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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal.

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Kleine Goethiana,

Was den zweiten Brief betrifft, so zeigt ein Vergleich mit einem Exemplar
der Jnbelansgabe, wie streng die Vcrlcigshandlung sich an Goethes Anordnungen
gehalten hat. Die "schwachen, veralteten Reimzeilcn" sind natürlich die beiden
Strophen, welche Goethe der zweiten Wertheransgabe von 1776 beigegeben
hatte: "Jeder Jüngling sehnt sich so zu lieben" und "Dn beweinst, dn liebst ihn,
liebe Seele." Übrigens enthält der zweite Brief einen komischen Hörfehler des
Schreibers, den Goethe beim Unterschreiben übersehen hat. Das letzte Blatt
der ersten Abteilung der Jubelnnsgabc trägt die Seitenzahlen 119 und 120,
das Titelblatt der zweiten, unpaginirt, vertritt Seite 121 und 122. Auf
letzterem hatte nun die Druckerei, ohne Goethes Anordnung, die erwähnten
Reimzeilen von selbst weggelassen und, um den vermeintlichen Fehler wieder
gutzumachen, die beiden leergebliebenen Blätter des Titelbogens dazu benutzt, für
die zwei (zusammenhängenden) Blätter S. 119 --122 Kartons zu drucken.
Goethe diktirte also: "die Cartone für 119. 20. 21. 22." seien überflüssig,
der . Schreiber aber verstand "vier" statt "für" und schrieb, wie oben zu
lesen ist.

Da ich den Schrein einmal geöffnet habe, nehme ich gleich noch eine andre
Kleinigkeit heraus. Die Leipziger Stadtbibliothek verwahrt eine Anzahl von
Briefen Bertuchs an Schütz, etwa 160 datirte und eine Mandel undatirte.
Sie sind sämtlich von Weimar aus geschrieben, verteilen sich auf die Jahre
1784--1817 und beziehen sich in der Hauptsache auf die gemeinschaftliche
Thätigkeit der beiden Genannten bei der Herausgabe der Jenaischen, seit 1806
Hallischen Literaturzeitung. Schütz jrn., der 1844 gestorbene Hallische Professor
Friedrich Karl Julius Schütz, in dessen Hände nach dem Tode seines Vaters
diese Briefe unter einer Unmasse andrer an seinen Vater gerichteten gekommen
waren, hat 1835 in Halle ein zweibändiges Werk herausgegeben: "Christian Gott¬
fried Schütz. Darstellung seines Lebens, Charakters und Verdienstes; nebst einer
Auswahl aus seinem literarischen Briefwechsel mit den berühmtesten Gelehrten
und Dichtern seiner Zeit." In diesen beiden Bänden fehlt erstens die im
Titel des Werkes angekündigte Biographie; sie sollte in einem dritten Bande
folgen, der nie erschienen ist, angeblich, weil der Verleger und Drucker, scharre
in Halle, sein Verlagsgeschäft aufgeben mußte. Es fehlen aber auch zweitens
darin die Briefe von Bertuch; diese sollten als eine der Hauptquellen für Schützers
Leben im dritten Bande benutzt, und da es zu diesem nicht kam, nachträglich
wenigstens auszugsweise veröffentlicht werden, zu welchem Zwecke sie Schütz
für den Druck redigirte. Auch diese Veröffentlichung unterblieb -- glücklicherweise,
denn Schütz hatte die Briefe nicht bloß durch Streichungen -- diese waren ja
notwendig --, sondern, um Anmerkungen zu ersparen, anch durch Zusätze ent¬
stellt, und wenn er die oben genannten zwei Bände Briefe, wie zu vermuten
ist, in ähnlicher Weise "redigirt" hat, so ist man nicht bei einem einzigen der¬
selben sicher, daß er genau so gedruckt ist, wie er geschrieben war.


Kleine Goethiana,

Was den zweiten Brief betrifft, so zeigt ein Vergleich mit einem Exemplar
der Jnbelansgabe, wie streng die Vcrlcigshandlung sich an Goethes Anordnungen
gehalten hat. Die „schwachen, veralteten Reimzeilcn" sind natürlich die beiden
Strophen, welche Goethe der zweiten Wertheransgabe von 1776 beigegeben
hatte: „Jeder Jüngling sehnt sich so zu lieben" und „Dn beweinst, dn liebst ihn,
liebe Seele." Übrigens enthält der zweite Brief einen komischen Hörfehler des
Schreibers, den Goethe beim Unterschreiben übersehen hat. Das letzte Blatt
der ersten Abteilung der Jubelnnsgabc trägt die Seitenzahlen 119 und 120,
das Titelblatt der zweiten, unpaginirt, vertritt Seite 121 und 122. Auf
letzterem hatte nun die Druckerei, ohne Goethes Anordnung, die erwähnten
Reimzeilen von selbst weggelassen und, um den vermeintlichen Fehler wieder
gutzumachen, die beiden leergebliebenen Blätter des Titelbogens dazu benutzt, für
die zwei (zusammenhängenden) Blätter S. 119 —122 Kartons zu drucken.
Goethe diktirte also: „die Cartone für 119. 20. 21. 22." seien überflüssig,
der . Schreiber aber verstand „vier" statt „für" und schrieb, wie oben zu
lesen ist.

Da ich den Schrein einmal geöffnet habe, nehme ich gleich noch eine andre
Kleinigkeit heraus. Die Leipziger Stadtbibliothek verwahrt eine Anzahl von
Briefen Bertuchs an Schütz, etwa 160 datirte und eine Mandel undatirte.
Sie sind sämtlich von Weimar aus geschrieben, verteilen sich auf die Jahre
1784—1817 und beziehen sich in der Hauptsache auf die gemeinschaftliche
Thätigkeit der beiden Genannten bei der Herausgabe der Jenaischen, seit 1806
Hallischen Literaturzeitung. Schütz jrn., der 1844 gestorbene Hallische Professor
Friedrich Karl Julius Schütz, in dessen Hände nach dem Tode seines Vaters
diese Briefe unter einer Unmasse andrer an seinen Vater gerichteten gekommen
waren, hat 1835 in Halle ein zweibändiges Werk herausgegeben: „Christian Gott¬
fried Schütz. Darstellung seines Lebens, Charakters und Verdienstes; nebst einer
Auswahl aus seinem literarischen Briefwechsel mit den berühmtesten Gelehrten
und Dichtern seiner Zeit." In diesen beiden Bänden fehlt erstens die im
Titel des Werkes angekündigte Biographie; sie sollte in einem dritten Bande
folgen, der nie erschienen ist, angeblich, weil der Verleger und Drucker, scharre
in Halle, sein Verlagsgeschäft aufgeben mußte. Es fehlen aber auch zweitens
darin die Briefe von Bertuch; diese sollten als eine der Hauptquellen für Schützers
Leben im dritten Bande benutzt, und da es zu diesem nicht kam, nachträglich
wenigstens auszugsweise veröffentlicht werden, zu welchem Zwecke sie Schütz
für den Druck redigirte. Auch diese Veröffentlichung unterblieb — glücklicherweise,
denn Schütz hatte die Briefe nicht bloß durch Streichungen — diese waren ja
notwendig —, sondern, um Anmerkungen zu ersparen, anch durch Zusätze ent¬
stellt, und wenn er die oben genannten zwei Bände Briefe, wie zu vermuten
ist, in ähnlicher Weise „redigirt" hat, so ist man nicht bei einem einzigen der¬
selben sicher, daß er genau so gedruckt ist, wie er geschrieben war.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_153446/510>, abgerufen am 08.09.2024.