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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal.

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Der verfall des Theaters.

bemerkte nur, was er früher nicht hatte sehen wollen, und vermißte dasjenige,
was er als Regisseur in den Proben angeordnet haben würde. Wieder am
Ruder, in Leipzig und am Wiener Stadttheater, fand er vollends, daß Schau¬
spieler dritten und vierten Ranges, zum Teil Personen, welche er einst, als sie
noch i" voller Kraft standen, nicht hatte engagiren wollen, ebenso bedeutende
und bedeutendere Künstler seien als die Burgtheatermitglieder -- natürlich,
weil er sie nun am Schnürchen führte. Es ist etwas beneidenswertes um die
Selbstzufriedenheit, welche sich auf alles das ausdehnt, was man sein eigen
nennen kann; und so sah er auch jedesmal die Schauspieler an, die eben unter
seinem Kommando standen und Ordre parirten. Ein Beispiel dafür, welches
seiner Zeit in den theaterfrcundlichen Kreisen Wiens begreifliches Aufsehen er¬
regte, war folgendes. Wie bekannt, gehört zu den größten Vorzügen des Wiener
Burgtheaters die Kouscrvirung eines charakteristischen Lustspieltones, welcher sich
zur Zeit Laubes in dem Schauspieler Karl Fichtner personifizirte. Er hatte
diesen Ton von Korn übernommen, und von ihm selbst haben die Heutigen das
Beste ihres Könnens gelernt. Aber so hoch man letztere in Wien und außer¬
halb feiert, es reicht doch keiner an ihn hinan, denn die seltene Liebenswürdigkeit
des Menschen, welche sich in der persönlichen Erscheinung, in jeder Rede und
jeder Geste Fichtners aussprach und geradezu unwiderstehlich wirkte, kann kein
Studium ersetzen. Mit seinem Auftreten verbreitete sich sofort eine behagliche
Heiterkeit im Schauspielhause, und man möchte sagen, andächtig gab sich der
Zuschauer dem Genusse des feinen Humors, der gemessenen Lustigkeit, der gut¬
mütigen Schalkhaftigkeit in seinen Darstellungen hin, unbeschadet der Einsicht,
daß einer oder der andre die Rolle vielleicht geistreicher, pointirter gegeben haben
würde. Fichtner gehörte auch zu den wenigen Alten, welche keine mehr oder
weniger feindselige Stellung zu dem Direktor eingenommen hatten, weshalb dieser
ihm gelegentlich eine Rolle "auf den Leib schrieb." So den Titelhelden eines
Lustspiels "Cato von Eisen," welches bezeichnend genug nur dort, wo Fichtner
die Rolle gab, einen Erfolg davontrug. Am Wiener Stadttheater suchte Laube
das Stück wieder hervor; weil er dort keinen Fichtner zur Verfügung hatte,
ließ er seineu Cato von einem Komiker groben Kalibers spielen, der sich auf
einer Vorstadtbühne durch Zungengeläufigkeit, Beweglichkeit und Dreistigkeit
hervorgethan hatte. Und ihm stellte später Laube das Zeugnis aus, er habe
die Figur erst zu voller Geltung gebracht, Fichtner für diese nicht ausgereicht.
Die Wiener trauten ihren Augen nicht. Fichtner und den Herrn X. in einem
Atem zu nennen, war bis dahin niemand in den Sinn gekommen. Und mit
Recht zog man den Schluß, daß das Urteil eines Mannes, der einen solchen
Vergleich anstellen konnte, sehr wenig Vertrauen verdiene.

Was seine Äußerungen über Dingelstedt anlangt, so enthalten sie ohne
Frage Wahres, sind jedoch als Ganzes betrachtet wieder ungerecht. Das geht
wieder sehr natürlich zu. Dingelstedt als Bühnenleiter besaß gerade die Eigen-


Der verfall des Theaters.

bemerkte nur, was er früher nicht hatte sehen wollen, und vermißte dasjenige,
was er als Regisseur in den Proben angeordnet haben würde. Wieder am
Ruder, in Leipzig und am Wiener Stadttheater, fand er vollends, daß Schau¬
spieler dritten und vierten Ranges, zum Teil Personen, welche er einst, als sie
noch i» voller Kraft standen, nicht hatte engagiren wollen, ebenso bedeutende
und bedeutendere Künstler seien als die Burgtheatermitglieder — natürlich,
weil er sie nun am Schnürchen führte. Es ist etwas beneidenswertes um die
Selbstzufriedenheit, welche sich auf alles das ausdehnt, was man sein eigen
nennen kann; und so sah er auch jedesmal die Schauspieler an, die eben unter
seinem Kommando standen und Ordre parirten. Ein Beispiel dafür, welches
seiner Zeit in den theaterfrcundlichen Kreisen Wiens begreifliches Aufsehen er¬
regte, war folgendes. Wie bekannt, gehört zu den größten Vorzügen des Wiener
Burgtheaters die Kouscrvirung eines charakteristischen Lustspieltones, welcher sich
zur Zeit Laubes in dem Schauspieler Karl Fichtner personifizirte. Er hatte
diesen Ton von Korn übernommen, und von ihm selbst haben die Heutigen das
Beste ihres Könnens gelernt. Aber so hoch man letztere in Wien und außer¬
halb feiert, es reicht doch keiner an ihn hinan, denn die seltene Liebenswürdigkeit
des Menschen, welche sich in der persönlichen Erscheinung, in jeder Rede und
jeder Geste Fichtners aussprach und geradezu unwiderstehlich wirkte, kann kein
Studium ersetzen. Mit seinem Auftreten verbreitete sich sofort eine behagliche
Heiterkeit im Schauspielhause, und man möchte sagen, andächtig gab sich der
Zuschauer dem Genusse des feinen Humors, der gemessenen Lustigkeit, der gut¬
mütigen Schalkhaftigkeit in seinen Darstellungen hin, unbeschadet der Einsicht,
daß einer oder der andre die Rolle vielleicht geistreicher, pointirter gegeben haben
würde. Fichtner gehörte auch zu den wenigen Alten, welche keine mehr oder
weniger feindselige Stellung zu dem Direktor eingenommen hatten, weshalb dieser
ihm gelegentlich eine Rolle „auf den Leib schrieb." So den Titelhelden eines
Lustspiels „Cato von Eisen," welches bezeichnend genug nur dort, wo Fichtner
die Rolle gab, einen Erfolg davontrug. Am Wiener Stadttheater suchte Laube
das Stück wieder hervor; weil er dort keinen Fichtner zur Verfügung hatte,
ließ er seineu Cato von einem Komiker groben Kalibers spielen, der sich auf
einer Vorstadtbühne durch Zungengeläufigkeit, Beweglichkeit und Dreistigkeit
hervorgethan hatte. Und ihm stellte später Laube das Zeugnis aus, er habe
die Figur erst zu voller Geltung gebracht, Fichtner für diese nicht ausgereicht.
Die Wiener trauten ihren Augen nicht. Fichtner und den Herrn X. in einem
Atem zu nennen, war bis dahin niemand in den Sinn gekommen. Und mit
Recht zog man den Schluß, daß das Urteil eines Mannes, der einen solchen
Vergleich anstellen konnte, sehr wenig Vertrauen verdiene.

