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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal.

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Francesco, von Rimini.

auf die französische Grammatik, sondern führte seine Schülerin auch in die
allgemeine Literatur und Geschichte ein. Manche Eindrücke deö Mühlaarschen
Unterrichts waren zu überwinden, doch zuletzt war Frau Bertha wenigstens ini
allgemeinen un und, und um die Details machte sie sich keine Sorgen- Sie
fing an richtig zu sprechen und verstand es auch schon, über Schiller zu reden,
über den "göttlichen" Hendrichs als Tell, über Helmerding, Anna Schramm
und was man sonst zur Bildung brauchte.

In die Vollendung dieses Lebensabschnitts fielen zwei Ereignisse. Ein¬
mal nannte sich Vertha nach dem Vorgange ihres Lehrers Geuöve; sie stu-
dirte diesen Namen, erfuhr von der französischen Kolonie in Berlin und
ließ sich deren Geschichte bis in alle Einzelheiten erzählen, sodaß sie bald
nur von den Nefugiös, den Ancillvns, Leeoqs, Hunderts und Valans
sprach. Ihr Sohn Martin, welcher inzwischen das schulpflichtige Alter er¬
reicht hatte, wurde in das französische Gymnasium geschickt; sie selbst machte
ihre Einkäufe in der ^onckation ^.olmrä, und so konsequent war sie in ihrer
Vorliebe für die französische Kolonie, daß sie zuletzt selbst glaubte, die Vor¬
fahren ihres Mannes hätten den Weg nach Deutschland nicht über Polen,
sondern über Frankreich genommen. Sodann hatte ihr Markus das, was mau
an der Börse einen Coup nennt, ausgeführt. Er war trotz aller Bemühungen
von den Größen der Getreide- und Finanzwelt noch immer nicht recht beachtet
worden; wenn er gleich pünktlich in der Erfüllung seiner Verbindlichkeiten und
im Zahlen der Differenzen war, so galt er doch nur als ein "Hergelaufener,"
der sich mit den angesessenen alten Firmen nicht messen dürfe. Diese Anschauung
kränkte nicht bloß Markus; besonders gereizt fühlte sich Bertha durch diese
hochmütige Zurücksetzung, und sie sann auf Rache und Genugthuung. Ihren
unausgesetzten Aufstachelungen gelang es, ihren Ehemann zu jener Geschäfts¬
operation in Roggen zu veranlassen, welche man in dem Börsenjargon mit dein
etymologisch noch nicht erklärten Ausdruck "Schwänze" bezeichnet. Markus
wagte zwar hierbei allenfalls sein kleines Vermögen und noch mehr, hatte aber
den Hintergedanken, bei etwaigem Mißlingen wieder nach seinem Heimatsstädtchen
zurückzukehren und dort seinen alten Handel mit den Bauern und Gutsbesitzern
aufzunehmen, deren rohe Behandlung mehr Interesse für ihn zeigte als die
vornehme Nichtbeachtung der Berliner "Karpfen." Jenes Manöver bestand aber
darin, daß er zu einer bestimmten Frist alle Vorräte von Roggen ankaufte und
dadurch die Gegner in die Unmöglichkeit setzte, zu liefern. In den Zeiten der ty¬
rannischen römischen Kaiserherrschaft und des dunkeln vorurteilsvollen Mittelalters,
das so oft als schrcckvolles Gegenbild der modernen Kulturepvche gebrandmarkt
wird, bezeichnete man eine solche Spekulation, welche selbstverständlich auf den Preis
der notwendigsten Nahrungsmittel erhöhend wirkte, als Dardanariat und be¬
strafte den spekulativen Kopf mit Entziehung der Freiheit, ja mit Tod. Die
neuere Zeit mit ihren humaneren Anschauungen gestattet die Ausbeutung der


Grenzboten IV. 1883. 14
Francesco, von Rimini.

auf die französische Grammatik, sondern führte seine Schülerin auch in die
allgemeine Literatur und Geschichte ein. Manche Eindrücke deö Mühlaarschen
Unterrichts waren zu überwinden, doch zuletzt war Frau Bertha wenigstens ini
allgemeinen un und, und um die Details machte sie sich keine Sorgen- Sie
fing an richtig zu sprechen und verstand es auch schon, über Schiller zu reden,
über den „göttlichen" Hendrichs als Tell, über Helmerding, Anna Schramm
und was man sonst zur Bildung brauchte.

