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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal.

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Agraria und kein Ende.

eignem Ermessen zu formuliren, muß die ökonomische, die nicht bloß historisch
betrachten, nicht bloß kritisiren, sondern lebendige, unser ganzes Volksleben um¬
gestaltende Vorschläge machen will, sich erst bis in das kleinste Detail von deren
Ausführbarkeit überzeugen, ehe sie damit vor die Welt tritt. Die Richtigkeit
dieser Bemerkungen wird sich an den von dem Verfasser aufgestellten Sätze"
zeigen. Als obersten Grundsatz, dessen Verwirklichung die Aufgabe unsrer Agrar¬
reform sein soll, behauptet er: "Der Grundbesitz muß und darf als Sache
im wirtschaftlichen Güterverkehr nur uach seinem wahren Werte, der in ihm
selber gegeben ist, zirkuliren, um seine eigne Funktion, als volkswirtschaftlichen
Lohnregulators, erfüllen zu können," Lassen wir einmal die Richtigkeit dieses
Satzes dahingestellt und fragen wir: Wie verwirklichen wir diesen Satz? Wer
bestimmt, daß ein Grundstück nach seinen Werte gekauft werden soll, wo läßt
sich ein so absolut sicherer Wert überhaupt auffinden? Weiter stellt der Ver¬
fasser die rechtliche Zulcissigkeit dinglicher Rechte entschieden in Abrede, Will
er damit auch alle Dienstbarkeiten beseitigen, wie die Wege- und Wassergerechtig¬
keiten? Bekanntlich ist die Teilung des Grundbesitzes em reine willkürliche, die
Kontinuität des Grund und Bodens ist von der Natur gegeben, und gerade
wo dieser Zusammenhang durch menschliche Willkür zerstört ist, dienen jene
Gerechtigkeiten dazu, die-zerstörte Verbindung wieder herzustellen. Ein dritter
Satz lautet: Der Grundbesitz ist mit allen seineu Pertincnzen privater Schuld¬
forderungen halber unexcqnirbar. Das läßt sich selbstverständlich überhaupt
nicht durchführen ohne eine Aufhebung der z. Z, bestehenden Grundschulden,
Hierfür giebt der Verfasser zwar in seinein Aufsatze Gedanken und Vorschläge
(S. 33--89), aber da er einsieht, daß der Grundbesitz des Kredites nicht ent¬
behren kann, so muß er doch wieder zu einer Organisation des landwirtschaft¬
lichen Kredits (S, 1--33) gelangen. Dieser Kredit soll nach seiner Ansicht
unter die Bürgschaft der Gemeinde gestellt werden. Nun ist gewiß nicht zu
leugnen, daß bei vollkommenen Menschen und bei einer uneigennützigen Verwaltung
der Wucherkredit unterdrückt und das Kapital im allgemeinen zweckentsprechend
ausgegeben wird, aber wo findet sich die Vollkommenheit? Wie viele Gemeinden
leiden an der sogenannten Vetternwirtschaft, und wenn sich diese schon in rein
kommunalen Angelegenheiten schwer fühlbar macht, wie wird das erst in den
Kreditfragen sein? Endlich aber, was geschieht, wenn die Gemeinde ihre Bürg¬
schaft einlösen muß? Dann muß sie sich doch an dem zahlungsunfähigen Schuldner
erholen und das Grundstück wegen dieser Privatforderung exequiren oder das
Schuldbuch vernichten.

Diese Beispiele werden genügen, von den Ideen des Verfassers eine Vor¬
stellung zu geben. Im einzelnen seinen Vorschlägen zu folgen, würde nicht
möglich sein, ohne an den Raum dieser Zeitschrift und die Geduld ihrer Leser
M große Anforderungen zu stellen. Trotz aller unsrer Einwürfe mag aber das
Buch alle" empfohlen sein, welche sich für die agrarpolitischen Fragen der
Gegenwart interessiren.




