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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal.

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Literatur.

Abenteuer und Schwänke. Alten Meistern nacherzählt von Rudolf Baumbach.
Leipzig, A. G. Liebeskind, 1883.

Wie recht diejenigen haben, welche sagen, daß es bei einer Dichtung, ja bei
einem Kunstwerke überhaupt, auf die Neuheit des Stoffes garnicht ankomme,
sondern lediglich auf die neue Form, das zeigt recht deutlich wieder das neu er¬
schienene Bändchen Baumbachscher Gedichte. Alte Abenteuer und schwanke sind
es, zum Teil etwas erotisch gewürzt, die uns Bamnbach diesmal bietet. Die
Quellen, aus denen er schöpft, vermögen wir im einzelnen nicht nachzuweisen. Das
meiste klingt wie aus deutschen "Volksbüchern," aus altitalienischen Novellen, aus
Pauli's "Schimpf und Ernst" und ähnlichem entlehnt. Aber wie reizend hat
Bamnbach diese Geschichtchen nacherzählt -- bald knapp und im Umriß, bald be¬
haglich ausführend und anschaulich malend, immer aber in jenen glatten, runden und
dem Ohre sich einschmeichelnden Versen, in denen er Meister ist.

Die Grenzboten brachten kürzlich einen Notschrei über die überhandnehmende
"Scheffelei" in der deutschen Lyrik und Epik. Auch Baumbach gehört im Grunde
zu den Scheffelizonten, hat aber dabei doch soviel eigentümliches, daß er in unsrer
Vorstellung ihnen bisher viel mehr gegenüber als auf ihrer Seite gestanden hat.
Von der äußerlichen Altertümelei wenigstens, von der Manier z. B-, durch alte
Wörter, die außer dem Germanisten kein Mensch mehr kennt, die Verse und die
Reime aufzuputzen, von dieser Manier, die Julius Wolff bis zu einem solchen
Grade von Geschmacklosigkeit getrieben hat, daß man schon um deswillen uicht be¬
greifen kaun, wie seine Waare hat Anklang finden können, hat sich Bamnbach bisher
im ganzen freigehalten. In dem vorliegenden Bändchen ist er ihr aber doch auch
verfallen, und zwar sofort in bedenklichem Grade. Die Reminiscenzen aus der
Sprache des Nibelungenliedes und der Minnesinger jagen einander förmlich und nehmen
sich natürlich zwischen Anklänge" an Goethe und an -- Wilhelm Busch (auch an
solchen fehlt es nicht!) wunderlich genug aus.

Baumbach besitzt viel zu viel guten Geschmack, als daß er sich nicht von
dieser Manier leicht wieder sollte losmachen können. Noch erfreulicher wäre
es freilich, ihm in Zukunft überhaupt einmal auf andern Bahnen zu begegnen,
als auf den bisher ausschließlich von ihm gewandelten. Wenn Baumbach noch
fünfhundert oder noch tausend solcher Gedichtchen schriebe, wie er schon geschrieben hat,
so wäre das am Ende kein nationales Unglück, aber eines keine sonderliche Be¬
reicherung unsrer Literatur. Als Goethe im fünfundzwanzigsten Jahre stand, schil¬
derte er sich in einem Briefe an Auguste Stolberg als einen, der immer in sich
lebend, strebend und arbeitend -- so etwa muß die Stelle lauten -- bald die
unschuldigen Gefühle der Jugend in kleinen Gedichten, bald das kräftige Gewürz
des Lebens in mancherlei Dramen auszudrücken suche, weder rechts noch links frage,
was von dem gehalten Werde, was er mache, weil er arbeitend immer eine Stufe
höher steige. So schreibt der echte und wahre Dichter. Bei unsern heutigen
Modepoeten muß man schon froh sein, wenn sie immer auf derselben Stufe steheu
bleiben und nicht heruntersteigen. Warum? Weil sie immer rechts und links fragen,
was das verehrte Publikum von dem halte, was sie machen, und das verehrte
Publikum befindet sich natürlich am wohlsten, wenn sie immer dasselbe machen.






Für die Redaktion verantwortlich: Johannes Grnnow in Leipzig.
Verlag von F. L. Herbig in Leipzig. -- Druck von Carl Marquart in Reudnitz-Leipzig.
Literatur.

