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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal.

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t<uno Fischer und sein Aare.

den er gegeben habe, sei eine genügende Abwehr gegen den Materialismus, da
ja doch die ganze wirkliche, reale Körperwelt nichts sei ohne die erkennende
Vernunft. Hätte er vielleicht noch hinzugesetzt, die Körperwelt, so wie wir sie
erfahren und erkennen, so wäre ein Mißverständnis kaum noch möglich gewesen.
Denn was sind die Eigenschaften aller Körper, wenn wir sie nicht empfinden
und wahrnehmen nach den Gesetzen in uns? Darum aber ist die Körperwelt
doch nicht weniger wirklich und real.

Weil man aber aus dieser Abhängigkeit des Realen von unsrer Sinnlich¬
keit immer den falschen Schluß gezogen hat, daß das Reale oder die Erschei¬
nung im Raume lediglich das Produkt unsrer Vorstellung sei, so sagt nun Kant
in der zweiten Auflage: Jetzt werde ich euch einen ganz bündigen Beweis
liefern, daß die Erscheinungen im Raume trotz ihrer Abhängigkeit von meinen
Vernunftformen doch vollständig reale, beharrliche Dinge außer mir, d. h. im
Raume find. Ihr könnt nämlich garnicht einmal das, was Descartes allein
für das ganz unzweifelhaft Gewisse hielt, das Denken, irgendwie bestimmen als
etwas, was in der Zeit geschieht, wenn ihr die Zeit nicht messen könnt an der
Anschauung äußerer Dinge, seien es Sonne, Mond und Sterne oder andre
Zeitmesser. Eure subjektiven Vorstellungen genügen nicht dazu, denn ihr könnt
auch nichtwirkliche Dinge und eingebildete Traumwesen vorstellen. Nur allein
wenn eure Vorstellungen wirklich empfundene und wahrgenommene Dinge außer
euch enthalten, dann könnt ihr auch die Zeit eures eignen Denkens und Seins
bestimmen. Also nur weil das Wort Vorstellung ein viel weiterer Begriff ist
als äußere Dinge und auch alles Mögliche, Wahres wie Falsches, unter sich
begreifen kann, darum sagt Kant, daß die Vorstellung eines Dinges allein nicht
genügt, um uns die Gewißheit von etwas Wirklichem zu geben. Es muß ein
wirkliches Ding dasein, welches ich vorstelle, sonst bleibt auch die innere An¬
schauung gänzlich verworren und unbestimmt.

Daraus macht nun Kuno Fischer (S. 61) folgendes: "Um das Dasein der
Dinge außer uns zu beweisen, machte Kant die innere Erfahrung abhängig von
der äußern und diese abhängig von dem Dasein der Dinge außer uns, d. h. er
machte das Dasein der Dinge außer uns unabhängig von unsrer Vorstellung (!)
und diese abhängig von jenem: er ließ die Dinge außer uns, die Körper und
die Materie Ding an sich sein. Und so zerstörte Kant an dieser Stelle den
transcendentalen Idealismus, indem er ihn verteidigen und wider alle Ver¬
wechslung mit dem empirischen schützen wollte." Der arme Kant! Lebte er
noch, so würde er verdient haben, eine Strafarbeit für seinen Lehrer zu machen.
schlagender kann man die Verwechslung zwischen Ding an sich und äußern
Dingen im Kantschen Sprachgebrauch doch wohl nicht zur Schau tragen, als
es Fischer an dieser Stelle thut. Aber unserm Anonymus, der ihm dasselbe
nachwies, wirft er eine Lüge ins Gesicht, weil er selbst sehr gut wisse, daß
die beiden Begriffe verschieden seien und nicht verwechselt werden dürften.


Grenzboten III. 1883. 71
t<uno Fischer und sein Aare.

den er gegeben habe, sei eine genügende Abwehr gegen den Materialismus, da
ja doch die ganze wirkliche, reale Körperwelt nichts sei ohne die erkennende
Vernunft. Hätte er vielleicht noch hinzugesetzt, die Körperwelt, so wie wir sie
erfahren und erkennen, so wäre ein Mißverständnis kaum noch möglich gewesen.
Denn was sind die Eigenschaften aller Körper, wenn wir sie nicht empfinden
und wahrnehmen nach den Gesetzen in uns? Darum aber ist die Körperwelt
doch nicht weniger wirklich und real.

Weil man aber aus dieser Abhängigkeit des Realen von unsrer Sinnlich¬
keit immer den falschen Schluß gezogen hat, daß das Reale oder die Erschei¬
nung im Raume lediglich das Produkt unsrer Vorstellung sei, so sagt nun Kant
in der zweiten Auflage: Jetzt werde ich euch einen ganz bündigen Beweis
liefern, daß die Erscheinungen im Raume trotz ihrer Abhängigkeit von meinen
Vernunftformen doch vollständig reale, beharrliche Dinge außer mir, d. h. im
Raume find. Ihr könnt nämlich garnicht einmal das, was Descartes allein
für das ganz unzweifelhaft Gewisse hielt, das Denken, irgendwie bestimmen als
etwas, was in der Zeit geschieht, wenn ihr die Zeit nicht messen könnt an der
Anschauung äußerer Dinge, seien es Sonne, Mond und Sterne oder andre
Zeitmesser. Eure subjektiven Vorstellungen genügen nicht dazu, denn ihr könnt
auch nichtwirkliche Dinge und eingebildete Traumwesen vorstellen. Nur allein
wenn eure Vorstellungen wirklich empfundene und wahrgenommene Dinge außer
euch enthalten, dann könnt ihr auch die Zeit eures eignen Denkens und Seins
bestimmen. Also nur weil das Wort Vorstellung ein viel weiterer Begriff ist
als äußere Dinge und auch alles Mögliche, Wahres wie Falsches, unter sich
begreifen kann, darum sagt Kant, daß die Vorstellung eines Dinges allein nicht
genügt, um uns die Gewißheit von etwas Wirklichem zu geben. Es muß ein
wirkliches Ding dasein, welches ich vorstelle, sonst bleibt auch die innere An¬
schauung gänzlich verworren und unbestimmt.

Daraus macht nun Kuno Fischer (S. 61) folgendes: „Um das Dasein der
Dinge außer uns zu beweisen, machte Kant die innere Erfahrung abhängig von
der äußern und diese abhängig von dem Dasein der Dinge außer uns, d. h. er
machte das Dasein der Dinge außer uns unabhängig von unsrer Vorstellung (!)
und diese abhängig von jenem: er ließ die Dinge außer uns, die Körper und
die Materie Ding an sich sein. Und so zerstörte Kant an dieser Stelle den
transcendentalen Idealismus, indem er ihn verteidigen und wider alle Ver¬
wechslung mit dem empirischen schützen wollte." Der arme Kant! Lebte er
noch, so würde er verdient haben, eine Strafarbeit für seinen Lehrer zu machen.
schlagender kann man die Verwechslung zwischen Ding an sich und äußern
Dingen im Kantschen Sprachgebrauch doch wohl nicht zur Schau tragen, als
es Fischer an dieser Stelle thut. Aber unserm Anonymus, der ihm dasselbe
nachwies, wirft er eine Lüge ins Gesicht, weil er selbst sehr gut wisse, daß
die beiden Begriffe verschieden seien und nicht verwechselt werden dürften.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_153446/569>, abgerufen am 08.09.2024.