Agraria und kein Ende.

eignem Ermessen zu formuliren, muß die ökonomische, die nicht bloß historisch
betrachten, nicht bloß kritisiren, sondern lebendige, unser ganzes Volksleben um¬
gestaltende Vorschläge machen will, sich erst bis in das kleinste Detail von deren
Ausführbarkeit überzeugen, ehe sie damit vor die Welt tritt. Die Richtigkeit
dieser Bemerkungen wird sich an den von dem Verfasser aufgestellten Sätze»
zeigen. Als obersten Grundsatz, dessen Verwirklichung die Aufgabe unsrer Agrar¬
reform sein soll, behauptet er: „Der Grundbesitz muß und darf als Sache
im wirtschaftlichen Güterverkehr nur uach seinem wahren Werte, der in ihm
selber gegeben ist, zirkuliren, um seine eigne Funktion, als volkswirtschaftlichen
Lohnregulators, erfüllen zu können," Lassen wir einmal die Richtigkeit dieses
Satzes dahingestellt und fragen wir: Wie verwirklichen wir diesen Satz? Wer
bestimmt, daß ein Grundstück nach seinen Werte gekauft werden soll, wo läßt
sich ein so absolut sicherer Wert überhaupt auffinden? Weiter stellt der Ver¬
fasser die rechtliche Zulcissigkeit dinglicher Rechte entschieden in Abrede, Will
er damit auch alle Dienstbarkeiten beseitigen, wie die Wege- und Wassergerechtig¬
keiten? Bekanntlich ist die Teilung des Grundbesitzes em reine willkürliche, die
Kontinuität des Grund und Bodens ist von der Natur gegeben, und gerade
wo dieser Zusammenhang durch menschliche Willkür zerstört ist, dienen jene
Gerechtigkeiten dazu, die-zerstörte Verbindung wieder herzustellen. Ein dritter
Satz lautet: Der Grundbesitz ist mit allen seineu Pertincnzen privater Schuld¬
forderungen halber unexcqnirbar. Das läßt sich selbstverständlich überhaupt
nicht durchführen ohne eine Aufhebung der z. Z, bestehenden Grundschulden,
Hierfür giebt der Verfasser zwar in seinein Aufsatze Gedanken und Vorschläge
(S. 33—89), aber da er einsieht, daß der Grundbesitz des Kredites nicht ent¬
behren kann, so muß er doch wieder zu einer Organisation des landwirtschaft¬
lichen Kredits (S, 1—33) gelangen. Dieser Kredit soll nach seiner Ansicht
unter die Bürgschaft der Gemeinde gestellt werden. Nun ist gewiß nicht zu
leugnen, daß bei vollkommenen Menschen und bei einer uneigennützigen Verwaltung
der Wucherkredit unterdrückt und das Kapital im allgemeinen zweckentsprechend
ausgegeben wird, aber wo findet sich die Vollkommenheit? Wie viele Gemeinden
leiden an der sogenannten Vetternwirtschaft, und wenn sich diese schon in rein
kommunalen Angelegenheiten schwer fühlbar macht, wie wird das erst in den
Kreditfragen sein? Endlich aber, was geschieht, wenn die Gemeinde ihre Bürg¬
schaft einlösen muß? Dann muß sie sich doch an dem zahlungsunfähigen Schuldner
erholen und das Grundstück wegen dieser Privatforderung exequiren oder das
Schuldbuch vernichten.

Diese Beispiele werden genügen, von den Ideen des Verfassers eine Vor¬
stellung zu geben. Im einzelnen seinen Vorschlägen zu folgen, würde nicht
möglich sein, ohne an den Raum dieser Zeitschrift und die Geduld ihrer Leser
M große Anforderungen zu stellen. Trotz aller unsrer Einwürfe mag aber das
Buch alle» empfohlen sein, welche sich für die agrarpolitischen Fragen der
Gegenwart interessiren.




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_154164/111>, abgerufen am 01.09.2024.