Abenteuer und Schwänke. Alten Meistern nacherzählt von Rudolf Baumbach.
Leipzig, A. G. Liebeskind, 1883.

Wie recht diejenigen haben, welche sagen, daß es bei einer Dichtung, ja bei
einem Kunstwerke überhaupt, auf die Neuheit des Stoffes garnicht ankomme,
sondern lediglich auf die neue Form, das zeigt recht deutlich wieder das neu er¬
schienene Bändchen Baumbachscher Gedichte. Alte Abenteuer und schwanke sind
es, zum Teil etwas erotisch gewürzt, die uns Bamnbach diesmal bietet. Die
Quellen, aus denen er schöpft, vermögen wir im einzelnen nicht nachzuweisen. Das
meiste klingt wie aus deutschen „Volksbüchern," aus altitalienischen Novellen, aus
Pauli's „Schimpf und Ernst" und ähnlichem entlehnt. Aber wie reizend hat
Bamnbach diese Geschichtchen nacherzählt — bald knapp und im Umriß, bald be¬
haglich ausführend und anschaulich malend, immer aber in jenen glatten, runden und
dem Ohre sich einschmeichelnden Versen, in denen er Meister ist.

Die Grenzboten brachten kürzlich einen Notschrei über die überhandnehmende
„Scheffelei" in der deutschen Lyrik und Epik. Auch Baumbach gehört im Grunde
zu den Scheffelizonten, hat aber dabei doch soviel eigentümliches, daß er in unsrer
Vorstellung ihnen bisher viel mehr gegenüber als auf ihrer Seite gestanden hat.
Von der äußerlichen Altertümelei wenigstens, von der Manier z. B-, durch alte
Wörter, die außer dem Germanisten kein Mensch mehr kennt, die Verse und die
Reime aufzuputzen, von dieser Manier, die Julius Wolff bis zu einem solchen
Grade von Geschmacklosigkeit getrieben hat, daß man schon um deswillen uicht be¬
greifen kaun, wie seine Waare hat Anklang finden können, hat sich Bamnbach bisher
im ganzen freigehalten. In dem vorliegenden Bändchen ist er ihr aber doch auch
verfallen, und zwar sofort in bedenklichem Grade. Die Reminiscenzen aus der
Sprache des Nibelungenliedes und der Minnesinger jagen einander förmlich und nehmen
sich natürlich zwischen Anklänge» an Goethe und an — Wilhelm Busch (auch an
solchen fehlt es nicht!) wunderlich genug aus.

Baumbach besitzt viel zu viel guten Geschmack, als daß er sich nicht von
dieser Manier leicht wieder sollte losmachen können. Noch erfreulicher wäre
es freilich, ihm in Zukunft überhaupt einmal auf andern Bahnen zu begegnen,
als auf den bisher ausschließlich von ihm gewandelten. Wenn Baumbach noch
fünfhundert oder noch tausend solcher Gedichtchen schriebe, wie er schon geschrieben hat,
so wäre das am Ende kein nationales Unglück, aber eines keine sonderliche Be¬
reicherung unsrer Literatur. Als Goethe im fünfundzwanzigsten Jahre stand, schil¬
derte er sich in einem Briefe an Auguste Stolberg als einen, der immer in sich
lebend, strebend und arbeitend — so etwa muß die Stelle lauten — bald die
unschuldigen Gefühle der Jugend in kleinen Gedichten, bald das kräftige Gewürz
des Lebens in mancherlei Dramen auszudrücken suche, weder rechts noch links frage,
was von dem gehalten Werde, was er mache, weil er arbeitend immer eine Stufe
höher steige. So schreibt der echte und wahre Dichter. Bei unsern heutigen
Modepoeten muß man schon froh sein, wenn sie immer auf derselben Stufe steheu
bleiben und nicht heruntersteigen. Warum? Weil sie immer rechts und links fragen,
was das verehrte Publikum von dem halte, was sie machen, und das verehrte
Publikum befindet sich natürlich am wohlsten, wenn sie immer dasselbe machen.






