Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Aus dem Schuldbuche der Fortschrittspartei.

Ministerium den Kurhessen einen Dienst gethan, ihren Verfassungskonflitt zu
Ende geführt hat, so können wir dies unmöglich mit besondern: Dank anerkennen;
denn uns hat es den VerfassuugskonsM gebracht." Und über die Vereitlung
des Delegirtenprojekts am Bunde durch Preußen bemerkte derselbe Redner, es
sei eigentlich durch die öffentliche Meinung gefallen. Dann wurde Österreich auf
Kosten Preußens gelobt, indem Herr Schulze bemerkte: "Während Österreich in
der vollen Hingabe an das konstitutionelle Prinzip die ungeheuern Schwierig¬
keiten seines Staatswesens wenigstens einleitend und augenblicklich zu beschwören
wußte, lenkte man in Preußen ohne jede Veranlassung von dem konstitutionellen
Prinzip ab und in das absolute zurück und bereitete sich dadurch künstlich Ver¬
legenheiten und untergrub die Stellung unsers Vaterlandes in dem Augenblicke,
als Österreich das rechte Mittel erkannte, die seine zu befestigen." Zuletzt kam
der Geist der Weissagung über den würdigen Landboten, und er hub an zu
prophezeien: "Zentralgewalt und Parlament ist noch jetzt die Losung im ganzen
deutschen Volke. Preußen hatte unter dem Ministerium Bernstorff diese Losung
auf seine Fahnen geschrieben, und wir haben nicht gehört, daß sie bis dato ge¬
wechselt sei. Aber, meine Herren, wenn das jetzige Ministerium den Ruf er¬
schallen ließe -- es wird es nicht thun, es befindet sich gar nicht in der Mög¬
lichkeit dazu, ich gebe hier nur die hypothetische Annahme -- wenn es ihn er¬
schallen ließe, so würde sich bei dem von ihm berufenen Parlamente niemand
einfinden." Dieses Vatizinium wurde mit Bravo und "großer Heiterkeit" auf¬
genommen. Uns stimmt es heute gleichermaßen sehr heiter, da sich zu dem später
von Bismarck berufenen Parlamente recht viele Leute, in der That alle, die
berufen worden, einfanden, und darunter auch der Prophet Schulze.

Um dieselbe Zeit meinte der Abgeordnete von Sybel, indem er von der
funfzigjährigen Gedächtnisfeier der Freiheitskriege redete: "Es würde in der Natur
der Dinge liegen, wenn wir die Gräber Scharnhorsts und Gneisenaus mit
Blumen schmückten, aber ihre Bildsäulen mit Flor verhüllten. Dahin sind wir
unter der Herrschaft dieser quasi konstitutionellen Regierung gekommen. Die
Kleinodien unsrer Vergangenheit werden uns unter den Händen verfälscht, und
der Blick in unsre Zukunft wird uns von Grund aus verdüstert. . . . Eine
preußische Regierung, die den geschichtlichen Aufgaben ihres Staates im neun¬
zehnten Jahrhunderte gewachsen sein soll, muß es verstehen, allen realen Be¬
dürfnissen und Wünschen des preußischen Volkes zu genügen und zu gleicher
Zeit mit Initiative und vorausschauender Energie die Wünsche des Volkes durch
Aufstecken großer und idealer Ziele um ihr Banner zu versammeln. Ich weiß
wohl, meine Herren, man soll solche Anforderungen nicht zum unmittelbaren
Maßstabe von einzelnen Regierungen und Ministerien machen. . . . Aber das
können wir erwarten, das können wir begehren, daß nicht gerade das Gegenteil
von solchen Tendenzen unsre Regierung erfülle." Mit welchen Empfindungen
mag wohl der Herr Professor diese Redensarten jetzt betrachten? Er hat, wie


Aus dem Schuldbuche der Fortschrittspartei.