In die Vollendung dieses Lebensabschnitts fielen zwei Ereignisse. Ein¬
mal nannte sich Vertha nach dem Vorgange ihres Lehrers Geuöve; sie stu-
dirte diesen Namen, erfuhr von der französischen Kolonie in Berlin und
ließ sich deren Geschichte bis in alle Einzelheiten erzählen, sodaß sie bald
nur von den Nefugiös, den Ancillvns, Leeoqs, Hunderts und Valans
sprach. Ihr Sohn Martin, welcher inzwischen das schulpflichtige Alter er¬
reicht hatte, wurde in das französische Gymnasium geschickt; sie selbst machte
ihre Einkäufe in der ^onckation ^.olmrä, und so konsequent war sie in ihrer
Vorliebe für die französische Kolonie, daß sie zuletzt selbst glaubte, die Vor¬
fahren ihres Mannes hätten den Weg nach Deutschland nicht über Polen,
sondern über Frankreich genommen. Sodann hatte ihr Markus das, was mau
an der Börse einen Coup nennt, ausgeführt. Er war trotz aller Bemühungen
von den Größen der Getreide- und Finanzwelt noch immer nicht recht beachtet
worden; wenn er gleich pünktlich in der Erfüllung seiner Verbindlichkeiten und
im Zahlen der Differenzen war, so galt er doch nur als ein „Hergelaufener,"
der sich mit den angesessenen alten Firmen nicht messen dürfe. Diese Anschauung
kränkte nicht bloß Markus; besonders gereizt fühlte sich Bertha durch diese
hochmütige Zurücksetzung, und sie sann auf Rache und Genugthuung. Ihren
unausgesetzten Aufstachelungen gelang es, ihren Ehemann zu jener Geschäfts¬
operation in Roggen zu veranlassen, welche man in dem Börsenjargon mit dein
etymologisch noch nicht erklärten Ausdruck „Schwänze" bezeichnet. Markus
wagte zwar hierbei allenfalls sein kleines Vermögen und noch mehr, hatte aber
den Hintergedanken, bei etwaigem Mißlingen wieder nach seinem Heimatsstädtchen
zurückzukehren und dort seinen alten Handel mit den Bauern und Gutsbesitzern
aufzunehmen, deren rohe Behandlung mehr Interesse für ihn zeigte als die
vornehme Nichtbeachtung der Berliner „Karpfen." Jenes Manöver bestand aber
darin, daß er zu einer bestimmten Frist alle Vorräte von Roggen ankaufte und
dadurch die Gegner in die Unmöglichkeit setzte, zu liefern. In den Zeiten der ty¬
rannischen römischen Kaiserherrschaft und des dunkeln vorurteilsvollen Mittelalters,
das so oft als schrcckvolles Gegenbild der modernen Kulturepvche gebrandmarkt
wird, bezeichnete man eine solche Spekulation, welche selbstverständlich auf den Preis
der notwendigsten Nahrungsmittel erhöhend wirkte, als Dardanariat und be¬
strafte den spekulativen Kopf mit Entziehung der Freiheit, ja mit Tod. Die
neuere Zeit mit ihren humaneren Anschauungen gestattet die Ausbeutung der


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[0115] Francesco, von Rimini. auf die französische Grammatik, sondern führte seine Schülerin auch in die allgemeine Literatur und Geschichte ein. Manche Eindrücke deö Mühlaarschen Unterrichts waren zu überwinden, doch zuletzt war Frau Bertha wenigstens ini allgemeinen un und, und um die Details machte sie sich keine Sorgen- Sie fing an richtig zu sprechen und verstand es auch schon, über Schiller zu reden, über den „göttlichen" Hendrichs als Tell, über Helmerding, Anna Schramm und was man sonst zur Bildung brauchte. In die Vollendung dieses Lebensabschnitts fielen zwei Ereignisse. Ein¬ mal nannte sich Vertha nach dem Vorgange ihres Lehrers Geuöve; sie stu- dirte diesen Namen, erfuhr von der französischen Kolonie in Berlin und ließ sich deren Geschichte bis in alle Einzelheiten erzählen, sodaß sie bald nur von den Nefugiös, den Ancillvns, Leeoqs, Hunderts und Valans sprach. Ihr Sohn Martin, welcher inzwischen das schulpflichtige Alter er¬ reicht hatte, wurde in das französische Gymnasium geschickt; sie selbst machte ihre Einkäufe in der ^onckation ^.olmrä, und so konsequent war sie in ihrer Vorliebe für die französische Kolonie, daß sie zuletzt selbst glaubte, die Vor¬ fahren ihres Mannes hätten den Weg nach Deutschland nicht über Polen, sondern über Frankreich genommen. Sodann hatte ihr Markus das, was mau an der Börse einen Coup nennt, ausgeführt. Er war trotz aller Bemühungen von den Größen der Getreide- und Finanzwelt noch immer nicht recht beachtet worden; wenn er gleich pünktlich in der Erfüllung seiner Verbindlichkeiten und im Zahlen der Differenzen war, so galt er doch nur als ein „Hergelaufener," der sich mit den angesessenen alten Firmen nicht messen dürfe. Diese Anschauung kränkte nicht bloß Markus; besonders gereizt fühlte sich Bertha durch diese hochmütige Zurücksetzung, und sie sann auf Rache und Genugthuung. Ihren unausgesetzten Aufstachelungen gelang es, ihren Ehemann zu jener Geschäfts¬ operation in Roggen zu veranlassen, welche man in dem Börsenjargon mit dein etymologisch noch nicht erklärten Ausdruck „Schwänze" bezeichnet. Markus wagte zwar hierbei allenfalls sein kleines Vermögen und noch mehr, hatte aber den Hintergedanken, bei etwaigem Mißlingen wieder nach seinem Heimatsstädtchen zurückzukehren und dort seinen alten Handel mit den Bauern und Gutsbesitzern aufzunehmen, deren rohe Behandlung mehr Interesse für ihn zeigte als die vornehme Nichtbeachtung der Berliner „Karpfen." Jenes Manöver bestand aber darin, daß er zu einer bestimmten Frist alle Vorräte von Roggen ankaufte und dadurch die Gegner in die Unmöglichkeit setzte, zu liefern. In den Zeiten der ty¬ rannischen römischen Kaiserherrschaft und des dunkeln vorurteilsvollen Mittelalters, das so oft als schrcckvolles Gegenbild der modernen Kulturepvche gebrandmarkt wird, bezeichnete man eine solche Spekulation, welche selbstverständlich auf den Preis der notwendigsten Nahrungsmittel erhöhend wirkte, als Dardanariat und be¬ strafte den spekulativen Kopf mit Entziehung der Freiheit, ja mit Tod. Die neuere Zeit mit ihren humaneren Anschauungen gestattet die Ausbeutung der Grenzboten IV. 1883. 14

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_154164/115>, abgerufen am 27.07.2024.