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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal.

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Francesca von Rimini.

aber in einer Weise, die jedes Aufsehen vermeiden sollte. Großheim wurde be¬
auftragt, diesen Entschluß des Freundes den Verwandten zu überbringen. Aber
noch ehe dieser Oswald von dem Ergebnis seiner Mission benachrichtigen konnte,
kam ein Brief von Frau Genöve, in welchem sie die Absicht Oswalds, sich
zurückzuziehen, als eine Künstlerlaunc bezeichnete, ihn beschwor, von so düsteren
Plänen abzustehen und ihrem Hause wie seiner Zukunft mehr Vertrauen ent¬
gegenzubringen. Ohne ihn würde das Fest jedes Glanzes entbehren, und sie
lud ihn daher für den Abend zu einer ganz vertraulichen Besprechung ein.
Oswald kam der Aufforderung nach; er fand am Abend nur die Familie an¬
wesend, wurde von den Eltern mit einer auszeichnenden Vertraulichkeit behandelt
und vor deren Augen bei der Verabschiedung allein von Margarethe zur Thür
begleitet, die ihn zu seiner großen Überraschung bat, ein wenig seine Ungeduld
zu dämpfen und alles, was sie beide so bewege, bis nach dem Feste aufzuschieben.
Wie berauscht von diesen Worten hatte Oswald den Heimweg angetreten. Wie
auf den antiken Gedenksteinen der lapidare Stil mit wenigen Worten ein ganzes
Leben enthüllt und eine reiche Vergangenheit aufdeckt, so reichte dieser eine hin¬
geworfene Satz hin, ihn einen kurzen Blick auf eine lange, freudenreiche Zukunft
werfen zu lassen. Wie trunken von dem Becher höchster Lust war er nach
Hanse gewankt, mitten im Winter durch den schneebedeckten Park, der ihn nach
seiner Wohnung führte. Wie er dort ankam, vermochte er kaum zu sagen, in¬
stinktiv nur hatte er den Weg gefunden; denn seine Gedanken gehörten nicht
mehr der Gegenwart, sie saugten sich fest an dem, was er soeben von ihren
Lippen vernommen, sie schwelgten in den heitern Bildern einer glückverheißenden
Ferne.


Denke der Nacht ich zurück, da zuletzt ich in deinen Mauern,
Roma, verweilt --

Kein Schlummer schloß die Augen, alles in ihm zitterte und bebte; daß
so schnell das Ziel erreicht würde, wer hätte es nur ahnen können! Er prägte
sich aufs neue jedes Wort ein, das sie ihm gesagt hatte; er zerlegte es, er
zerquülte sein Hirn mit jeder nur möglichen Auslegung. Aber nur zu deutlich
war ja alles und noch dazu gleichsam unter den Augen der Eltern geschehen.
Er wußte nicht, daß auch das Glück erschüttern konnte, und sehnte den Morgen
herbei, um zu seinem Freunde Großheim zu eilen und in dessen treue Brust
sein volles Herz auszuschütten.

Der Freund teilte den Enthusiasmus keineswegs, weil er immer nur aus¬
weichende Antworten von Onkel und Tante erhalten hatte; auch erachtete er
die Neigung Margarethens nicht für unwandelbar. Oswald jedoch hielt sich,
wie er sagte, an seinen Schein, an jene Worte des Mädchens, die einen Zweifel
nicht zuließen. In den nächsten Wochen ging er ganz in den Vorbereitungen
zu dem Feste auf, er übertraf sich selbst in seinen Zeichnungen und Arrange¬
ments, und sein Verkehr mit Margarethe, die er bei den vielen Proben und


Francesca von Rimini.

aber in einer Weise, die jedes Aufsehen vermeiden sollte. Großheim wurde be¬
auftragt, diesen Entschluß des Freundes den Verwandten zu überbringen. Aber
noch ehe dieser Oswald von dem Ergebnis seiner Mission benachrichtigen konnte,
kam ein Brief von Frau Genöve, in welchem sie die Absicht Oswalds, sich
zurückzuziehen, als eine Künstlerlaunc bezeichnete, ihn beschwor, von so düsteren
Plänen abzustehen und ihrem Hause wie seiner Zukunft mehr Vertrauen ent¬
gegenzubringen. Ohne ihn würde das Fest jedes Glanzes entbehren, und sie
lud ihn daher für den Abend zu einer ganz vertraulichen Besprechung ein.
Oswald kam der Aufforderung nach; er fand am Abend nur die Familie an¬
wesend, wurde von den Eltern mit einer auszeichnenden Vertraulichkeit behandelt
und vor deren Augen bei der Verabschiedung allein von Margarethe zur Thür
begleitet, die ihn zu seiner großen Überraschung bat, ein wenig seine Ungeduld
zu dämpfen und alles, was sie beide so bewege, bis nach dem Feste aufzuschieben.
Wie berauscht von diesen Worten hatte Oswald den Heimweg angetreten. Wie
auf den antiken Gedenksteinen der lapidare Stil mit wenigen Worten ein ganzes
Leben enthüllt und eine reiche Vergangenheit aufdeckt, so reichte dieser eine hin¬
geworfene Satz hin, ihn einen kurzen Blick auf eine lange, freudenreiche Zukunft
werfen zu lassen. Wie trunken von dem Becher höchster Lust war er nach
Hanse gewankt, mitten im Winter durch den schneebedeckten Park, der ihn nach
seiner Wohnung führte. Wie er dort ankam, vermochte er kaum zu sagen, in¬
stinktiv nur hatte er den Weg gefunden; denn seine Gedanken gehörten nicht
mehr der Gegenwart, sie saugten sich fest an dem, was er soeben von ihren
Lippen vernommen, sie schwelgten in den heitern Bildern einer glückverheißenden
Ferne.