Ministerium den Kurhessen einen Dienst gethan, ihren Verfassungskonflitt zu
Ende geführt hat, so können wir dies unmöglich mit besondern: Dank anerkennen;
denn uns hat es den VerfassuugskonsM gebracht." Und über die Vereitlung
des Delegirtenprojekts am Bunde durch Preußen bemerkte derselbe Redner, es
sei eigentlich durch die öffentliche Meinung gefallen. Dann wurde Österreich auf
Kosten Preußens gelobt, indem Herr Schulze bemerkte: „Während Österreich in
der vollen Hingabe an das konstitutionelle Prinzip die ungeheuern Schwierig¬
keiten seines Staatswesens wenigstens einleitend und augenblicklich zu beschwören
wußte, lenkte man in Preußen ohne jede Veranlassung von dem konstitutionellen
Prinzip ab und in das absolute zurück und bereitete sich dadurch künstlich Ver¬
legenheiten und untergrub die Stellung unsers Vaterlandes in dem Augenblicke,
als Österreich das rechte Mittel erkannte, die seine zu befestigen." Zuletzt kam
der Geist der Weissagung über den würdigen Landboten, und er hub an zu
prophezeien: „Zentralgewalt und Parlament ist noch jetzt die Losung im ganzen
deutschen Volke. Preußen hatte unter dem Ministerium Bernstorff diese Losung
auf seine Fahnen geschrieben, und wir haben nicht gehört, daß sie bis dato ge¬
wechselt sei. Aber, meine Herren, wenn das jetzige Ministerium den Ruf er¬
schallen ließe — es wird es nicht thun, es befindet sich gar nicht in der Mög¬
lichkeit dazu, ich gebe hier nur die hypothetische Annahme — wenn es ihn er¬
schallen ließe, so würde sich bei dem von ihm berufenen Parlamente niemand
einfinden." Dieses Vatizinium wurde mit Bravo und „großer Heiterkeit" auf¬
genommen. Uns stimmt es heute gleichermaßen sehr heiter, da sich zu dem später
von Bismarck berufenen Parlamente recht viele Leute, in der That alle, die
berufen worden, einfanden, und darunter auch der Prophet Schulze.

Um dieselbe Zeit meinte der Abgeordnete von Sybel, indem er von der
funfzigjährigen Gedächtnisfeier der Freiheitskriege redete: „Es würde in der Natur
der Dinge liegen, wenn wir die Gräber Scharnhorsts und Gneisenaus mit
Blumen schmückten, aber ihre Bildsäulen mit Flor verhüllten. Dahin sind wir
unter der Herrschaft dieser quasi konstitutionellen Regierung gekommen. Die
Kleinodien unsrer Vergangenheit werden uns unter den Händen verfälscht, und
der Blick in unsre Zukunft wird uns von Grund aus verdüstert. . . . Eine
preußische Regierung, die den geschichtlichen Aufgaben ihres Staates im neun¬
zehnten Jahrhunderte gewachsen sein soll, muß es verstehen, allen realen Be¬
dürfnissen und Wünschen des preußischen Volkes zu genügen und zu gleicher
Zeit mit Initiative und vorausschauender Energie die Wünsche des Volkes durch
Aufstecken großer und idealer Ziele um ihr Banner zu versammeln. Ich weiß
wohl, meine Herren, man soll solche Anforderungen nicht zum unmittelbaren
Maßstabe von einzelnen Regierungen und Ministerien machen. . . . Aber das
können wir erwarten, das können wir begehren, daß nicht gerade das Gegenteil
von solchen Tendenzen unsre Regierung erfülle." Mit welchen Empfindungen
mag wohl der Herr Professor diese Redensarten jetzt betrachten? Er hat, wie


