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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal.

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Vor Streitfall von Tamatave.

jetzt noch keine genaue Nachricht über die Beweggründe, welche den Admiral
Pierre veranlaßt haben, auf sein Kommando zu verzichten, aber es ist zu be¬
klagen, daß sein Rücktritt gerade mit dem Augenblicke zusammentraf, in welchem
Herr Gladstone zugab, daß rücksichtlich der neulichen Vorfälle in Tamatave
über den Befehlshaber der französischen Seestreitkräfte in den dortigen Gewässern
nicht zu klagen sei."

Wenn die Angelegenheit zwischen den Regierungen ausgeglichen ist, so wird
nach diesen Äußerungen der französischen Presse, sowie nach denen der englischen
Blätter zwischen den beiden Bevölkerungen immer eine gewisse Verstimmung
zurückbleiben, und diese wird sich in England in dem Maße steigern, in welchem
die Franzosen in Madagaskar Fortschritte machen. Vorläufig scheinen dieselben
sich dort mit ihren Operationen auf einige Küstenplätze beschränken zu wollen,
obwohl die Miliz von Eingebornen, Sakalavas und andern den Hovas feind¬
lichen Stämmen, die Admiral Peyron zu schaffen beabsichtigt, in diesem Falle
überflüssig sein würde. Die Verstärkungen, die nach Tamatave abgehen sollen,
sind nicht von Bedeutung. Vor einigen Tagen fuhr die Najade mit 100 Marine¬
soldaten dahin ab. In etwa zwei Wochen soll ihr die Creuse mit weitern
400 Mann folgen. Diese 500 Mann Infanterie werden, wie man annimmt,
die französische Garnison zu Tamatave in den Stand setzen, den Feind von
einer Umzingelung der Stadt auf der Landseite abzuhalten. Gegenwärtig ist
jene zwar stark genug, Angriffe der Hovas zurückzuschlagen, aber zu schwach
an Zahl, um dieselben sich auf eine große Strecke vom Leibe zu halten. Offiziös
wird versichert, daß die Absendung jener Verstärkungen keinen Wechsel in dem
bisherigen Aktionsplane zu bedeuten hat, daß man also nicht beabsichtigt, zu
einer Offensive im großen Stil überzugehen. Indeß breitet sich nach Berichten
ans Paris dort immermehr die Meinung aus, die Regierung werde sich bald
genötigt sehen, der jetzigen Absperrung der von ihren Truppen besetzten Küsten¬
punkte gegen das Innere hin durch Absendung von Streitkräften gegen die
Hauptstadt Antananarivo ein Ende zu machen. Wäre diese Annahme begründet,
so würde man wenigstens fünftausend statt fünfhundert Mann Verstärkung nach¬
senden müssen, bevor man mit einiger Hoffnung aus Erfolg ins Feld rücken
könnte. Bis jetzt haben es die Franzosen leicht gehabt und thun können, was
ihnen beliebte, weil die Hovas keine Schiffe besitzen und so natürlich Angriffen
von der See her keinen Widerstand leisten können. Im Innern des Landes
würde sich die Sache vollständig umkehren: zwar würde auf französischer Seite
die bessere Disziplin und Bewaffnung sein, aber der Gegner würde ein ihm
wohlbekanntes, den Franzosen unbekanntes Gebirge mit wilden Felsschluchten
und dichten Wäldern für sich haben, desgleichen die Urgesundheit des Klimas,
welches Fremden in den Niederungen äußerst gefährlich ist. Es will uns daher
nicht recht glaublich erscheinen, daß die französische Regierung sich, zumal jetzt,
wo Tonkin nicht unerhebliche Anstrengungen erfordert und bald vielleicht noch


Vor Streitfall von Tamatave.

jetzt noch keine genaue Nachricht über die Beweggründe, welche den Admiral
Pierre veranlaßt haben, auf sein Kommando zu verzichten, aber es ist zu be¬
klagen, daß sein Rücktritt gerade mit dem Augenblicke zusammentraf, in welchem
Herr Gladstone zugab, daß rücksichtlich der neulichen Vorfälle in Tamatave
über den Befehlshaber der französischen Seestreitkräfte in den dortigen Gewässern
nicht zu klagen sei."