Denke der Nacht ich zurück, da zuletzt ich in deinen Mauern,
Roma, verweilt —

Kein Schlummer schloß die Augen, alles in ihm zitterte und bebte; daß
so schnell das Ziel erreicht würde, wer hätte es nur ahnen können! Er prägte
sich aufs neue jedes Wort ein, das sie ihm gesagt hatte; er zerlegte es, er
zerquülte sein Hirn mit jeder nur möglichen Auslegung. Aber nur zu deutlich
war ja alles und noch dazu gleichsam unter den Augen der Eltern geschehen.
Er wußte nicht, daß auch das Glück erschüttern konnte, und sehnte den Morgen
herbei, um zu seinem Freunde Großheim zu eilen und in dessen treue Brust
sein volles Herz auszuschütten.

Der Freund teilte den Enthusiasmus keineswegs, weil er immer nur aus¬
weichende Antworten von Onkel und Tante erhalten hatte; auch erachtete er
die Neigung Margarethens nicht für unwandelbar. Oswald jedoch hielt sich,
wie er sagte, an seinen Schein, an jene Worte des Mädchens, die einen Zweifel
nicht zuließen. In den nächsten Wochen ging er ganz in den Vorbereitungen
zu dem Feste auf, er übertraf sich selbst in seinen Zeichnungen und Arrange¬
ments, und sein Verkehr mit Margarethe, die er bei den vielen Proben und


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[0215] Francesca von Rimini. aber in einer Weise, die jedes Aufsehen vermeiden sollte. Großheim wurde be¬ auftragt, diesen Entschluß des Freundes den Verwandten zu überbringen. Aber noch ehe dieser Oswald von dem Ergebnis seiner Mission benachrichtigen konnte, kam ein Brief von Frau Genöve, in welchem sie die Absicht Oswalds, sich zurückzuziehen, als eine Künstlerlaunc bezeichnete, ihn beschwor, von so düsteren Plänen abzustehen und ihrem Hause wie seiner Zukunft mehr Vertrauen ent¬ gegenzubringen. Ohne ihn würde das Fest jedes Glanzes entbehren, und sie lud ihn daher für den Abend zu einer ganz vertraulichen Besprechung ein. Oswald kam der Aufforderung nach; er fand am Abend nur die Familie an¬ wesend, wurde von den Eltern mit einer auszeichnenden Vertraulichkeit behandelt und vor deren Augen bei der Verabschiedung allein von Margarethe zur Thür begleitet, die ihn zu seiner großen Überraschung bat, ein wenig seine Ungeduld zu dämpfen und alles, was sie beide so bewege, bis nach dem Feste aufzuschieben. Wie berauscht von diesen Worten hatte Oswald den Heimweg angetreten. Wie auf den antiken Gedenksteinen der lapidare Stil mit wenigen Worten ein ganzes Leben enthüllt und eine reiche Vergangenheit aufdeckt, so reichte dieser eine hin¬ geworfene Satz hin, ihn einen kurzen Blick auf eine lange, freudenreiche Zukunft werfen zu lassen. Wie trunken von dem Becher höchster Lust war er nach Hanse gewankt, mitten im Winter durch den schneebedeckten Park, der ihn nach seiner Wohnung führte. Wie er dort ankam, vermochte er kaum zu sagen, in¬ stinktiv nur hatte er den Weg gefunden; denn seine Gedanken gehörten nicht mehr der Gegenwart, sie saugten sich fest an dem, was er soeben von ihren Lippen vernommen, sie schwelgten in den heitern Bildern einer glückverheißenden Ferne. Denke der Nacht ich zurück, da zuletzt ich in deinen Mauern, Roma, verweilt — Kein Schlummer schloß die Augen, alles in ihm zitterte und bebte; daß so schnell das Ziel erreicht würde, wer hätte es nur ahnen können! Er prägte sich aufs neue jedes Wort ein, das sie ihm gesagt hatte; er zerlegte es, er zerquülte sein Hirn mit jeder nur möglichen Auslegung. Aber nur zu deutlich war ja alles und noch dazu gleichsam unter den Augen der Eltern geschehen. Er wußte nicht, daß auch das Glück erschüttern konnte, und sehnte den Morgen herbei, um zu seinem Freunde Großheim zu eilen und in dessen treue Brust sein volles Herz auszuschütten. Der Freund teilte den Enthusiasmus keineswegs, weil er immer nur aus¬ weichende Antworten von Onkel und Tante erhalten hatte; auch erachtete er die Neigung Margarethens nicht für unwandelbar. Oswald jedoch hielt sich, wie er sagte, an seinen Schein, an jene Worte des Mädchens, die einen Zweifel nicht zuließen. In den nächsten Wochen ging er ganz in den Vorbereitungen zu dem Feste auf, er übertraf sich selbst in seinen Zeichnungen und Arrange¬ ments, und sein Verkehr mit Margarethe, die er bei den vielen Proben und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_154164/215>, abgerufen am 27.07.2024.