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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal.

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kann. Der metaphorische Ausdruck ist hier der Vater des schiefen Gedankens
gewesen.

Solche Unklarheiten werden durch überschwängliche Redewendungen, die
einem nüchternen wissenschaftlichen Werte wenig anstehen und sich innerhalb
eines dürren Schematismus umso wunderlicher aufnehmen, dem aufmerksamen
Leser nicht verdeckt. Der deutsche Reim beispielsweise ist Herrn Beyer "die
durch Accent und Stabreim selbst (?) entwickelte Schönheitsblüte sprachlichen
WvlMaugs," an einer andern Stelle: "die Manifestation eines sich selbst ge¬
nießenden, mit sich spielenden, beschaulichen Gefühls und die Schönheitsblüte
unsrer deutsch - accentuirendcn Poesie." Zu noch höherm Schwunge begeistert
der Reim den Verfasser in deu Worten: "Wie in einem schonen Tvnlicht bcglänzt
und konzentrirt sich die rhythmische Tonwelle der Verszeile im schärfer be¬
tonten, dnrch eine rhythmische Pause markirten Reime, um in der korrespon-
direnden, wie von Turmspitze zu Turmspitze hüpfend, Accent und Pause zu
wiederholen." Die Welle, die sich in einem Toulicht konzentrirt und von
Turmspitze zu Turmspitze hüpft -- in der That, ein hübsches Bild! Außer
Tonlicht wird der Reim auch noch "eine Art sehendes Hören" genannt. Schlie߬
lich heißt es von dem durch das Schwinden ^soll heißen: Abschwächen^ der
Flexionen in mittelhochdeutscher Zeit hervorgerufenen Einfluß auf deu Reim:
"Wie durch dieses Schwinden die Sprache immer einsilbiger und zweisilbiger
geworden (!), so zog sich der Reim immer tiefer in die Wurzel und zu seiner
wahren Bedeutsamkeit zurück, so bereitete sich der weibliche Reim vor. Diese
tiefe, den Stamm erklingen machende ursprüngliche Bedeutsamkeit des Reims,
welche als Stimme der Dichtkunst überall die schöne Antwort der Echo, deu
wurzelhaften Klang der Sehnsucht sucht und findet, welche ferner die Wissen¬
schaft der Wortforschung begründet und zwischen welcher Dazwischen?s das
Wortspiel in der Mitte stand, -- war somit unsrer Sprache schon seit jeher
eigen."

Das ist einfach blühender Unsinn. Wie kann diese "den wurzelhaften
Klang der Sehnsucht suchende" Bedeutsamkeit von jeher der deutschen Sprache
eigen gewesen sein, wenn sie auf der erst allmählich im Laufe vieler Jahrhun¬
derte entstandenen Abschwächung der Flexionssilben beruht? Und wie verträgt
sich mit allen diesen Anschauungen vom Endreim, daß der Verfasser Wilhelm
Jordan beistimme, der vom Stabreim schreibt: "Erst als römisches, romantisches
Wesen dem Deutsche" sein Deutschtum auszutreiben begann, ward auch diese
einzige, echt deutsche Form der Poesie verdrängt, unsre deutsche Göttersprache
vcrwelscht und hineinmassakrirt in importirte Versformen romanischen und
semitischen Ursprungs h. Reimverse^." Wie kann man diese Worte gutheiße",
wenn man den Endreim für eine "Naturnotwendigkeit unsrer aecentuireudeu
Sprache," für die "aus dem Stabreim selbst entwickelte Schönheitsblüte" der¬
selben hält?


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kann. Der metaphorische Ausdruck ist hier der Vater des schiefen Gedankens
gewesen.

Solche Unklarheiten werden durch überschwängliche Redewendungen, die
einem nüchternen wissenschaftlichen Werte wenig anstehen und sich innerhalb
eines dürren Schematismus umso wunderlicher aufnehmen, dem aufmerksamen
Leser nicht verdeckt. Der deutsche Reim beispielsweise ist Herrn Beyer „die
durch Accent und Stabreim selbst (?) entwickelte Schönheitsblüte sprachlichen
WvlMaugs," an einer andern Stelle: „die Manifestation eines sich selbst ge¬
nießenden, mit sich spielenden, beschaulichen Gefühls und die Schönheitsblüte
unsrer deutsch - accentuirendcn Poesie." Zu noch höherm Schwunge begeistert
der Reim den Verfasser in deu Worten: „Wie in einem schonen Tvnlicht bcglänzt
und konzentrirt sich die rhythmische Tonwelle der Verszeile im schärfer be¬
tonten, dnrch eine rhythmische Pause markirten Reime, um in der korrespon-
direnden, wie von Turmspitze zu Turmspitze hüpfend, Accent und Pause zu
wiederholen." Die Welle, die sich in einem Toulicht konzentrirt und von
Turmspitze zu Turmspitze hüpft — in der That, ein hübsches Bild! Außer
Tonlicht wird der Reim auch noch „eine Art sehendes Hören" genannt. Schlie߬
lich heißt es von dem durch das Schwinden ^soll heißen: Abschwächen^ der
Flexionen in mittelhochdeutscher Zeit hervorgerufenen Einfluß auf deu Reim:
„Wie durch dieses Schwinden die Sprache immer einsilbiger und zweisilbiger
geworden (!), so zog sich der Reim immer tiefer in die Wurzel und zu seiner
wahren Bedeutsamkeit zurück, so bereitete sich der weibliche Reim vor. Diese
tiefe, den Stamm erklingen machende ursprüngliche Bedeutsamkeit des Reims,
welche als Stimme der Dichtkunst überall die schöne Antwort der Echo, deu
wurzelhaften Klang der Sehnsucht sucht und findet, welche ferner die Wissen¬
schaft der Wortforschung begründet und zwischen welcher Dazwischen?s das
Wortspiel in der Mitte stand, — war somit unsrer Sprache schon seit jeher
eigen."

