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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal.

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Der deutsche Schnlverein in Österreich,

nationale Art den Reichsgedanken entschieden fest, denn Osterreich ist eine deutsche
Gründung, und mit seiner Auflösung in "historisch-politische Individualitäten,"
mit der Erneuerung der "Wenzelskrone," mit der Erfüllung des großkroatischen
Traumes, der, neulich im dalmatinischen Landtag so ungescheut als die Idee
der Zukunft aufgestellt, soeben zu sehr bedenklichen Auftritten in Agram geführt
hat und zweifellos nicht bloß gegen den jetzigen Bestand des ungarischen Staates
sich richtet, sondern auch den Anschluß der Slovenen in sich faßt, wäre die
Stellung der Deutschen in Österreich für immer verspielt. Aber so groß ist
bereits die Verstimmung über das herrschende System, daß hie und da, und
zwar keineswegs bloß in Böhmen, wo der Nationalitätenstreit am erbittertsten
tobt, sondern auch in den weniger davon betroffenen südlichen Landschaften
Anschauungen, ja Wünsche offen ausgesprochen werden, welche dem Bestände des
österreichischen Staates gefährlich werden könnten, wenn sie allgemeiner würden.
Proklamirt doch ein Blatt des südlichen Steiermarks, um von weitergehenden
Gedanken ganz zu schweigen, als das Programm der Zukunft die Zusammen¬
fassung der ehemaligen deutschen Bundesländer Österreichs zu einem für sich
abgeschlossenen, mit den übrigen Teilen der Monarchie nur durch die gemein¬
same Krone verbundenen Ganzen, also die reine Personalunion, die kaum etwas
andres als eine Vorstufe völliger Auflösung der Monarchie sein würde. Die
Gefahr liegt offenbar nahe, daß die deutschen Österreicher dem Reichsgedanken
selber sich entfremden. Und wer träte wohl dann noch für ihn ein? Eine
furchtbare Nemesis wäre das, aber es liegt nicht im deutschen Interesse, sie
herbeizusehnen. Wir im Reiche wünschen ein starkes Österreich unter dem leitenden
Einfluß des deutschen Stammes und der deutschen Kultur, weil auf die Dauer
nur ein solches ein zuverlässiger Bundesgenosse für uns sein kann; ein Zerfall
der alten Monarchie würde für uns nur zu eiuer Quelle schwerster Verlegen¬
heiten werden, und wir wünschen die Stunde nicht herbei, die ihn unvermeidlich
machen könnte.

Daß indeß in der großen Mehrzahl der deutschen Österreicher mit dem
Entschluß, ihr nationales Gebiet zu behaupten, der Reichsgedanke noch lebendig
ist, beweist am besten ihr Kaiser-Josef-Kultus und ihr "deutscher Schulverein."
Hundert Jahre nach dem Tode des ebenso humanen wie gewaltthätigen, ebenso
hochstrebenden wie unglücklichen Monarchen, der, selbst stolz, ein Deutscher zu
sein, den Gedanken eines straffzentralisirten Österreichs unter deutscher Vor¬
herrschaft im Haupte trug, scharen sich die Deutschen Österreichs um sein Bild.
Kaum giebt es noch einen bedeutendem deutschen Ort zwischen dem Erzgebirge
und der Adria, der nicht sein Kaiser-Josef-Denkmal besäße oder demnächst besitzen
wird, zumal an der Sprachgrenze. So haben Marburg und Cilli im steirischen
Unterlande das ihrige erst vor wenigen Wochen eingeweiht. In taufenden von
Exemplaren ist das "Jllustrirte Geschichtenbuch vom Kaiser Josef" verbreitet,
und kürzlich erst konnte der Gedanke auftauchen, das Andenken des Kaisers in


Der deutsche Schnlverein in Österreich,

nationale Art den Reichsgedanken entschieden fest, denn Osterreich ist eine deutsche
Gründung, und mit seiner Auflösung in „historisch-politische Individualitäten,"
mit der Erneuerung der „Wenzelskrone," mit der Erfüllung des großkroatischen
Traumes, der, neulich im dalmatinischen Landtag so ungescheut als die Idee
der Zukunft aufgestellt, soeben zu sehr bedenklichen Auftritten in Agram geführt
hat und zweifellos nicht bloß gegen den jetzigen Bestand des ungarischen Staates
sich richtet, sondern auch den Anschluß der Slovenen in sich faßt, wäre die
Stellung der Deutschen in Österreich für immer verspielt. Aber so groß ist
bereits die Verstimmung über das herrschende System, daß hie und da, und
zwar keineswegs bloß in Böhmen, wo der Nationalitätenstreit am erbittertsten
tobt, sondern auch in den weniger davon betroffenen südlichen Landschaften
Anschauungen, ja Wünsche offen ausgesprochen werden, welche dem Bestände des
österreichischen Staates gefährlich werden könnten, wenn sie allgemeiner würden.
Proklamirt doch ein Blatt des südlichen Steiermarks, um von weitergehenden
Gedanken ganz zu schweigen, als das Programm der Zukunft die Zusammen¬
fassung der ehemaligen deutschen Bundesländer Österreichs zu einem für sich
abgeschlossenen, mit den übrigen Teilen der Monarchie nur durch die gemein¬
same Krone verbundenen Ganzen, also die reine Personalunion, die kaum etwas
andres als eine Vorstufe völliger Auflösung der Monarchie sein würde. Die
Gefahr liegt offenbar nahe, daß die deutschen Österreicher dem Reichsgedanken
selber sich entfremden. Und wer träte wohl dann noch für ihn ein? Eine
furchtbare Nemesis wäre das, aber es liegt nicht im deutschen Interesse, sie
herbeizusehnen. Wir im Reiche wünschen ein starkes Österreich unter dem leitenden
Einfluß des deutschen Stammes und der deutschen Kultur, weil auf die Dauer
nur ein solches ein zuverlässiger Bundesgenosse für uns sein kann; ein Zerfall
der alten Monarchie würde für uns nur zu eiuer Quelle schwerster Verlegen¬
heiten werden, und wir wünschen die Stunde nicht herbei, die ihn unvermeidlich
machen könnte.