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0068" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/153517"/>
          <fw type="header" place="top"> Aus dem Schuldbuche der Fortschrittspartei.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_278" prev="#ID_277"> Ministerium den Kurhessen einen Dienst gethan, ihren Verfassungskonflitt zu<lb/>
Ende geführt hat, so können wir dies unmöglich mit besondern: Dank anerkennen;<lb/>
denn uns hat es den VerfassuugskonsM gebracht." Und über die Vereitlung<lb/>
des Delegirtenprojekts am Bunde durch Preußen bemerkte derselbe Redner, es<lb/>
sei eigentlich durch die öffentliche Meinung gefallen. Dann wurde Österreich auf<lb/>
Kosten Preußens gelobt, indem Herr Schulze bemerkte: &#x201E;Während Österreich in<lb/>
der vollen Hingabe an das konstitutionelle Prinzip die ungeheuern Schwierig¬<lb/>
keiten seines Staatswesens wenigstens einleitend und augenblicklich zu beschwören<lb/>
wußte, lenkte man in Preußen ohne jede Veranlassung von dem konstitutionellen<lb/>
Prinzip ab und in das absolute zurück und bereitete sich dadurch künstlich Ver¬<lb/>
legenheiten und untergrub die Stellung unsers Vaterlandes in dem Augenblicke,<lb/>
als Österreich das rechte Mittel erkannte, die seine zu befestigen." Zuletzt kam<lb/>
der Geist der Weissagung über den würdigen Landboten, und er hub an zu<lb/>
prophezeien: &#x201E;Zentralgewalt und Parlament ist noch jetzt die Losung im ganzen<lb/>
deutschen Volke. Preußen hatte unter dem Ministerium Bernstorff diese Losung<lb/>
auf seine Fahnen geschrieben, und wir haben nicht gehört, daß sie bis dato ge¬<lb/>
wechselt sei. Aber, meine Herren, wenn das jetzige Ministerium den Ruf er¬<lb/>
schallen ließe &#x2014; es wird es nicht thun, es befindet sich gar nicht in der Mög¬<lb/>
lichkeit dazu, ich gebe hier nur die hypothetische Annahme &#x2014; wenn es ihn er¬<lb/>
schallen ließe, so würde sich bei dem von ihm berufenen Parlamente niemand<lb/>
einfinden." Dieses Vatizinium wurde mit Bravo und &#x201E;großer Heiterkeit" auf¬<lb/>
genommen. Uns stimmt es heute gleichermaßen sehr heiter, da sich zu dem später<lb/>
von Bismarck berufenen Parlamente recht viele Leute, in der That alle, die<lb/>
berufen worden, einfanden, und darunter auch der Prophet Schulze.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_279" next="#ID_280"> Um dieselbe Zeit meinte der Abgeordnete von Sybel, indem er von der<lb/>
funfzigjährigen Gedächtnisfeier der Freiheitskriege redete: &#x201E;Es würde in der Natur<lb/>
der Dinge liegen, wenn wir die Gräber Scharnhorsts und Gneisenaus mit<lb/>
Blumen schmückten, aber ihre Bildsäulen mit Flor verhüllten. Dahin sind wir<lb/>
unter der Herrschaft dieser quasi konstitutionellen Regierung gekommen. Die<lb/>
Kleinodien unsrer Vergangenheit werden uns unter den Händen verfälscht, und<lb/>
der Blick in unsre Zukunft wird uns von Grund aus verdüstert. . . . Eine<lb/>
preußische Regierung, die den geschichtlichen Aufgaben ihres Staates im neun¬<lb/>
zehnten Jahrhunderte gewachsen sein soll, muß es verstehen, allen realen Be¬<lb/>
dürfnissen und Wünschen des preußischen Volkes zu genügen und zu gleicher<lb/>
Zeit mit Initiative und vorausschauender Energie die Wünsche des Volkes durch<lb/>
Aufstecken großer und idealer Ziele um ihr Banner zu versammeln. Ich weiß<lb/>
wohl, meine Herren, man soll solche Anforderungen nicht zum unmittelbaren<lb/>
Maßstabe von einzelnen Regierungen und Ministerien machen. . . . Aber das<lb/>
können wir erwarten, das können wir begehren, daß nicht gerade das Gegenteil<lb/>
