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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal.

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Die Davidsbiindler.

Von den vielen kleinen Zügen, die Jansen zur Charakteristik Schumanns
des Menschen gesammelt hat, teilen wir schließlich noch einen mit, den er
Hanslick nacherzählt, und der sich ans Schumanns auch von andrer Seite be¬
zeugte große Schweigsamkeit bezieht. Als Richard Wagner 1846 von Paris
zurückkam, besuchte er Schumann, erzählte ihm von seinen Pariser Erlebnissen,
sprach von den französischen Musikverhältnissen, dann von den deutschen, sprach
von Literatur und Politik -- Schumann blieb so gut wie stumm fast eine
Stunde lang. "Ja, man kann doch nicht immer allein reden. Ein hochbegabter
Musiker, aber ein unmöglicher Mensch!" meinte Wagner damals zu Hanslick.
Dagegen äußerte sich Schumann, Wagner sei zwar ein sehr unterrichteter und
geistreicher Mann, rede aber unaufhörlich, und das könne man doch auf die
Länge nicht aushalten. Wir stellen diese Anekdote an den Schluß unsrer Aus¬
züge, weil in dem ganzen Buche Jansens, wie es zu einer Zeit erschienen ist,
wo der Wagnerlärm der letzten Jahre endlich verstummt und die bestäubten
Wagnerbüsten, Parsifalklavierauszüge und Palazzo-Vendramin-Photographien
endlich aus den Schaufenstern unsrer Musikalienhandlungen verschwinden, uns
unwillkürlich beim Lesen die Gestalt Schumanns zu der Wagners in fortwäh¬
renden Gegensatz getreten ist. Wenn man das Bild eines echten Künstlers von
Gottes Gnaden und das Bild einer blendenden, täuschenden Scheingröße neben¬
einander haben will, so braucht man nur Schumann neben Wagner zu stellen.
Hier ein Mensch, der seine Kräfte an ein unkünstlerisches Phantom vergeudet,
das er voll Eitelkeit und Anmaßung als das "Kunstwerk der Zukunft" anpreist,
der nach dem Beifall der urteilslosen Masse jagt und der, um diesen Beifall
zu erringen, unaufhörlich für sich selbst Reklame macht und andre machen läßt,
ganze Bücher über sich und seine Ideen schreibt und duldet, daß eine förm¬
liche Bibliothek bei Lebzeiten schon über ihn geschrieben werde, -- dort ein
Mensch, der sein Leben lang den höchsten Zielen der Kunst nachstrebt, geräusch¬
los, bescheiden und von wenigen verstanden seines Weges geht und es der Zeit
überläßt, seinen Schöpfungen Bahn zu machen. Die Zukunft beider wird und
muß natürlich dem entsprechen. Schumann wird still und stetig in immer wei¬
tere Kreise hineinwachsen, Wagner wird in zwanzig Jahren ungefähr an der¬
selben Stelle stehen, wo heute Meyerbeer steht. Dahin gehört er auch. Wie
aber Schumann über Meyerbeer dachte, zeigt außer seiner großen Hugeuotten-
kritik von 1837 am besten die kleine Kritik über den "Propheten" von 1850 --
die kleinste Kritik, die Schumann je geschrieben. Sie steht in feinem interessanten
"Theaterbüchlein" im zweiten Bande der Gesammelten Schriften und lautet: "Pro¬
phet von Gian. Meyerbeer. (Den 2. Februar 1850). f" Das Kreuz hat hier den¬
selben Sinn wie in Goethes bekanntem Epigramm; es dient zur Bezeichnung alles
Greulichen und Abscheulichen, das einem Menschen widerfahren kann, ^.höle!*)



*) Ein ganz ähnlicher Humbug, wie er in den letzten zehn Jahren mit Wagner ge¬
trieben worden ist, wurde in den vierziger Jahren mit Berlioz aufgeführt. Griepeukerl
Die Davidsbiindler.

Von den vielen kleinen Zügen, die Jansen zur Charakteristik Schumanns
des Menschen gesammelt hat, teilen wir schließlich noch einen mit, den er
Hanslick nacherzählt, und der sich ans Schumanns auch von andrer Seite be¬
zeugte große Schweigsamkeit bezieht. Als Richard Wagner 1846 von Paris
zurückkam, besuchte er Schumann, erzählte ihm von seinen Pariser Erlebnissen,
sprach von den französischen Musikverhältnissen, dann von den deutschen, sprach
von Literatur und Politik — Schumann blieb so gut wie stumm fast eine
Stunde lang. „Ja, man kann doch nicht immer allein reden. Ein hochbegabter
Musiker, aber ein unmöglicher Mensch!" meinte Wagner damals zu Hanslick.
Dagegen äußerte sich Schumann, Wagner sei zwar ein sehr unterrichteter und
geistreicher Mann, rede aber unaufhörlich, und das könne man doch auf die
Länge nicht aushalten. Wir stellen diese Anekdote an den Schluß unsrer Aus¬
züge, weil in dem ganzen Buche Jansens, wie es zu einer Zeit erschienen ist,
wo der Wagnerlärm der letzten Jahre endlich verstummt und die bestäubten
Wagnerbüsten, Parsifalklavierauszüge und Palazzo-Vendramin-Photographien
endlich aus den Schaufenstern unsrer Musikalienhandlungen verschwinden, uns
unwillkürlich beim Lesen die Gestalt Schumanns zu der Wagners in fortwäh¬
renden Gegensatz getreten ist. Wenn man das Bild eines echten Künstlers von
Gottes Gnaden und das Bild einer blendenden, täuschenden Scheingröße neben¬
einander haben will, so braucht man nur Schumann neben Wagner zu stellen.
Hier ein Mensch, der seine Kräfte an ein unkünstlerisches Phantom vergeudet,
das er voll Eitelkeit und Anmaßung als das „Kunstwerk der Zukunft" anpreist,
der nach dem Beifall der urteilslosen Masse jagt und der, um diesen Beifall
zu erringen, unaufhörlich für sich selbst Reklame macht und andre machen läßt,
ganze Bücher über sich und seine Ideen schreibt und duldet, daß eine förm¬
liche Bibliothek bei Lebzeiten schon über ihn geschrieben werde, — dort ein
Mensch, der sein Leben lang den höchsten Zielen der Kunst nachstrebt, geräusch¬
los, bescheiden und von wenigen verstanden seines Weges geht und es der Zeit
überläßt, seinen Schöpfungen Bahn zu machen. Die Zukunft beider wird und
muß natürlich dem entsprechen. Schumann wird still und stetig in immer wei¬
tere Kreise hineinwachsen, Wagner wird in zwanzig Jahren ungefähr an der¬
selben Stelle stehen, wo heute Meyerbeer steht. Dahin gehört er auch. Wie
aber Schumann über Meyerbeer dachte, zeigt außer seiner großen Hugeuotten-
kritik von 1837 am besten die kleine Kritik über den „Propheten" von 1850 —
die kleinste Kritik, die Schumann je geschrieben. Sie steht in feinem interessanten
„Theaterbüchlein" im zweiten Bande der Gesammelten Schriften und lautet: „Pro¬
phet von Gian. Meyerbeer. (Den 2. Februar 1850). f" Das Kreuz hat hier den¬
selben Sinn wie in Goethes bekanntem Epigramm; es dient zur Bezeichnung alles
Greulichen und Abscheulichen, das einem Menschen widerfahren kann, ^.höle!*)