Was seine Äußerungen über Dingelstedt anlangt, so enthalten sie ohne
Frage Wahres, sind jedoch als Ganzes betrachtet wieder ungerecht. Das geht
wieder sehr natürlich zu. Dingelstedt als Bühnenleiter besaß gerade die Eigen-


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[0154] Der verfall des Theaters. bemerkte nur, was er früher nicht hatte sehen wollen, und vermißte dasjenige, was er als Regisseur in den Proben angeordnet haben würde. Wieder am Ruder, in Leipzig und am Wiener Stadttheater, fand er vollends, daß Schau¬ spieler dritten und vierten Ranges, zum Teil Personen, welche er einst, als sie noch i» voller Kraft standen, nicht hatte engagiren wollen, ebenso bedeutende und bedeutendere Künstler seien als die Burgtheatermitglieder — natürlich, weil er sie nun am Schnürchen führte. Es ist etwas beneidenswertes um die Selbstzufriedenheit, welche sich auf alles das ausdehnt, was man sein eigen nennen kann; und so sah er auch jedesmal die Schauspieler an, die eben unter seinem Kommando standen und Ordre parirten. Ein Beispiel dafür, welches seiner Zeit in den theaterfrcundlichen Kreisen Wiens begreifliches Aufsehen er¬ regte, war folgendes. Wie bekannt, gehört zu den größten Vorzügen des Wiener Burgtheaters die Kouscrvirung eines charakteristischen Lustspieltones, welcher sich zur Zeit Laubes in dem Schauspieler Karl Fichtner personifizirte. Er hatte diesen Ton von Korn übernommen, und von ihm selbst haben die Heutigen das Beste ihres Könnens gelernt. Aber so hoch man letztere in Wien und außer¬ halb feiert, es reicht doch keiner an ihn hinan, denn die seltene Liebenswürdigkeit des Menschen, welche sich in der persönlichen Erscheinung, in jeder Rede und jeder Geste Fichtners aussprach und geradezu unwiderstehlich wirkte, kann kein Studium ersetzen. Mit seinem Auftreten verbreitete sich sofort eine behagliche Heiterkeit im Schauspielhause, und man möchte sagen, andächtig gab sich der Zuschauer dem Genusse des feinen Humors, der gemessenen Lustigkeit, der gut¬ mütigen Schalkhaftigkeit in seinen Darstellungen hin, unbeschadet der Einsicht, daß einer oder der andre die Rolle vielleicht geistreicher, pointirter gegeben haben würde. Fichtner gehörte auch zu den wenigen Alten, welche keine mehr oder weniger feindselige Stellung zu dem Direktor eingenommen hatten, weshalb dieser ihm gelegentlich eine Rolle „auf den Leib schrieb." So den Titelhelden eines Lustspiels „Cato von Eisen," welches bezeichnend genug nur dort, wo Fichtner die Rolle gab, einen Erfolg davontrug. Am Wiener Stadttheater suchte Laube das Stück wieder hervor; weil er dort keinen Fichtner zur Verfügung hatte, ließ er seineu Cato von einem Komiker groben Kalibers spielen, der sich auf einer Vorstadtbühne durch Zungengeläufigkeit, Beweglichkeit und Dreistigkeit hervorgethan hatte. Und ihm stellte später Laube das Zeugnis aus, er habe die Figur erst zu voller Geltung gebracht, Fichtner für diese nicht ausgereicht. Die Wiener trauten ihren Augen nicht. Fichtner und den Herrn X. in einem Atem zu nennen, war bis dahin niemand in den Sinn gekommen. Und mit Recht zog man den Schluß, daß das Urteil eines Mannes, der einen solchen Vergleich anstellen konnte, sehr wenig Vertrauen verdiene. Was seine Äußerungen über Dingelstedt anlangt, so enthalten sie ohne Frage Wahres, sind jedoch als Ganzes betrachtet wieder ungerecht. Das geht wieder sehr natürlich zu. Dingelstedt als Bühnenleiter besaß gerade die Eigen-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_154164/154>, abgerufen am 28.07.2024.