre ermutigende Äußerung erinnerte und sie beschwor, ihm dnrch
eine versichernde Antwort ein Zeichen ihrer fortdauernden Liebe zu geben.
Mit vieler List hatte er es verstanden, den Brief durch einen Diener in Mar¬
garethens Hände zu spielen. Oswald war an der Grenze des Harrens ange¬
langt; wie ein zum Tode Verurteilter, welcher der Bestätigung des Urteils
oder der Begnadigung entgegensieht, wollte er lieber die vernichtende Gewißheit
als den mit langsamer Todesqual verbundenen Zweifel. Margarethens Ant¬
wort war ein Gemisch von Liebe und Zurückweisung, von Hingebung und Ab¬
wendung. Der Hauptinhalt aber war, daß sie den Widerstand der Eltern nicht
würde überwinden und ohne deren Einwilligung nicht würde heiraten können.
Nachdem sie die Antwort an Oswald abgeschickt hatte, machte sie ihren Eltern
von derselben und dem Briefe Mitteilung. Die Eltern zeigten sich über diese
neue hinter ihrem Rücken gespickte Intrigue empört. Sie ergriffen aber gleich¬
zeitig die Gelegenheit, der Tochter zum erstenmale die uneheliche Geburt Oswalds
vorzustellen und fragten sie, ob sie ihrer Mutter zumuten könnte, eine Person
wie Hedwig als nahe Verwandte aufzunehmen. Ware Oswald ein offener und
ehrlicher Charakter, so hätte er dem Mädchen von seiner Geburt bei seiner
Werbung Kenntnis geben müssen, sein Schweigen über diesen so wichtigen Gegen¬
stand — so argumentirte Frau Bertha — sei aber der gröbste Betrug, und
er sei nur darauf bedacht gewesen, Margarethe in sein Netz einzufangen, ehe
ihr klar werden sollte, in welche Familie sie trete. Diesen Anschuldigungen gegen-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_154164/220>, abgerufen am 27.07.2024.