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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal.

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Die Vorrechte der Offiziere im Staate und in der Gesellschaft.

Als der Ultramontanismus, der bereits im "Zentrum" seinen Generalstab auf
den Kriegsfuß gesetzt hatte, in Marpingen auch seine Mannschaften mobil machen
wollte, genügten zwei Kompanien Soldaten, um ohne Blutvergießen den ganzen
Unfug im Keime zu ersticken. Und wenn die Sozialdemokratie, als das Sozia¬
listengesetz ihr tief ins Leben schnitt, keinen Versuch machte loszuschlagen, so
unterließ sie es, weil sie wußte, daß jedem Versuche dieser Art unser Heer das
Haupt zerschmettern würde. Für diese Friedensbedeutung des Heeres aber muß
der Staat sich vor allem auf den Berufssoldaten verlassen können. Reserve
und Landwehr kommen erst in zweiter Linie in Betracht. Wehe unserm Staate,
wenn es soweit käme, daß er für Zwecke dieser Art sie aufbieten müßte!

Eine Einwirkung des Militärs auf die staatlichen Verhältnisse läßt sich
aber auch noch in ganz andrer Weise denken; nämlich in der Art, daß es selbst
den Staat zu beherrschen beansprucht. Die römischen Prütorianer waren es,
welche die Kaiser Roms ab- und einsetzten. Und noch heute erleben wir nicht
selten, daß in Spanien dieser oder jener Oberst oder General mit einem Pro-
nunziamento auftritt, um einen Wechsel der Regierung in Szene zu setzen. Übe
nun unser deutsches Heer eine solche, man darf wohl sagen heillose Macht¬
stellung aus? Es bedarf darauf keiner Antwort. Die Treue und Zuverlässig¬
keit unsers Heeres auch in dieser Richtung ist über jeden Zweifel erhaben. Aber
auch eine solche Treue, eine solche Anspruchslosigkeit bei aller Machtfülle bildet
sich bei einem Heere nicht ohne weiteres, sie muß ihm anerzogen werden.

Indem so unser Heer für sich keinen politischen Einfluß beansprucht, zu¬
gleich aber die Garantie gewährt, daß nicht jede Erregung der Geister sofort
von den Massen in Gewaltthat umgesetzt wird, bildet es in Wahrheit einen
Hort der Freiheit. Ein Staat, welcher diese Garantie besitzt, kann seinen Bür¬
gern eine weit größere Selbständigkeit, eine weit freiere Verhandlung aller öffent¬
lichen Verhältnisse gestatten, als ein solcher, welcher stets am Rande des Auf¬
ruhrs und der Revolution steht.

Noch etwas ist nicht zu übersehen. Wir haben schon oben bemerkt, daß
wir für den Krieg der Reserve und Landwehr kein geringeres Verdienst bei¬
messen können als dem übrigen Heere. Auch die Offiziere und Mannschaften
der erstern haben jederzeit bewiesen, daß ihnen Mut und kriegerischer Sinn inne-
wohnt. Diese Eigenschaften sind ohne Zweifel ein Erbteil des deutschen Stammes.
Aber sie wollen doch auch erzogen und in die Schule genommen sein. Die
Schule dafür aber bildet das stehende Heer. Und so gründet sich auf die
Tüchtigkeit des letzter" auch wieder die Tüchtigkeit der erstern.

Endlich müssen wir noch auf einen Punkt hinweisen. Der Verfasser der
gedachten Schrift stellt die Offiziere vorzugsweise den andern Staatsbeamten
gegenüber und fragt: Warum sollen jene vor diesen einen Vorzug haben? Ist
nicht die Thätigkeit dieser letztern geistig weit bedeutender als jener? Nun ist
es ja unzweifelhaft, daß der Richter, der sein Urteil spricht, der Landrat, der


Grenzboten HI. 1883. 63
Die Vorrechte der Offiziere im Staate und in der Gesellschaft.

Als der Ultramontanismus, der bereits im „Zentrum" seinen Generalstab auf
den Kriegsfuß gesetzt hatte, in Marpingen auch seine Mannschaften mobil machen
wollte, genügten zwei Kompanien Soldaten, um ohne Blutvergießen den ganzen
Unfug im Keime zu ersticken. Und wenn die Sozialdemokratie, als das Sozia¬
listengesetz ihr tief ins Leben schnitt, keinen Versuch machte loszuschlagen, so
unterließ sie es, weil sie wußte, daß jedem Versuche dieser Art unser Heer das
Haupt zerschmettern würde. Für diese Friedensbedeutung des Heeres aber muß
der Staat sich vor allem auf den Berufssoldaten verlassen können. Reserve
und Landwehr kommen erst in zweiter Linie in Betracht. Wehe unserm Staate,
wenn es soweit käme, daß er für Zwecke dieser Art sie aufbieten müßte!

Eine Einwirkung des Militärs auf die staatlichen Verhältnisse läßt sich
aber auch noch in ganz andrer Weise denken; nämlich in der Art, daß es selbst
den Staat zu beherrschen beansprucht. Die römischen Prütorianer waren es,
welche die Kaiser Roms ab- und einsetzten. Und noch heute erleben wir nicht
selten, daß in Spanien dieser oder jener Oberst oder General mit einem Pro-
nunziamento auftritt, um einen Wechsel der Regierung in Szene zu setzen. Übe
nun unser deutsches Heer eine solche, man darf wohl sagen heillose Macht¬
stellung aus? Es bedarf darauf keiner Antwort. Die Treue und Zuverlässig¬
keit unsers Heeres auch in dieser Richtung ist über jeden Zweifel erhaben. Aber
auch eine solche Treue, eine solche Anspruchslosigkeit bei aller Machtfülle bildet
sich bei einem Heere nicht ohne weiteres, sie muß ihm anerzogen werden.

Indem so unser Heer für sich keinen politischen Einfluß beansprucht, zu¬
gleich aber die Garantie gewährt, daß nicht jede Erregung der Geister sofort
von den Massen in Gewaltthat umgesetzt wird, bildet es in Wahrheit einen
Hort der Freiheit. Ein Staat, welcher diese Garantie besitzt, kann seinen Bür¬
gern eine weit größere Selbständigkeit, eine weit freiere Verhandlung aller öffent¬
lichen Verhältnisse gestatten, als ein solcher, welcher stets am Rande des Auf¬
ruhrs und der Revolution steht.

Noch etwas ist nicht zu übersehen. Wir haben schon oben bemerkt, daß
wir für den Krieg der Reserve und Landwehr kein geringeres Verdienst bei¬
messen können als dem übrigen Heere. Auch die Offiziere und Mannschaften
der erstern haben jederzeit bewiesen, daß ihnen Mut und kriegerischer Sinn inne-
wohnt. Diese Eigenschaften sind ohne Zweifel ein Erbteil des deutschen Stammes.
Aber sie wollen doch auch erzogen und in die Schule genommen sein. Die
Schule dafür aber bildet das stehende Heer. Und so gründet sich auf die
Tüchtigkeit des letzter» auch wieder die Tüchtigkeit der erstern.

Endlich müssen wir noch auf einen Punkt hinweisen. Der Verfasser der
gedachten Schrift stellt die Offiziere vorzugsweise den andern Staatsbeamten
gegenüber und fragt: Warum sollen jene vor diesen einen Vorzug haben? Ist
nicht die Thätigkeit dieser letztern geistig weit bedeutender als jener? Nun ist
es ja unzweifelhaft, daß der Richter, der sein Urteil spricht, der Landrat, der


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_153446/505>, abgerufen am 08.09.2024.