von solchen Tendenzen unsre Regierung erfülle." Mit welchen Empfindungen<lb/>
mag wohl der Herr Professor diese Redensarten jetzt betrachten? Er hat, wie</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0068] Aus dem Schuldbuche der Fortschrittspartei. Ministerium den Kurhessen einen Dienst gethan, ihren Verfassungskonflitt zu Ende geführt hat, so können wir dies unmöglich mit besondern: Dank anerkennen; denn uns hat es den VerfassuugskonsM gebracht." Und über die Vereitlung des Delegirtenprojekts am Bunde durch Preußen bemerkte derselbe Redner, es sei eigentlich durch die öffentliche Meinung gefallen. Dann wurde Österreich auf Kosten Preußens gelobt, indem Herr Schulze bemerkte: „Während Österreich in der vollen Hingabe an das konstitutionelle Prinzip die ungeheuern Schwierig¬ keiten seines Staatswesens wenigstens einleitend und augenblicklich zu beschwören wußte, lenkte man in Preußen ohne jede Veranlassung von dem konstitutionellen Prinzip ab und in das absolute zurück und bereitete sich dadurch künstlich Ver¬ legenheiten und untergrub die Stellung unsers Vaterlandes in dem Augenblicke, als Österreich das rechte Mittel erkannte, die seine zu befestigen." Zuletzt kam der Geist der Weissagung über den würdigen Landboten, und er hub an zu prophezeien: „Zentralgewalt und Parlament ist noch jetzt die Losung im ganzen deutschen Volke. Preußen hatte unter dem Ministerium Bernstorff diese Losung auf seine Fahnen geschrieben, und wir haben nicht gehört, daß sie bis dato ge¬ wechselt sei. Aber, meine Herren, wenn das jetzige Ministerium den Ruf er¬ schallen ließe — es wird es nicht thun, es befindet sich gar nicht in der Mög¬ lichkeit dazu, ich gebe hier nur die hypothetische Annahme — wenn es ihn er¬ schallen ließe, so würde sich bei dem von ihm berufenen Parlamente niemand einfinden." Dieses Vatizinium wurde mit Bravo und „großer Heiterkeit" auf¬ genommen. Uns stimmt es heute gleichermaßen sehr heiter, da sich zu dem später von Bismarck berufenen Parlamente recht viele Leute, in der That alle, die berufen worden, einfanden, und darunter auch der Prophet Schulze. Um dieselbe Zeit meinte der Abgeordnete von Sybel, indem er von der funfzigjährigen Gedächtnisfeier der Freiheitskriege redete: „Es würde in der Natur der Dinge liegen, wenn wir die Gräber Scharnhorsts und Gneisenaus mit Blumen schmückten, aber ihre Bildsäulen mit Flor verhüllten. Dahin sind wir unter der Herrschaft dieser quasi konstitutionellen Regierung gekommen. Die Kleinodien unsrer Vergangenheit werden uns unter den Händen verfälscht, und der Blick in unsre Zukunft wird uns von Grund aus verdüstert. . . . Eine preußische Regierung, die den geschichtlichen Aufgaben ihres Staates im neun¬ zehnten Jahrhunderte gewachsen sein soll, muß es verstehen, allen realen Be¬ dürfnissen und Wünschen des preußischen Volkes zu genügen und zu gleicher Zeit mit Initiative und vorausschauender Energie die Wünsche des Volkes durch Aufstecken großer und idealer Ziele um ihr Banner zu versammeln. Ich weiß wohl, meine Herren, man soll solche Anforderungen nicht zum unmittelbaren Maßstabe von einzelnen Regierungen und Ministerien machen. . . . Aber das können wir erwarten, das können wir begehren, daß nicht gerade das Gegenteil von solchen Tendenzen unsre Regierung erfülle." Mit welchen Empfindungen mag wohl der Herr Professor diese Redensarten jetzt betrachten? Er hat, wie

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_153446
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_153446/68
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_153446/68>, abgerufen am 08.09.2024.