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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal.

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Zur Vereinfachung des gegenwärtigen Strafvollzuges.

wirtschaft in der Lage, für Boden- und sonstige bleibende Verbesserungen Geld
auszugeben, so findet der bessere, arbeitsfähige und fleißige Teil jener Leute,
die sich aus Not dem Landstreichertum ergeben mußten, lohnende Beschäftigung
und Verdienst, das Heer der Landstreicher vermindert sich. Dagegen vermehrt
es sich, wenn die genannten Gebiete Not leiden und zur UnProduktivität ge¬
zwungen sind.

Nicht unerheblich mögen auch die neuerdings in verschiednen Teile Deutsch¬
lands errichteten provinziellen Zwangsarbeitshäuser nach dem System des Pastors
von Bodelschwingh zur Verminderung des Landstreichertums beitragen; allein der
Einfluß dieser Anstalten wird in der Hauptsache doch nur ein lokaler bleiben,
der großen Masse der Landstreicher gegenüber werden sich vereinzelte derartige
Anstalten ziemlich machtlos erweisen.

Wir wollen keine Betrachtungen darüber anstellen, welche nützlichen und pro¬
duktiven Zwecke durch jene 102 000000 Mark, welche das Landstreichertum und
das Gefangenwesen in Deutschland alljährlich in der unproduktivsten Weise ver¬
schlingen, gefördert werden könnten; unsre Absicht geht vielmehr dahin, zu unter¬
suchen, wie der gegenwärtige Strafvollzug, ohne seinen Zweck zu schädigen, ver¬
einfacht, d. h. minder kostspielig gemacht werden könne.

Um im voraus den Borwurf abzuweisen, der uns von seiten enragirter
Strafanstaltsbeamten unter allen Umständen gemacht werden wird, daß nämlich
unsre Rechnung, nach welcher der Unterhalt eines Gefangenen täglich mindestens
eine Mark kostet, falsch sei, möge folgendes zur Begründung vorangehen.

Wir wissen sehr wohl, daß sich namentlich unter den zu langen Zeitstrafen
oder auf Lebenszeit verurteilten Züchtlingen eine erhebliche Anzahl von Indi¬
viduen befindet, die sich durch Fleiß und Geschick auszeichnen und somit wesentlich
zu ihren Unterhaltskosten beitragen, unter Umständen und in Ausnahmefällen
sogar mehr verdienen und Überschuß machen. Doch sind das / wie jeder vor¬
urteilsfreie Praktiker ohne weiteres zugeben wird, eben nur Ausnahmen, welche
die Regel nicht umstoßen und dadurch wieder wesentlich an Wirkung verlieren,
daß auf der andern Seite unter den Züchtlingen sich nicht wenige befinden, die
infolge ihrer Gefährlichkeit nicht mit Arbeiten beschäftigt werden können, zu deren
Betriebe Instrumente und Materialien erforderlich sind, welche zu Fluchtversuchen,
Angriffen gegen das Leben und die Gesundheit der Beamten oder sonstigen Aus¬
schreitungen verwendbar sind. Solche Züchtlinge werden mit Federschlcißcn,
Kaffeelesen, Dtttenllcben u. dergl. beschäftigt, Arbeiten, die sich natürlich nur
schlecht lohnen und bei denen von Überverdienst nicht die Rede sein kann.

Außer diesen aus sicherheitspolizeilichen Gründen nur mit wenig lohnenden
Arbeiten zu beschäftigenden Züchtlingen giebt es aber auch eine Anzahl solcher, die
man in den sogenannten Jrrenstationen unterbringt oder die durch lange Haft
arbeitsunfähig geworden sind. Die Jrrenstationen, besondre Gebäude innerhalb
der Anstaltsmauern und zur allgemeinen Krankenstation gehörig, sind Institute,


Zur Vereinfachung des gegenwärtigen Strafvollzuges.

wirtschaft in der Lage, für Boden- und sonstige bleibende Verbesserungen Geld
auszugeben, so findet der bessere, arbeitsfähige und fleißige Teil jener Leute,
die sich aus Not dem Landstreichertum ergeben mußten, lohnende Beschäftigung
und Verdienst, das Heer der Landstreicher vermindert sich. Dagegen vermehrt
es sich, wenn die genannten Gebiete Not leiden und zur UnProduktivität ge¬
zwungen sind.

Nicht unerheblich mögen auch die neuerdings in verschiednen Teile Deutsch¬
lands errichteten provinziellen Zwangsarbeitshäuser nach dem System des Pastors
von Bodelschwingh zur Verminderung des Landstreichertums beitragen; allein der
Einfluß dieser Anstalten wird in der Hauptsache doch nur ein lokaler bleiben,
der großen Masse der Landstreicher gegenüber werden sich vereinzelte derartige
Anstalten ziemlich machtlos erweisen.

Wir wollen keine Betrachtungen darüber anstellen, welche nützlichen und pro¬
duktiven Zwecke durch jene 102 000000 Mark, welche das Landstreichertum und
das Gefangenwesen in Deutschland alljährlich in der unproduktivsten Weise ver¬
schlingen, gefördert werden könnten; unsre Absicht geht vielmehr dahin, zu unter¬
suchen, wie der gegenwärtige Strafvollzug, ohne seinen Zweck zu schädigen, ver¬
einfacht, d. h. minder kostspielig gemacht werden könne.

Um im voraus den Borwurf abzuweisen, der uns von seiten enragirter
Strafanstaltsbeamten unter allen Umständen gemacht werden wird, daß nämlich
unsre Rechnung, nach welcher der Unterhalt eines Gefangenen täglich mindestens
eine Mark kostet, falsch sei, möge folgendes zur Begründung vorangehen.

