Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Das Schwurgericht.

baren rechtlichen Gesichtspunkte unterbreitet wird, sonder" einzelne mit ja oder
nein zu beantwortende Fragen vorgelegt werden, und 2. daß ihnen anch in
dieser Form nicht einmal die ganze ungelenke Entscheidung des Prozesses zu¬
fällt, das; vielmehr zu diesem Zwecke zwei getrennte Kollegien, die Geschwornen¬
bank und das mit drei rechtsgelehrten Richtern besetzte Gericht, auf gesonderten
Gebieten zusammenzuwirken haben. Das Unnatürliche und Gezwungene dieser
Anordnungen leuchtet ohne weiteres ein und tritt in der Praxis aufs grellste
hervor. Es sind das aber Mißstände, zu deren Beseitigung es nur einen Weg
giebt: die Abschaffung der Schwurgerichte überhaupt.

Es würde zu weit in juristisches Detail hineinführen, wenn ich an Beispielen
darthun wollte, welch ein Kreuz in jedem nicht ganz einfachen Falle das
"Problem der Fragestellung" für das Gericht, den Vorsitzenden, den Staatsan¬
walt und den Verteidiger abgiebt. Auch dem Nichtjnristen dürfte ja zur Genüge
bekannt seil?, daß wir eine eigene bändereiche Literatur über dieses "Problem"
besitzen, daß in vielen Fällen, trotz alles bei der Formulirung der Fragen auf¬
gewandten Kopfzerbrechens, ihre Fassung doch zur Vernichtung des darauf
basirten Urteils durch das höhere Gericht aus formellen Gründen führt, und
daß auch der korrektest ausgearbeitete Fragebogen mit seinem Geniirre von
kumulativen, alternativen, eventuellen und höchst eventuellen, in die abstraktesten
Gesetzeswortc gekleideten Fragen für die Geschwornen nicht selten ein Labyrinth
bleibt, durch welches auch der erläuternde Vortrag des Präsidenten ihnen den
Weg nicht zu zeigen vermag. Wäre das anders, so könnten nicht die innern
Widersprüche in den Verdikten, für deren Aufhebung die Strafprozeßordnung
ein besondres Verfahren vorschreibt, eine so häufige Erscheinung sein. Und
dabei hat man es noch als einen Glücksfall anzusehen, wenn das obwaltende
Mißverständnis durch ein in aller Form sich selbst widersprechendes Verdikt
zu Tage kommt und somit aufgeklärt und beseitigt werden kann. Nicht selten
will es der Zufall, daß die auf vollkommenen Mißverständnissen beruhenden
Antworten doch äußerlich zu einem festen Resultate zusammenstimme". Daun
ist der Schaden unheilbar, und die Geschwornen erfahren zu ihrem nicht
geringen Erstannen, daß das Endergebnis eine Freisprechung ist, während sie
verurteilen wollten, oder umgekehrt. Jedem Praktiker werden solche Fälle in
der Erinnerung sein.

Einen charakteristischen Nebenpnnkt will ich hier nicht unerwähnt lassen:
das Diplomatisiren bei der Fragestellung. Wenn eine und dieselbe That eine
strengere und eine mildere Auffassung rechtlich zuläßt, wenn beispielsweise ein
thatsächlich falscher Eid als wissentlich oder nur fahrlässig unwahr geleistet
angesehen werden kann, so wird auch der von der vollen Schuld des Meineidigen
überzeugte Staatsanwalt zu erwägen haben, ob er nicht doch die Stellung einer
Eventualfrage auf fahrlässig falschen Eid beantragen soll. Es hat eine solche
Hilfsfrage das Gute, daß Geschwornen, welche nicht den Mut haben, die Ver-


Das Schwurgericht.

baren rechtlichen Gesichtspunkte unterbreitet wird, sonder» einzelne mit ja oder
nein zu beantwortende Fragen vorgelegt werden, und 2. daß ihnen anch in
dieser Form nicht einmal die ganze ungelenke Entscheidung des Prozesses zu¬
fällt, das; vielmehr zu diesem Zwecke zwei getrennte Kollegien, die Geschwornen¬
bank und das mit drei rechtsgelehrten Richtern besetzte Gericht, auf gesonderten
Gebieten zusammenzuwirken haben. Das Unnatürliche und Gezwungene dieser
Anordnungen leuchtet ohne weiteres ein und tritt in der Praxis aufs grellste
hervor. Es sind das aber Mißstände, zu deren Beseitigung es nur einen Weg
giebt: die Abschaffung der Schwurgerichte überhaupt.

