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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal.

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Francesca von Rimini.

zu fürchten sind, hatte Oswald Hertel an einem Gesellschaftsabend zu Frau
Geusve gebracht. Diese, welche noch niemals einen wahrhaften Künstler bei
sich gesehen hatte, empfing ihn mit der ausgesuchtesten Liebenswürdigkeit; zu
seiner Freude fand Oswald eiuen entfernten Verwandten des Hauses, den Buch¬
händler Meyer Großhcim, mit welchem er zusammen die Schule besucht und in
einem freundschaftlichen Verkehr gestanden hatte. Großheim, der Sohn eines
kleinen Händlers, hatte sich uuter den größten Entbehrungen die Mittel zu er¬
schwingen gesucht, um zu studiren. Er war der fleißigste Schüler und von
Lehrern und Kameraden geliebt; allein er sah ein, daß das Studium ihn ver¬
hindern würde, schon frühzeitig für Eltern und Geschwister zu sorgen, und so
ging er von der Prima des Gymnasiums in die Lehre zu einem Buchhändler
und nach beendigter Lehrzeit nach Paris und London, um sich in den Sprachen
und in den Verhältnissen des ausländischen Büchermarktes zu vervollkommnen.
Seit wenigen Wochen war Großhcim nach Berlin als Prokurist der großen
Verlagsfirma D. Zorndorf eingetreten, ohne daß er noch mit Oswald, mit
welchem der Verkehr seit dem Aufenthalt in Paris sich gelockert hatte, zusammen¬
getroffen wäre. Die Begrüßung der beiden Jugendfreunde war herzlich
und trug nicht wenig dazu bei, für Oswald den Verkehr im Hause Geusvc zu
einem angenehmen zu gestalten. Außerdem veranlaßte Bertha ihre Tochter, dem
Maler alle Aufmerksamkeit zu widmen und ihn mit besondrer Auszeichnung zu
behandeln. Margarethe kam diesem Wunsche umso bereitwilliger nach, als sie
in Hertel bald einen Mann fand, wie sie einem solchen in ihren Kreisen bisher
noch nicht begegnet war. Anstatt der gedrechselten Phrasen des Feuilletoustils
hörte sie geistvolle Reden, statt faber Witze fand sie glänzenden Humor; niemals
verlor Oswald seine Würde, noch verriet er eine Schwäche. Margarethe gab
sich dem vollen Genuß der Unterhaltung mit ihm hin. Diese Aufnahme ver¬
fehlte auch bei Oswald ihre Wirkung nicht; er war noch zu naiv in den Künsten
jener Aftergeselligkeit, um zu fühlen, daß Frau Genöve mir den einen Zweck
hatte, ihn an ihren Salon zu fesseln. Er war zu treuherzig, um zu glauben,
daß das Benehmen des jungen Mädchens ein Gemisch von Gefallsucht und
Vergnügen an seiner Unterhaltung sei, und er fühlte sich bald zu diesem Hause
und zu dessen Tochter mehr angezogen, als er es sich eingestehen mochte. Denn
nur selten wird ein Mann unempfänglich für Freundlichkeiten sein, die ihm von
einer Frau gespendet werden, und seine Empfindung wird sich steigern, wenn
diese Frau auch uoch schön und anmutig ist. Unzweifelhaft kann einem Verkehr
junger Männer und Mädchen nicht lediglich der Gedanke und das Ziel einer
ehelichen Verbindung zu Grunde liegen. Nichtsdestoweniger konnte und mußte
sich Oswald sagen, daß er zu alt war, um nur zu spielen, zu jung, um ohne
Wunsch zu sein. Er versuchte, der ganzen Situation so kühl wie möglich gegen¬
überzutreten; denn es gehörte keine besondre Beobachtungsgabe zu der Erkenntnis,
daß Max Genöve eine Heirat seiner Tochter lediglich von dem Gesichtspunkte


Francesca von Rimini.