Daß indeß in der großen Mehrzahl der deutschen Österreicher mit dem
Entschluß, ihr nationales Gebiet zu behaupten, der Reichsgedanke noch lebendig
ist, beweist am besten ihr Kaiser-Josef-Kultus und ihr „deutscher Schulverein."
Hundert Jahre nach dem Tode des ebenso humanen wie gewaltthätigen, ebenso
hochstrebenden wie unglücklichen Monarchen, der, selbst stolz, ein Deutscher zu
sein, den Gedanken eines straffzentralisirten Österreichs unter deutscher Vor¬
herrschaft im Haupte trug, scharen sich die Deutschen Österreichs um sein Bild.
Kaum giebt es noch einen bedeutendem deutschen Ort zwischen dem Erzgebirge
und der Adria, der nicht sein Kaiser-Josef-Denkmal besäße oder demnächst besitzen
wird, zumal an der Sprachgrenze. So haben Marburg und Cilli im steirischen
Unterlande das ihrige erst vor wenigen Wochen eingeweiht. In taufenden von
Exemplaren ist das „Jllustrirte Geschichtenbuch vom Kaiser Josef" verbreitet,
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[0549] Der deutsche Schnlverein in Österreich, nationale Art den Reichsgedanken entschieden fest, denn Osterreich ist eine deutsche Gründung, und mit seiner Auflösung in „historisch-politische Individualitäten," mit der Erneuerung der „Wenzelskrone," mit der Erfüllung des großkroatischen Traumes, der, neulich im dalmatinischen Landtag so ungescheut als die Idee der Zukunft aufgestellt, soeben zu sehr bedenklichen Auftritten in Agram geführt hat und zweifellos nicht bloß gegen den jetzigen Bestand des ungarischen Staates sich richtet, sondern auch den Anschluß der Slovenen in sich faßt, wäre die Stellung der Deutschen in Österreich für immer verspielt. Aber so groß ist bereits die Verstimmung über das herrschende System, daß hie und da, und zwar keineswegs bloß in Böhmen, wo der Nationalitätenstreit am erbittertsten tobt, sondern auch in den weniger davon betroffenen südlichen Landschaften Anschauungen, ja Wünsche offen ausgesprochen werden, welche dem Bestände des österreichischen Staates gefährlich werden könnten, wenn sie allgemeiner würden. Proklamirt doch ein Blatt des südlichen Steiermarks, um von weitergehenden Gedanken ganz zu schweigen, als das Programm der Zukunft die Zusammen¬ fassung der ehemaligen deutschen Bundesländer Österreichs zu einem für sich abgeschlossenen, mit den übrigen Teilen der Monarchie nur durch die gemein¬ same Krone verbundenen Ganzen, also die reine Personalunion, die kaum etwas andres als eine Vorstufe völliger Auflösung der Monarchie sein würde. Die Gefahr liegt offenbar nahe, daß die deutschen Österreicher dem Reichsgedanken selber sich entfremden. Und wer träte wohl dann noch für ihn ein? Eine furchtbare Nemesis wäre das, aber es liegt nicht im deutschen Interesse, sie herbeizusehnen. Wir im Reiche wünschen ein starkes Österreich unter dem leitenden Einfluß des deutschen Stammes und der deutschen Kultur, weil auf die Dauer nur ein solches ein zuverlässiger Bundesgenosse für uns sein kann; ein Zerfall der alten Monarchie würde für uns nur zu eiuer Quelle schwerster Verlegen¬ heiten werden, und wir wünschen die Stunde nicht herbei, die ihn unvermeidlich machen könnte. Daß indeß in der großen Mehrzahl der deutschen Österreicher mit dem Entschluß, ihr nationales Gebiet zu behaupten, der Reichsgedanke noch lebendig ist, beweist am besten ihr Kaiser-Josef-Kultus und ihr „deutscher Schulverein." Hundert Jahre nach dem Tode des ebenso humanen wie gewaltthätigen, ebenso hochstrebenden wie unglücklichen Monarchen, der, selbst stolz, ein Deutscher zu sein, den Gedanken eines straffzentralisirten Österreichs unter deutscher Vor¬ herrschaft im Haupte trug, scharen sich die Deutschen Österreichs um sein Bild. Kaum giebt es noch einen bedeutendem deutschen Ort zwischen dem Erzgebirge und der Adria, der nicht sein Kaiser-Josef-Denkmal besäße oder demnächst besitzen wird, zumal an der Sprachgrenze. So haben Marburg und Cilli im steirischen Unterlande das ihrige erst vor wenigen Wochen eingeweiht. In taufenden von Exemplaren ist das „Jllustrirte Geschichtenbuch vom Kaiser Josef" verbreitet, und kürzlich erst konnte der Gedanke auftauchen, das Andenken des Kaisers in

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_153446/549>, abgerufen am 08.09.2024.