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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal.

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Die Lürstenversammlungen des September.

sollen, als plötzlich -- niemand wußte Auskunft zu geben, durch welche Ver¬
anlassung herbeigeführt -- ein Umschwung erfolgte, die Minister Sobcloff und
Kaulbars vor einer ihnen feindseligen Kundgebung der Volksvertretung von
ihren Posten zurücktraten und Nachfolger erhielten, die eine von Rußland un¬
abhängige Richtung einschlagen zu wollen scheinen. Serbien ist der Nachbar
Bulgariens, und so geht diese Veränderung mittelbar auch seine Regierung an.
Indeß hat König Milan schon längst eine Schwenkung nach Österreich-Ungarn
hin gemacht und sich dadurch auch Deutschland genähert, und sein jetziger Besuch
ist nur eine Wiederholung der Reise, die ihn vor einiger Zeit nach Wien und
Berlin führte. Das letztere ist endlich auch großenteils von dem Erscheinen
des Prinzen von Wales in Homburg zu sagen, der ebenfalls schon seit einem
Jahre in nähere Beziehungen zum Berliner Hofe getreten ist, als sie früher trotz
seiner Verwandtschaft mit dem Kronprinzen von Preußen und Deutschland be¬
standen. Niemand braucht in diesen Besuchen mehr zu erblicken als die Wirkung
der Erkenntnis, daß das unter Preußen geeinte Deutschland eine Macht geworden
ist, die Achtung einflößt, die den Frieden Europas auf Grund des Rechtes und
der wahren Interessen aller will lind sichern kann, und mit der auf freund¬
schaftlichem Fuße zu stehen jedem Gliede der europäischen Völkerfamilie zur
Ehre und zum Vorteile gereicht.

Noch mehr als in der Homburger Zusammenkunft ist in dem Besuche ge¬
sucht und gesunde" worden, welchen das russische Kaiserpaar und der Prinz von
Wales dem dänischen Hofe abstatteten, namentlich als Gladstone sich dazu ein¬
stellte. Hier gab es in der That eine vortreffliche Gelegenheit zur Konstruktion
einer neuen "Liga," und infolge dessen baute man die Nachricht von einem
englisch-russisch-skandinavisch-griechischen Bündnisse zusammen, das den Zweck
hatte, dem deutschen Ehrgeize Halt zu gebieten, die Gladstoneschc Politik mit
dem Motto: "Die Hände weg" auf Österreich-Ungarn anzuwenden und die
orientalische Frage zu endgiltiger Befriedigung der "aufstrebenden Nationen der
Valkanländer" wieder aufs Tapet zu bringen. Ob die Türkei zum Bunde zu¬
gelassen werden sollte -- natürlich, um ihr aus Höflichkeitsrücksichteu bei ihrer
eignen Vernichtung die Mitwirkung zu verstatten --, war gescheiten Köpfen
gewiß, etwas gescheiteren zweifelhaft, bis noch gescheitere es wegen der Vor¬
urteile, die Gladstone gegen die Pforte hegt, für unmöglich erklärten. Vielen
war der Beitritt Schwedens und Dänemarks eine ausgemachte Sache, bis andre
darauf hinwiesen, daß die erste Macht sich bereits bereit erklärt hatte, ihre Politik
fürderhin nach Bismarcks Weisungen einzurichten, und daß die öffentliche Meinung
in Dänemark nichts von einer antideutschen Haltung der Regierung wissen wollte.
Eine andre Meinung ging dahin, daß die Kopenhagener Zusammenkunft die
Antwort auf die Besuche der Könige von Rumänien und Serbien in Wien und
Berlin bedeute. Wieder andern war sie der Anfang zu einer Verständigung
Englands und Rußlands mit Frankreich, welche das Bündnis der Mächte Mittel-


Die Lürstenversammlungen des September.

sollen, als plötzlich — niemand wußte Auskunft zu geben, durch welche Ver¬
anlassung herbeigeführt — ein Umschwung erfolgte, die Minister Sobcloff und
Kaulbars vor einer ihnen feindseligen Kundgebung der Volksvertretung von
ihren Posten zurücktraten und Nachfolger erhielten, die eine von Rußland un¬
abhängige Richtung einschlagen zu wollen scheinen. Serbien ist der Nachbar
Bulgariens, und so geht diese Veränderung mittelbar auch seine Regierung an.
Indeß hat König Milan schon längst eine Schwenkung nach Österreich-Ungarn
hin gemacht und sich dadurch auch Deutschland genähert, und sein jetziger Besuch
ist nur eine Wiederholung der Reise, die ihn vor einiger Zeit nach Wien und
Berlin führte. Das letztere ist endlich auch großenteils von dem Erscheinen
des Prinzen von Wales in Homburg zu sagen, der ebenfalls schon seit einem
Jahre in nähere Beziehungen zum Berliner Hofe getreten ist, als sie früher trotz
seiner Verwandtschaft mit dem Kronprinzen von Preußen und Deutschland be¬
standen. Niemand braucht in diesen Besuchen mehr zu erblicken als die Wirkung
der Erkenntnis, daß das unter Preußen geeinte Deutschland eine Macht geworden
ist, die Achtung einflößt, die den Frieden Europas auf Grund des Rechtes und
der wahren Interessen aller will lind sichern kann, und mit der auf freund¬
schaftlichem Fuße zu stehen jedem Gliede der europäischen Völkerfamilie zur
Ehre und zum Vorteile gereicht.

Noch mehr als in der Homburger Zusammenkunft ist in dem Besuche ge¬
sucht und gesunde» worden, welchen das russische Kaiserpaar und der Prinz von
Wales dem dänischen Hofe abstatteten, namentlich als Gladstone sich dazu ein¬
stellte. Hier gab es in der That eine vortreffliche Gelegenheit zur Konstruktion
einer neuen „Liga," und infolge dessen baute man die Nachricht von einem
englisch-russisch-skandinavisch-griechischen Bündnisse zusammen, das den Zweck
hatte, dem deutschen Ehrgeize Halt zu gebieten, die Gladstoneschc Politik mit
dem Motto: „Die Hände weg" auf Österreich-Ungarn anzuwenden und die
orientalische Frage zu endgiltiger Befriedigung der „aufstrebenden Nationen der
Valkanländer" wieder aufs Tapet zu bringen. Ob die Türkei zum Bunde zu¬
gelassen werden sollte — natürlich, um ihr aus Höflichkeitsrücksichteu bei ihrer
eignen Vernichtung die Mitwirkung zu verstatten —, war gescheiten Köpfen
gewiß, etwas gescheiteren zweifelhaft, bis noch gescheitere es wegen der Vor¬
urteile, die Gladstone gegen die Pforte hegt, für unmöglich erklärten. Vielen
war der Beitritt Schwedens und Dänemarks eine ausgemachte Sache, bis andre
darauf hinwiesen, daß die erste Macht sich bereits bereit erklärt hatte, ihre Politik
fürderhin nach Bismarcks Weisungen einzurichten, und daß die öffentliche Meinung
in Dänemark nichts von einer antideutschen Haltung der Regierung wissen wollte.
Eine andre Meinung ging dahin, daß die Kopenhagener Zusammenkunft die
Antwort auf die Besuche der Könige von Rumänien und Serbien in Wien und
Berlin bedeute. Wieder andern war sie der Anfang zu einer Verständigung
Englands und Rußlands mit Frankreich, welche das Bündnis der Mächte Mittel-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_154164/13>, abgerufen am 01.09.2024.