Für die Redaktion verantwortlich: Johannes Grnnow in Leipzig.
Verlag von F. L. Herbig in Leipzig. — Druck von Carl Marquart in Reudnitz-Leipzig.
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[0488] Literatur. Abenteuer und Schwänke. Alten Meistern nacherzählt von Rudolf Baumbach. Leipzig, A. G. Liebeskind, 1883. Wie recht diejenigen haben, welche sagen, daß es bei einer Dichtung, ja bei einem Kunstwerke überhaupt, auf die Neuheit des Stoffes garnicht ankomme, sondern lediglich auf die neue Form, das zeigt recht deutlich wieder das neu er¬ schienene Bändchen Baumbachscher Gedichte. Alte Abenteuer und schwanke sind es, zum Teil etwas erotisch gewürzt, die uns Bamnbach diesmal bietet. Die Quellen, aus denen er schöpft, vermögen wir im einzelnen nicht nachzuweisen. Das meiste klingt wie aus deutschen „Volksbüchern," aus altitalienischen Novellen, aus Pauli's „Schimpf und Ernst" und ähnlichem entlehnt. Aber wie reizend hat Bamnbach diese Geschichtchen nacherzählt — bald knapp und im Umriß, bald be¬ haglich ausführend und anschaulich malend, immer aber in jenen glatten, runden und dem Ohre sich einschmeichelnden Versen, in denen er Meister ist. Die Grenzboten brachten kürzlich einen Notschrei über die überhandnehmende „Scheffelei" in der deutschen Lyrik und Epik. Auch Baumbach gehört im Grunde zu den Scheffelizonten, hat aber dabei doch soviel eigentümliches, daß er in unsrer Vorstellung ihnen bisher viel mehr gegenüber als auf ihrer Seite gestanden hat. Von der äußerlichen Altertümelei wenigstens, von der Manier z. B-, durch alte Wörter, die außer dem Germanisten kein Mensch mehr kennt, die Verse und die Reime aufzuputzen, von dieser Manier, die Julius Wolff bis zu einem solchen Grade von Geschmacklosigkeit getrieben hat, daß man schon um deswillen uicht be¬ greifen kaun, wie seine Waare hat Anklang finden können, hat sich Bamnbach bisher im ganzen freigehalten. In dem vorliegenden Bändchen ist er ihr aber doch auch verfallen, und zwar sofort in bedenklichem Grade. Die Reminiscenzen aus der Sprache des Nibelungenliedes und der Minnesinger jagen einander förmlich und nehmen sich natürlich zwischen Anklänge» an Goethe und an — Wilhelm Busch (auch an solchen fehlt es nicht!) wunderlich genug aus. Baumbach besitzt viel zu viel guten Geschmack, als daß er sich nicht von dieser Manier leicht wieder sollte losmachen können. Noch erfreulicher wäre es freilich, ihm in Zukunft überhaupt einmal auf andern Bahnen zu begegnen, als auf den bisher ausschließlich von ihm gewandelten. Wenn Baumbach noch fünfhundert oder noch tausend solcher Gedichtchen schriebe, wie er schon geschrieben hat, so wäre das am Ende kein nationales Unglück, aber eines keine sonderliche Be¬ reicherung unsrer Literatur. Als Goethe im fünfundzwanzigsten Jahre stand, schil¬ derte er sich in einem Briefe an Auguste Stolberg als einen, der immer in sich lebend, strebend und arbeitend — so etwa muß die Stelle lauten — bald die unschuldigen Gefühle der Jugend in kleinen Gedichten, bald das kräftige Gewürz des Lebens in mancherlei Dramen auszudrücken suche, weder rechts noch links frage, was von dem gehalten Werde, was er mache, weil er arbeitend immer eine Stufe höher steige. So schreibt der echte und wahre Dichter. Bei unsern heutigen Modepoeten muß man schon froh sein, wenn sie immer auf derselben Stufe steheu bleiben und nicht heruntersteigen. Warum? Weil sie immer rechts und links fragen, was das verehrte Publikum von dem halte, was sie machen, und das verehrte Publikum befindet sich natürlich am wohlsten, wenn sie immer dasselbe machen. Für die Redaktion verantwortlich: Johannes Grnnow in Leipzig. Verlag von F. L. Herbig in Leipzig. — Druck von Carl Marquart in Reudnitz-Leipzig.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_153446/488>, abgerufen am 05.12.2024.