zu fürchten sind, hatte Oswald Hertel an einem Gesellschaftsabend zu Frau
Geusve gebracht. Diese, welche noch niemals einen wahrhaften Künstler bei
sich gesehen hatte, empfing ihn mit der ausgesuchtesten Liebenswürdigkeit; zu
seiner Freude fand Oswald eiuen entfernten Verwandten des Hauses, den Buch¬
händler Meyer Großhcim, mit welchem er zusammen die Schule besucht und in
einem freundschaftlichen Verkehr gestanden hatte. Großheim, der Sohn eines
kleinen Händlers, hatte sich uuter den größten Entbehrungen die Mittel zu er¬
schwingen gesucht, um zu studiren. Er war der fleißigste Schüler und von
Lehrern und Kameraden geliebt; allein er sah ein, daß das Studium ihn ver¬
hindern würde, schon frühzeitig für Eltern und Geschwister zu sorgen, und so
ging er von der Prima des Gymnasiums in die Lehre zu einem Buchhändler
und nach beendigter Lehrzeit nach Paris und London, um sich in den Sprachen
und in den Verhältnissen des ausländischen Büchermarktes zu vervollkommnen.
Seit wenigen Wochen war Großhcim nach Berlin als Prokurist der großen
Verlagsfirma D. Zorndorf eingetreten, ohne daß er noch mit Oswald, mit
welchem der Verkehr seit dem Aufenthalt in Paris sich gelockert hatte, zusammen¬
getroffen wäre. Die Begrüßung der beiden Jugendfreunde war herzlich
und trug nicht wenig dazu bei, für Oswald den Verkehr im Hause Geusvc zu
einem angenehmen zu gestalten. Außerdem veranlaßte Bertha ihre Tochter, dem
Maler alle Aufmerksamkeit zu widmen und ihn mit besondrer Auszeichnung zu
behandeln. Margarethe kam diesem Wunsche umso bereitwilliger nach, als sie
in Hertel bald einen Mann fand, wie sie einem solchen in ihren Kreisen bisher
noch nicht begegnet war. Anstatt der gedrechselten Phrasen des Feuilletoustils
hörte sie geistvolle Reden, statt faber Witze fand sie glänzenden Humor; niemals
verlor Oswald seine Würde, noch verriet er eine Schwäche. Margarethe gab
sich dem vollen Genuß der Unterhaltung mit ihm hin. Diese Aufnahme ver¬
fehlte auch bei Oswald ihre Wirkung nicht; er war noch zu naiv in den Künsten
jener Aftergeselligkeit, um zu fühlen, daß Frau Genöve mir den einen Zweck
hatte, ihn an ihren Salon zu fesseln. Er war zu treuherzig, um zu glauben,
daß das Benehmen des jungen Mädchens ein Gemisch von Gefallsucht und
Vergnügen an seiner Unterhaltung sei, und er fühlte sich bald zu diesem Hause
und zu dessen Tochter mehr angezogen, als er es sich eingestehen mochte. Denn
nur selten wird ein Mann unempfänglich für Freundlichkeiten sein, die ihm von
einer Frau gespendet werden, und seine Empfindung wird sich steigern, wenn
diese Frau auch uoch schön und anmutig ist. Unzweifelhaft kann einem Verkehr
junger Männer und Mädchen nicht lediglich der Gedanke und das Ziel einer
ehelichen Verbindung zu Grunde liegen. Nichtsdestoweniger konnte und mußte
sich Oswald sagen, daß er zu alt war, um nur zu spielen, zu jung, um ohne
Wunsch zu sein. Er versuchte, der ganzen Situation so kühl wie möglich gegen¬
überzutreten; denn es gehörte keine besondre Beobachtungsgabe zu der Erkenntnis,
daß Max Genöve eine Heirat seiner Tochter lediglich von dem Gesichtspunkte


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[0167] Francesca von Rimini. zu fürchten sind, hatte Oswald Hertel an einem Gesellschaftsabend zu Frau Geusve gebracht. Diese, welche noch niemals einen wahrhaften Künstler bei sich gesehen hatte, empfing ihn mit der ausgesuchtesten Liebenswürdigkeit; zu seiner Freude fand Oswald eiuen entfernten Verwandten des Hauses, den Buch¬ händler Meyer Großhcim, mit welchem er zusammen die Schule besucht und in einem freundschaftlichen Verkehr gestanden hatte. Großheim, der Sohn eines kleinen Händlers, hatte sich uuter den größten Entbehrungen die Mittel zu er¬ schwingen gesucht, um zu studiren. Er war der fleißigste Schüler und von Lehrern und Kameraden geliebt; allein er sah ein, daß das Studium ihn ver¬ hindern würde, schon frühzeitig für Eltern und Geschwister zu sorgen, und so ging er von der Prima des Gymnasiums in die Lehre zu einem Buchhändler und nach beendigter Lehrzeit nach Paris und London, um sich in den Sprachen und in den Verhältnissen des ausländischen Büchermarktes zu vervollkommnen. Seit wenigen Wochen war Großhcim nach Berlin als Prokurist der großen Verlagsfirma D. Zorndorf eingetreten, ohne daß er noch mit Oswald, mit welchem der Verkehr seit dem Aufenthalt in Paris sich gelockert hatte, zusammen¬ getroffen wäre. Die Begrüßung der beiden Jugendfreunde war herzlich und trug nicht wenig dazu bei, für Oswald den Verkehr im Hause Geusvc zu einem angenehmen zu gestalten. Außerdem veranlaßte Bertha ihre Tochter, dem Maler alle Aufmerksamkeit zu widmen und ihn mit besondrer Auszeichnung zu behandeln. Margarethe kam diesem Wunsche umso bereitwilliger nach, als sie in Hertel bald einen Mann fand, wie sie einem solchen in ihren Kreisen bisher noch nicht begegnet war. Anstatt der gedrechselten Phrasen des Feuilletoustils hörte sie geistvolle Reden, statt faber Witze fand sie glänzenden Humor; niemals verlor Oswald seine Würde, noch verriet er eine Schwäche. Margarethe gab sich dem vollen Genuß der Unterhaltung mit ihm hin. Diese Aufnahme ver¬ fehlte auch bei Oswald ihre Wirkung nicht; er war noch zu naiv in den Künsten jener Aftergeselligkeit, um zu fühlen, daß Frau Genöve mir den einen Zweck hatte, ihn an ihren Salon zu fesseln. Er war zu treuherzig, um zu glauben, daß das Benehmen des jungen Mädchens ein Gemisch von Gefallsucht und Vergnügen an seiner Unterhaltung sei, und er fühlte sich bald zu diesem Hause und zu dessen Tochter mehr angezogen, als er es sich eingestehen mochte. Denn nur selten wird ein Mann unempfänglich für Freundlichkeiten sein, die ihm von einer Frau gespendet werden, und seine Empfindung wird sich steigern, wenn diese Frau auch uoch schön und anmutig ist. Unzweifelhaft kann einem Verkehr junger Männer und Mädchen nicht lediglich der Gedanke und das Ziel einer ehelichen Verbindung zu Grunde liegen. Nichtsdestoweniger konnte und mußte sich Oswald sagen, daß er zu alt war, um nur zu spielen, zu jung, um ohne Wunsch zu sein. Er versuchte, der ganzen Situation so kühl wie möglich gegen¬ überzutreten; denn es gehörte keine besondre Beobachtungsgabe zu der Erkenntnis, daß Max Genöve eine Heirat seiner Tochter lediglich von dem Gesichtspunkte

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Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_154164/167>, abgerufen am 01.09.2024.