Das ist einfach blühender Unsinn. Wie kann diese „den wurzelhaften
Klang der Sehnsucht suchende" Bedeutsamkeit von jeher der deutschen Sprache
eigen gewesen sein, wenn sie auf der erst allmählich im Laufe vieler Jahrhun¬
derte entstandenen Abschwächung der Flexionssilben beruht? Und wie verträgt
sich mit allen diesen Anschauungen vom Endreim, daß der Verfasser Wilhelm
Jordan beistimme, der vom Stabreim schreibt: „Erst als römisches, romantisches
Wesen dem Deutsche» sein Deutschtum auszutreiben begann, ward auch diese
einzige, echt deutsche Form der Poesie verdrängt, unsre deutsche Göttersprache
vcrwelscht und hineinmassakrirt in importirte Versformen romanischen und
semitischen Ursprungs h. Reimverse^." Wie kann man diese Worte gutheiße»,
wenn man den Endreim für eine „Naturnotwendigkeit unsrer aecentuireudeu
Sprache," für die „aus dem Stabreim selbst entwickelte Schönheitsblüte" der¬
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[0138] Line deutsch-nationale Verslehre. kann. Der metaphorische Ausdruck ist hier der Vater des schiefen Gedankens gewesen. Solche Unklarheiten werden durch überschwängliche Redewendungen, die einem nüchternen wissenschaftlichen Werte wenig anstehen und sich innerhalb eines dürren Schematismus umso wunderlicher aufnehmen, dem aufmerksamen Leser nicht verdeckt. Der deutsche Reim beispielsweise ist Herrn Beyer „die durch Accent und Stabreim selbst (?) entwickelte Schönheitsblüte sprachlichen WvlMaugs," an einer andern Stelle: „die Manifestation eines sich selbst ge¬ nießenden, mit sich spielenden, beschaulichen Gefühls und die Schönheitsblüte unsrer deutsch - accentuirendcn Poesie." Zu noch höherm Schwunge begeistert der Reim den Verfasser in deu Worten: „Wie in einem schonen Tvnlicht bcglänzt und konzentrirt sich die rhythmische Tonwelle der Verszeile im schärfer be¬ tonten, dnrch eine rhythmische Pause markirten Reime, um in der korrespon- direnden, wie von Turmspitze zu Turmspitze hüpfend, Accent und Pause zu wiederholen." Die Welle, die sich in einem Toulicht konzentrirt und von Turmspitze zu Turmspitze hüpft — in der That, ein hübsches Bild! Außer Tonlicht wird der Reim auch noch „eine Art sehendes Hören" genannt. Schlie߬ lich heißt es von dem durch das Schwinden ^soll heißen: Abschwächen^ der Flexionen in mittelhochdeutscher Zeit hervorgerufenen Einfluß auf deu Reim: „Wie durch dieses Schwinden die Sprache immer einsilbiger und zweisilbiger geworden (!), so zog sich der Reim immer tiefer in die Wurzel und zu seiner wahren Bedeutsamkeit zurück, so bereitete sich der weibliche Reim vor. Diese tiefe, den Stamm erklingen machende ursprüngliche Bedeutsamkeit des Reims, welche als Stimme der Dichtkunst überall die schöne Antwort der Echo, deu wurzelhaften Klang der Sehnsucht sucht und findet, welche ferner die Wissen¬ schaft der Wortforschung begründet und zwischen welcher Dazwischen?s das Wortspiel in der Mitte stand, — war somit unsrer Sprache schon seit jeher eigen." Das ist einfach blühender Unsinn. Wie kann diese „den wurzelhaften Klang der Sehnsucht suchende" Bedeutsamkeit von jeher der deutschen Sprache eigen gewesen sein, wenn sie auf der erst allmählich im Laufe vieler Jahrhun¬ derte entstandenen Abschwächung der Flexionssilben beruht? Und wie verträgt sich mit allen diesen Anschauungen vom Endreim, daß der Verfasser Wilhelm Jordan beistimme, der vom Stabreim schreibt: „Erst als römisches, romantisches Wesen dem Deutsche» sein Deutschtum auszutreiben begann, ward auch diese einzige, echt deutsche Form der Poesie verdrängt, unsre deutsche Göttersprache vcrwelscht und hineinmassakrirt in importirte Versformen romanischen und semitischen Ursprungs h. Reimverse^." Wie kann man diese Worte gutheiße», wenn man den Endreim für eine „Naturnotwendigkeit unsrer aecentuireudeu Sprache," für die „aus dem Stabreim selbst entwickelte Schönheitsblüte" der¬ selben hält?

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_154164/138>, abgerufen am 27.07.2024.