Es würde zu weit in juristisches Detail hineinführen, wenn ich an Beispielen
darthun wollte, welch ein Kreuz in jedem nicht ganz einfachen Falle das
„Problem der Fragestellung" für das Gericht, den Vorsitzenden, den Staatsan¬
walt und den Verteidiger abgiebt. Auch dem Nichtjnristen dürfte ja zur Genüge
bekannt seil?, daß wir eine eigene bändereiche Literatur über dieses „Problem"
besitzen, daß in vielen Fällen, trotz alles bei der Formulirung der Fragen auf¬
gewandten Kopfzerbrechens, ihre Fassung doch zur Vernichtung des darauf
basirten Urteils durch das höhere Gericht aus formellen Gründen führt, und
daß auch der korrektest ausgearbeitete Fragebogen mit seinem Geniirre von
kumulativen, alternativen, eventuellen und höchst eventuellen, in die abstraktesten
Gesetzeswortc gekleideten Fragen für die Geschwornen nicht selten ein Labyrinth
bleibt, durch welches auch der erläuternde Vortrag des Präsidenten ihnen den
Weg nicht zu zeigen vermag. Wäre das anders, so könnten nicht die innern
Widersprüche in den Verdikten, für deren Aufhebung die Strafprozeßordnung
ein besondres Verfahren vorschreibt, eine so häufige Erscheinung sein. Und
dabei hat man es noch als einen Glücksfall anzusehen, wenn das obwaltende
Mißverständnis durch ein in aller Form sich selbst widersprechendes Verdikt
zu Tage kommt und somit aufgeklärt und beseitigt werden kann. Nicht selten
will es der Zufall, daß die auf vollkommenen Mißverständnissen beruhenden
Antworten doch äußerlich zu einem festen Resultate zusammenstimme». Daun
ist der Schaden unheilbar, und die Geschwornen erfahren zu ihrem nicht
geringen Erstannen, daß das Endergebnis eine Freisprechung ist, während sie
verurteilen wollten, oder umgekehrt. Jedem Praktiker werden solche Fälle in
der Erinnerung sein.

