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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal.

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Francesca von Aiunni.

und gewann umso leichter das Übergewicht, als derselbe gleichzeitig an ihre
unterlegene Rivalin erinnerte und die Mahnung an diese Zeit für beide Ehe¬
leute mit wenig Freude verknüpft war, Frau Bertha lief ihre neuen, Verbin¬
dungen im Geiste durch und fand, daß die Töchter der ersten Firmen immer
nur mit Elfe und Margarethe abwechselte" -- eine solche Verheerung hatten
unter den deutschen Mädchennamen Wagners Lohengrin und Gounods Faust ange¬
richtet, Sie entschloß sich für Margarethe, einmal weil Gretchen einen in keiner
Weise an die Herkunft der Familie erinnernden Klang batie, sodann weil
die Umwandlung in N^uÄ-its sie wiederum der französischen Kolonie näher
brachte.

Seit jener Zeit waren erschütternde Ereignisse in dem Hause Gensve nicht
mehr vorgekommen. Nach der alten Erfahrung, daß nur der Erwerb der ersten
Hunderttausend Schwierigkeit macht, hatte sich das Vermögen fortwährend ver¬
größert. Zu dem Hause war eine Villa in Potsdam getreten, welche aber in
der Regel nur während der wenigen Frühjahrsmonate bewohnt wurde, da man
im Sommer mindestens in zwei Bäder reiste. Die Kinder erhielten den üblichen
Unterricht von Bonnen und Gouvernanten, von Klavier-, Gesang-, Sprach- und
Zeichenlehrern, und wurden nicht selten zum Stolz ihrer Eltern in ihren Gesell¬
schaften zur Parade vorgeführt. Für eine Bildung des Herzens geschah nichts,
denn man hielt die Humanität für genügend, um die Religion zu ersetzen. Die
Natur der Kinder war verschieden. Martin -- französisch ausgesprochen --
hatte mehr den scheuen und stillen Charakter des Vaters und zeigte entschiedene
Neigung für den Handel. Schon als er kaum lesen konnte, zog ihn am meisten
der Kurszettel mit seinem kleinen, niedlichen Druck an, und in der Schule wußte
er von seineu Mitschüler" die schönsten Sachen einzutauschen, wobei er nie den
kürzeren zog. Ja als er eines Tages auf den Knie" seines Vaters herum-
schaukelte und dieser ihn im Scherze fragte, ob er Meinung für Lombarden
habe und ihm Martin zu dem Kauf riet, galt der Sohn als ein großes Finanz¬
genie, da sich diese Spekulation als sehr gewinnbringend erwiesen hatte, Frau
Bertha war diese Art von Talent durchaus nicht angenehm; sie hatte den Sohn
zum Diplomaten bestimmt und wurde nur ein wenig getröstet, als ihr Haus¬
freund Dr. Speiks auseinandersetzte, daß Spekulation und Diplomatie in den
engsten Beziehungen zu einander stünden, weil beide Metiers ihre Hauptkraft
ans die richtige Beurteilung der politischen Ereignisse wenden müßten. Seit
jener Erklärung entschuldigte Frau Genöve das tiefe Schweigen ihres Gatten
in Gesellschaften -- er mußte auf ihren besondern Befehl still sein, um sich
keine Blöße zu geben -- mit den schweren politischen Kombinationen, die ihn
fortwährend beschäftigten. Aber auch Herr Geusve war fortan mit der diplo¬
matischen Karriere seines Sohnes einverstanden, indem er sich schon ausmalte,
wie sich dereinst die geheimen Nachrichten aus dem auswärtigen Amt würden
finanziell verwerten lassen.


Francesca von Aiunni.

und gewann umso leichter das Übergewicht, als derselbe gleichzeitig an ihre
unterlegene Rivalin erinnerte und die Mahnung an diese Zeit für beide Ehe¬
leute mit wenig Freude verknüpft war, Frau Bertha lief ihre neuen, Verbin¬
dungen im Geiste durch und fand, daß die Töchter der ersten Firmen immer
nur mit Elfe und Margarethe abwechselte» — eine solche Verheerung hatten
unter den deutschen Mädchennamen Wagners Lohengrin und Gounods Faust ange¬
richtet, Sie entschloß sich für Margarethe, einmal weil Gretchen einen in keiner
Weise an die Herkunft der Familie erinnernden Klang batie, sodann weil
die Umwandlung in N^uÄ-its sie wiederum der französischen Kolonie näher
brachte.

Seit jener Zeit waren erschütternde Ereignisse in dem Hause Gensve nicht
mehr vorgekommen. Nach der alten Erfahrung, daß nur der Erwerb der ersten
Hunderttausend Schwierigkeit macht, hatte sich das Vermögen fortwährend ver¬
größert. Zu dem Hause war eine Villa in Potsdam getreten, welche aber in
der Regel nur während der wenigen Frühjahrsmonate bewohnt wurde, da man
im Sommer mindestens in zwei Bäder reiste. Die Kinder erhielten den üblichen
Unterricht von Bonnen und Gouvernanten, von Klavier-, Gesang-, Sprach- und
Zeichenlehrern, und wurden nicht selten zum Stolz ihrer Eltern in ihren Gesell¬
schaften zur Parade vorgeführt. Für eine Bildung des Herzens geschah nichts,
denn man hielt die Humanität für genügend, um die Religion zu ersetzen. Die
Natur der Kinder war verschieden. Martin — französisch ausgesprochen —
hatte mehr den scheuen und stillen Charakter des Vaters und zeigte entschiedene
Neigung für den Handel. Schon als er kaum lesen konnte, zog ihn am meisten
der Kurszettel mit seinem kleinen, niedlichen Druck an, und in der Schule wußte
er von seineu Mitschüler» die schönsten Sachen einzutauschen, wobei er nie den
kürzeren zog. Ja als er eines Tages auf den Knie» seines Vaters herum-
schaukelte und dieser ihn im Scherze fragte, ob er Meinung für Lombarden
habe und ihm Martin zu dem Kauf riet, galt der Sohn als ein großes Finanz¬
genie, da sich diese Spekulation als sehr gewinnbringend erwiesen hatte, Frau
Bertha war diese Art von Talent durchaus nicht angenehm; sie hatte den Sohn
zum Diplomaten bestimmt und wurde nur ein wenig getröstet, als ihr Haus¬
freund Dr. Speiks auseinandersetzte, daß Spekulation und Diplomatie in den
engsten Beziehungen zu einander stünden, weil beide Metiers ihre Hauptkraft
ans die richtige Beurteilung der politischen Ereignisse wenden müßten. Seit
jener Erklärung entschuldigte Frau Genöve das tiefe Schweigen ihres Gatten
in Gesellschaften — er mußte auf ihren besondern Befehl still sein, um sich
keine Blöße zu geben — mit den schweren politischen Kombinationen, die ihn
fortwährend beschäftigten. Aber auch Herr Geusve war fortan mit der diplo¬
matischen Karriere seines Sohnes einverstanden, indem er sich schon ausmalte,
wie sich dereinst die geheimen Nachrichten aus dem auswärtigen Amt würden
finanziell verwerten lassen.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_154164/117>, abgerufen am 27.07.2024.