*) Ein ganz ähnlicher Humbug, wie er in den letzten zehn Jahren mit Wagner ge¬
trieben worden ist, wurde in den vierziger Jahren mit Berlioz aufgeführt. Griepeukerl
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[0692] Die Davidsbiindler. Von den vielen kleinen Zügen, die Jansen zur Charakteristik Schumanns des Menschen gesammelt hat, teilen wir schließlich noch einen mit, den er Hanslick nacherzählt, und der sich ans Schumanns auch von andrer Seite be¬ zeugte große Schweigsamkeit bezieht. Als Richard Wagner 1846 von Paris zurückkam, besuchte er Schumann, erzählte ihm von seinen Pariser Erlebnissen, sprach von den französischen Musikverhältnissen, dann von den deutschen, sprach von Literatur und Politik — Schumann blieb so gut wie stumm fast eine Stunde lang. „Ja, man kann doch nicht immer allein reden. Ein hochbegabter Musiker, aber ein unmöglicher Mensch!" meinte Wagner damals zu Hanslick. Dagegen äußerte sich Schumann, Wagner sei zwar ein sehr unterrichteter und geistreicher Mann, rede aber unaufhörlich, und das könne man doch auf die Länge nicht aushalten. Wir stellen diese Anekdote an den Schluß unsrer Aus¬ züge, weil in dem ganzen Buche Jansens, wie es zu einer Zeit erschienen ist, wo der Wagnerlärm der letzten Jahre endlich verstummt und die bestäubten Wagnerbüsten, Parsifalklavierauszüge und Palazzo-Vendramin-Photographien endlich aus den Schaufenstern unsrer Musikalienhandlungen verschwinden, uns unwillkürlich beim Lesen die Gestalt Schumanns zu der Wagners in fortwäh¬ renden Gegensatz getreten ist. Wenn man das Bild eines echten Künstlers von Gottes Gnaden und das Bild einer blendenden, täuschenden Scheingröße neben¬ einander haben will, so braucht man nur Schumann neben Wagner zu stellen. Hier ein Mensch, der seine Kräfte an ein unkünstlerisches Phantom vergeudet, das er voll Eitelkeit und Anmaßung als das „Kunstwerk der Zukunft" anpreist, der nach dem Beifall der urteilslosen Masse jagt und der, um diesen Beifall zu erringen, unaufhörlich für sich selbst Reklame macht und andre machen läßt, ganze Bücher über sich und seine Ideen schreibt und duldet, daß eine förm¬ liche Bibliothek bei Lebzeiten schon über ihn geschrieben werde, — dort ein Mensch, der sein Leben lang den höchsten Zielen der Kunst nachstrebt, geräusch¬ los, bescheiden und von wenigen verstanden seines Weges geht und es der Zeit überläßt, seinen Schöpfungen Bahn zu machen. Die Zukunft beider wird und muß natürlich dem entsprechen. Schumann wird still und stetig in immer wei¬ tere Kreise hineinwachsen, Wagner wird in zwanzig Jahren ungefähr an der¬ selben Stelle stehen, wo heute Meyerbeer steht. Dahin gehört er auch. Wie aber Schumann über Meyerbeer dachte, zeigt außer seiner großen Hugeuotten- kritik von 1837 am besten die kleine Kritik über den „Propheten" von 1850 — die kleinste Kritik, die Schumann je geschrieben. Sie steht in feinem interessanten „Theaterbüchlein" im zweiten Bande der Gesammelten Schriften und lautet: „Pro¬ phet von Gian. Meyerbeer. (Den 2. Februar 1850). f" Das Kreuz hat hier den¬ selben Sinn wie in Goethes bekanntem Epigramm; es dient zur Bezeichnung alles Greulichen und Abscheulichen, das einem Menschen widerfahren kann, ^.höle!*) *) Ein ganz ähnlicher Humbug, wie er in den letzten zehn Jahren mit Wagner ge¬ trieben worden ist, wurde in den vierziger Jahren mit Berlioz aufgeführt. Griepeukerl

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_153446/692>, abgerufen am 08.09.2024.