Wir wissen sehr wohl, daß sich namentlich unter den zu langen Zeitstrafen
oder auf Lebenszeit verurteilten Züchtlingen eine erhebliche Anzahl von Indi¬
viduen befindet, die sich durch Fleiß und Geschick auszeichnen und somit wesentlich
zu ihren Unterhaltskosten beitragen, unter Umständen und in Ausnahmefällen
sogar mehr verdienen und Überschuß machen. Doch sind das / wie jeder vor¬
urteilsfreie Praktiker ohne weiteres zugeben wird, eben nur Ausnahmen, welche
die Regel nicht umstoßen und dadurch wieder wesentlich an Wirkung verlieren,
daß auf der andern Seite unter den Züchtlingen sich nicht wenige befinden, die
infolge ihrer Gefährlichkeit nicht mit Arbeiten beschäftigt werden können, zu deren
Betriebe Instrumente und Materialien erforderlich sind, welche zu Fluchtversuchen,
Angriffen gegen das Leben und die Gesundheit der Beamten oder sonstigen Aus¬
schreitungen verwendbar sind. Solche Züchtlinge werden mit Federschlcißcn,
Kaffeelesen, Dtttenllcben u. dergl. beschäftigt, Arbeiten, die sich natürlich nur
schlecht lohnen und bei denen von Überverdienst nicht die Rede sein kann.

Außer diesen aus sicherheitspolizeilichen Gründen nur mit wenig lohnenden
Arbeiten zu beschäftigenden Züchtlingen giebt es aber auch eine Anzahl solcher, die
man in den sogenannten Jrrenstationen unterbringt oder die durch lange Haft
arbeitsunfähig geworden sind. Die Jrrenstationen, besondre Gebäude innerhalb
der Anstaltsmauern und zur allgemeinen Krankenstation gehörig, sind Institute,


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[0184] Zur Vereinfachung des gegenwärtigen Strafvollzuges. wirtschaft in der Lage, für Boden- und sonstige bleibende Verbesserungen Geld auszugeben, so findet der bessere, arbeitsfähige und fleißige Teil jener Leute, die sich aus Not dem Landstreichertum ergeben mußten, lohnende Beschäftigung und Verdienst, das Heer der Landstreicher vermindert sich. Dagegen vermehrt es sich, wenn die genannten Gebiete Not leiden und zur UnProduktivität ge¬ zwungen sind. Nicht unerheblich mögen auch die neuerdings in verschiednen Teile Deutsch¬ lands errichteten provinziellen Zwangsarbeitshäuser nach dem System des Pastors von Bodelschwingh zur Verminderung des Landstreichertums beitragen; allein der Einfluß dieser Anstalten wird in der Hauptsache doch nur ein lokaler bleiben, der großen Masse der Landstreicher gegenüber werden sich vereinzelte derartige Anstalten ziemlich machtlos erweisen. Wir wollen keine Betrachtungen darüber anstellen, welche nützlichen und pro¬ duktiven Zwecke durch jene 102 000000 Mark, welche das Landstreichertum und das Gefangenwesen in Deutschland alljährlich in der unproduktivsten Weise ver¬ schlingen, gefördert werden könnten; unsre Absicht geht vielmehr dahin, zu unter¬ suchen, wie der gegenwärtige Strafvollzug, ohne seinen Zweck zu schädigen, ver¬ einfacht, d. h. minder kostspielig gemacht werden könne. Um im voraus den Borwurf abzuweisen, der uns von seiten enragirter Strafanstaltsbeamten unter allen Umständen gemacht werden wird, daß nämlich unsre Rechnung, nach welcher der Unterhalt eines Gefangenen täglich mindestens eine Mark kostet, falsch sei, möge folgendes zur Begründung vorangehen. Wir wissen sehr wohl, daß sich namentlich unter den zu langen Zeitstrafen oder auf Lebenszeit verurteilten Züchtlingen eine erhebliche Anzahl von Indi¬ viduen befindet, die sich durch Fleiß und Geschick auszeichnen und somit wesentlich zu ihren Unterhaltskosten beitragen, unter Umständen und in Ausnahmefällen sogar mehr verdienen und Überschuß machen. Doch sind das / wie jeder vor¬ urteilsfreie Praktiker ohne weiteres zugeben wird, eben nur Ausnahmen, welche die Regel nicht umstoßen und dadurch wieder wesentlich an Wirkung verlieren, daß auf der andern Seite unter den Züchtlingen sich nicht wenige befinden, die infolge ihrer Gefährlichkeit nicht mit Arbeiten beschäftigt werden können, zu deren Betriebe Instrumente und Materialien erforderlich sind, welche zu Fluchtversuchen, Angriffen gegen das Leben und die Gesundheit der Beamten oder sonstigen Aus¬ schreitungen verwendbar sind. Solche Züchtlinge werden mit Federschlcißcn, Kaffeelesen, Dtttenllcben u. dergl. beschäftigt, Arbeiten, die sich natürlich nur schlecht lohnen und bei denen von Überverdienst nicht die Rede sein kann. Außer diesen aus sicherheitspolizeilichen Gründen nur mit wenig lohnenden Arbeiten zu beschäftigenden Züchtlingen giebt es aber auch eine Anzahl solcher, die man in den sogenannten Jrrenstationen unterbringt oder die durch lange Haft arbeitsunfähig geworden sind. Die Jrrenstationen, besondre Gebäude innerhalb der Anstaltsmauern und zur allgemeinen Krankenstation gehörig, sind Institute,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_154164/184>, abgerufen am 01.09.2024.