Wenn die Angelegenheit zwischen den Regierungen ausgeglichen ist, so wird
nach diesen Äußerungen der französischen Presse, sowie nach denen der englischen
Blätter zwischen den beiden Bevölkerungen immer eine gewisse Verstimmung
zurückbleiben, und diese wird sich in England in dem Maße steigern, in welchem
die Franzosen in Madagaskar Fortschritte machen. Vorläufig scheinen dieselben
sich dort mit ihren Operationen auf einige Küstenplätze beschränken zu wollen,
obwohl die Miliz von Eingebornen, Sakalavas und andern den Hovas feind¬
lichen Stämmen, die Admiral Peyron zu schaffen beabsichtigt, in diesem Falle
überflüssig sein würde. Die Verstärkungen, die nach Tamatave abgehen sollen,
sind nicht von Bedeutung. Vor einigen Tagen fuhr die Najade mit 100 Marine¬
soldaten dahin ab. In etwa zwei Wochen soll ihr die Creuse mit weitern
400 Mann folgen. Diese 500 Mann Infanterie werden, wie man annimmt,
die französische Garnison zu Tamatave in den Stand setzen, den Feind von
einer Umzingelung der Stadt auf der Landseite abzuhalten. Gegenwärtig ist
jene zwar stark genug, Angriffe der Hovas zurückzuschlagen, aber zu schwach
an Zahl, um dieselben sich auf eine große Strecke vom Leibe zu halten. Offiziös
wird versichert, daß die Absendung jener Verstärkungen keinen Wechsel in dem
bisherigen Aktionsplane zu bedeuten hat, daß man also nicht beabsichtigt, zu
einer Offensive im großen Stil überzugehen. Indeß breitet sich nach Berichten
ans Paris dort immermehr die Meinung aus, die Regierung werde sich bald
genötigt sehen, der jetzigen Absperrung der von ihren Truppen besetzten Küsten¬
punkte gegen das Innere hin durch Absendung von Streitkräften gegen die
Hauptstadt Antananarivo ein Ende zu machen. Wäre diese Annahme begründet,
so würde man wenigstens fünftausend statt fünfhundert Mann Verstärkung nach¬
senden müssen, bevor man mit einiger Hoffnung aus Erfolg ins Feld rücken
könnte. Bis jetzt haben es die Franzosen leicht gehabt und thun können, was
ihnen beliebte, weil die Hovas keine Schiffe besitzen und so natürlich Angriffen
von der See her keinen Widerstand leisten können. Im Innern des Landes
würde sich die Sache vollständig umkehren: zwar würde auf französischer Seite
die bessere Disziplin und Bewaffnung sein, aber der Gegner würde ein ihm
wohlbekanntes, den Franzosen unbekanntes Gebirge mit wilden Felsschluchten
und dichten Wäldern für sich haben, desgleichen die Urgesundheit des Klimas,
welches Fremden in den Niederungen äußerst gefährlich ist. Es will uns daher
nicht recht glaublich erscheinen, daß die französische Regierung sich, zumal jetzt,
wo Tonkin nicht unerhebliche Anstrengungen erfordert und bald vielleicht noch


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[0440] Vor Streitfall von Tamatave. jetzt noch keine genaue Nachricht über die Beweggründe, welche den Admiral Pierre veranlaßt haben, auf sein Kommando zu verzichten, aber es ist zu be¬ klagen, daß sein Rücktritt gerade mit dem Augenblicke zusammentraf, in welchem Herr Gladstone zugab, daß rücksichtlich der neulichen Vorfälle in Tamatave über den Befehlshaber der französischen Seestreitkräfte in den dortigen Gewässern nicht zu klagen sei." Wenn die Angelegenheit zwischen den Regierungen ausgeglichen ist, so wird nach diesen Äußerungen der französischen Presse, sowie nach denen der englischen Blätter zwischen den beiden Bevölkerungen immer eine gewisse Verstimmung zurückbleiben, und diese wird sich in England in dem Maße steigern, in welchem die Franzosen in Madagaskar Fortschritte machen. Vorläufig scheinen dieselben sich dort mit ihren Operationen auf einige Küstenplätze beschränken zu wollen, obwohl die Miliz von Eingebornen, Sakalavas und andern den Hovas feind¬ lichen Stämmen, die Admiral Peyron zu schaffen beabsichtigt, in diesem Falle überflüssig sein würde. Die Verstärkungen, die nach Tamatave abgehen sollen, sind nicht von Bedeutung. Vor einigen Tagen fuhr die Najade mit 100 Marine¬ soldaten dahin ab. In etwa zwei Wochen soll ihr die Creuse mit weitern 400 Mann folgen. Diese 500 Mann Infanterie werden, wie man annimmt, die französische Garnison zu Tamatave in den Stand setzen, den Feind von einer Umzingelung der Stadt auf der Landseite abzuhalten. Gegenwärtig ist jene zwar stark genug, Angriffe der Hovas zurückzuschlagen, aber zu schwach an Zahl, um dieselben sich auf eine große Strecke vom Leibe zu halten. Offiziös wird versichert, daß die Absendung jener Verstärkungen keinen Wechsel in dem bisherigen Aktionsplane zu bedeuten hat, daß man also nicht beabsichtigt, zu einer Offensive im großen Stil überzugehen. Indeß breitet sich nach Berichten ans Paris dort immermehr die Meinung aus, die Regierung werde sich bald genötigt sehen, der jetzigen Absperrung der von ihren Truppen besetzten Küsten¬ punkte gegen das Innere hin durch Absendung von Streitkräften gegen die Hauptstadt Antananarivo ein Ende zu machen. Wäre diese Annahme begründet, so würde man wenigstens fünftausend statt fünfhundert Mann Verstärkung nach¬ senden müssen, bevor man mit einiger Hoffnung aus Erfolg ins Feld rücken könnte. Bis jetzt haben es die Franzosen leicht gehabt und thun können, was ihnen beliebte, weil die Hovas keine Schiffe besitzen und so natürlich Angriffen von der See her keinen Widerstand leisten können. Im Innern des Landes würde sich die Sache vollständig umkehren: zwar würde auf französischer Seite die bessere Disziplin und Bewaffnung sein, aber der Gegner würde ein ihm wohlbekanntes, den Franzosen unbekanntes Gebirge mit wilden Felsschluchten und dichten Wäldern für sich haben, desgleichen die Urgesundheit des Klimas, welches Fremden in den Niederungen äußerst gefährlich ist. Es will uns daher nicht recht glaublich erscheinen, daß die französische Regierung sich, zumal jetzt, wo Tonkin nicht unerhebliche Anstrengungen erfordert und bald vielleicht noch

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Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_153446/440>, abgerufen am 08.09.2024.