Einen charakteristischen Nebenpnnkt will ich hier nicht unerwähnt lassen:
das Diplomatisiren bei der Fragestellung. Wenn eine und dieselbe That eine
strengere und eine mildere Auffassung rechtlich zuläßt, wenn beispielsweise ein
thatsächlich falscher Eid als wissentlich oder nur fahrlässig unwahr geleistet
angesehen werden kann, so wird auch der von der vollen Schuld des Meineidigen
überzeugte Staatsanwalt zu erwägen haben, ob er nicht doch die Stellung einer
Eventualfrage auf fahrlässig falschen Eid beantragen soll. Es hat eine solche
Hilfsfrage das Gute, daß Geschwornen, welche nicht den Mut haben, die Ver-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0078" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/153527"/>
          <fw type="header" place="top"> Das Schwurgericht.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_306" prev="#ID_305"> baren rechtlichen Gesichtspunkte unterbreitet wird, sonder» einzelne mit ja oder<lb/>
nein zu beantwortende Fragen vorgelegt werden, und 2. daß ihnen anch in<lb/>
dieser Form nicht einmal die ganze ungelenke Entscheidung des Prozesses zu¬<lb/>
fällt, das; vielmehr zu diesem Zwecke zwei getrennte Kollegien, die Geschwornen¬<lb/>
bank und das mit drei rechtsgelehrten Richtern besetzte Gericht, auf gesonderten<lb/>
Gebieten zusammenzuwirken haben. Das Unnatürliche und Gezwungene dieser<lb/>
Anordnungen leuchtet ohne weiteres ein und tritt in der Praxis aufs grellste<lb/>
hervor. Es sind das aber Mißstände, zu deren Beseitigung es nur einen Weg<lb/>
giebt: die Abschaffung der Schwurgerichte überhaupt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_307"> Es würde zu weit in juristisches Detail hineinführen, wenn ich an Beispielen<lb/>
darthun wollte, welch ein Kreuz in jedem nicht ganz einfachen Falle das<lb/>
&#x201E;Problem der Fragestellung" für das Gericht, den Vorsitzenden, den Staatsan¬<lb/>
walt und den Verteidiger abgiebt. Auch dem Nichtjnristen dürfte ja zur Genüge<lb/>
bekannt seil?, daß wir eine eigene bändereiche Literatur über dieses &#x201E;Problem"<lb/>
besitzen, daß in vielen Fällen, trotz alles bei der Formulirung der Fragen auf¬<lb/>
gewandten Kopfzerbrechens, ihre Fassung doch zur Vernichtung des darauf<lb/>
basirten Urteils durch das höhere Gericht aus formellen Gründen führt, und<lb/>
daß auch der korrektest ausgearbeitete Fragebogen mit seinem Geniirre von<lb/>
kumulativen, alternativen, eventuellen und höchst eventuellen, in die abstraktesten<lb/>
Gesetzeswortc gekleideten Fragen für die Geschwornen nicht selten ein Labyrinth<lb/>
bleibt, durch welches auch der erläuternde Vortrag des Präsidenten ihnen den<lb/>
Weg nicht zu zeigen vermag. Wäre das anders, so könnten nicht die innern<lb/>
Widersprüche in den Verdikten, für deren Aufhebung die Strafprozeßordnung<lb/>
ein besondres Verfahren vorschreibt, eine so häufige Erscheinung sein. Und<lb/>
dabei hat man es noch als einen Glücksfall anzusehen, wenn das obwaltende<lb/>
Mißverständnis durch ein in aller Form sich selbst widersprechendes Verdikt<lb/>
zu Tage kommt und somit aufgeklärt und beseitigt werden kann. Nicht selten<lb/>
will es der Zufall, daß die auf vollkommenen Mißverständnissen beruhenden<lb/>
Antworten doch äußerlich zu einem festen Resultate zusammenstimme». Daun<lb/>
ist der Schaden unheilbar, und die Geschwornen erfahren zu ihrem nicht<lb/>
geringen Erstannen, daß das Endergebnis eine Freisprechung ist, während sie<lb/>
verurteilen wollten, oder umgekehrt. Jedem Praktiker werden solche Fälle in<lb/>
der Erinnerung sein.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_308" next="#ID_309"> Einen charakteristischen Nebenpnnkt will ich hier nicht unerwähnt lassen:<lb/>
das Diplomatisiren bei der Fragestellung. Wenn eine und dieselbe That eine<lb/>
strengere und eine mildere Auffassung rechtlich zuläßt, wenn beispielsweise ein<lb/>
thatsächlich falscher Eid als wissentlich oder nur fahrlässig unwahr geleistet<lb/>
angesehen werden kann, so wird auch der von der vollen Schuld des Meineidigen<lb/>
überzeugte Staatsanwalt zu erwägen haben, ob er nicht doch die Stellung einer<lb/>
Eventualfrage auf fahrlässig falschen Eid beantragen soll. Es hat eine solche<lb/>
Hilfsfrage das Gute, daß Geschwornen, welche nicht den Mut haben, die Ver-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0078] Das Schwurgericht. baren rechtlichen Gesichtspunkte unterbreitet wird, sonder» einzelne mit ja oder nein zu beantwortende Fragen vorgelegt werden, und 2. daß ihnen anch in dieser Form nicht einmal die ganze ungelenke Entscheidung des Prozesses zu¬ fällt, das; vielmehr zu diesem Zwecke zwei getrennte Kollegien, die Geschwornen¬ bank und das mit drei rechtsgelehrten Richtern besetzte Gericht, auf gesonderten Gebieten zusammenzuwirken haben. Das Unnatürliche und Gezwungene dieser Anordnungen leuchtet ohne weiteres ein und tritt in der Praxis aufs grellste hervor. Es sind das aber Mißstände, zu deren Beseitigung es nur einen Weg giebt: die Abschaffung der Schwurgerichte überhaupt. Es würde zu weit in juristisches Detail hineinführen, wenn ich an Beispielen darthun wollte, welch ein Kreuz in jedem nicht ganz einfachen Falle das „Problem der Fragestellung" für das Gericht, den Vorsitzenden, den Staatsan¬ walt und den Verteidiger abgiebt. Auch dem Nichtjnristen dürfte ja zur Genüge bekannt seil?, daß wir eine eigene bändereiche Literatur über dieses „Problem" besitzen, daß in vielen Fällen, trotz alles bei der Formulirung der Fragen auf¬ gewandten Kopfzerbrechens, ihre Fassung doch zur Vernichtung des darauf basirten Urteils durch das höhere Gericht aus formellen Gründen führt, und daß auch der korrektest ausgearbeitete Fragebogen mit seinem Geniirre von kumulativen, alternativen, eventuellen und höchst eventuellen, in die abstraktesten Gesetzeswortc gekleideten Fragen für die Geschwornen nicht selten ein Labyrinth bleibt, durch welches auch der erläuternde Vortrag des Präsidenten ihnen den Weg nicht zu zeigen vermag. Wäre das anders, so könnten nicht die innern Widersprüche in den Verdikten, für deren Aufhebung die Strafprozeßordnung ein besondres Verfahren vorschreibt, eine so häufige Erscheinung sein. Und dabei hat man es noch als einen Glücksfall anzusehen, wenn das obwaltende Mißverständnis durch ein in aller Form sich selbst widersprechendes Verdikt zu Tage kommt und somit aufgeklärt und beseitigt werden kann. Nicht selten will es der Zufall, daß die auf vollkommenen Mißverständnissen beruhenden Antworten doch äußerlich zu einem festen Resultate zusammenstimme». Daun ist der Schaden unheilbar, und die Geschwornen erfahren zu ihrem nicht geringen Erstannen, daß das Endergebnis eine Freisprechung ist, während sie verurteilen wollten, oder umgekehrt. Jedem Praktiker werden solche Fälle in der Erinnerung sein. Einen charakteristischen Nebenpnnkt will ich hier nicht unerwähnt lassen: das Diplomatisiren bei der Fragestellung. Wenn eine und dieselbe That eine strengere und eine mildere Auffassung rechtlich zuläßt, wenn beispielsweise ein thatsächlich falscher Eid als wissentlich oder nur fahrlässig unwahr geleistet angesehen werden kann, so wird auch der von der vollen Schuld des Meineidigen überzeugte Staatsanwalt zu erwägen haben, ob er nicht doch die Stellung einer Eventualfrage auf fahrlässig falschen Eid beantragen soll. Es hat eine solche Hilfsfrage das Gute, daß Geschwornen, welche nicht den Mut haben, die Ver-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_153446
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_153446/78
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_153446/78>, abgerufen am 08.09.2024.