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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal.

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Die Grafen von Altenschwerdt.

zwei Uhr habe ich selbst sie noch gesehen. Also selbst wenn sie ihre Füße zu
gebrauchen fähig wäre, hätte sie diese Nacht nicht in Scholldorf sein können.
Denn auch ein Schnellläufer würde kaum in drei Stunden den Weg vom
Schlosse nach Scholldorf zweimal zurücklegen können.

Das ist gewiß, das ist gewiß, sagte der Pfarrer, in seine alte Verlegenheit
zurückfallend und indem er den Hut in den Händen drehte. Er entschuldigte
den ungewöhnlichen Schritt, den er unternommen habe, mit dem Interesse,
welches er am Hause Sextus nehme, meinte, daß auch wegen der alten Geschichte
des Einbruchs kein Kläger da sei, wenn nicht etwa der Schiffer selbst an die
Gerichte gehe, und dann erkundigte sich der Baron nach verschiedenen Einzel¬
heiten, die mit dem nächtlichen Ereignis in Verbindung stehen konnten. Aber
es kam kein neues Licht in die Sache, und nachdem der Baron dem Pfarrer seinen
Dank ausgesprochen und seinen Besuch in Scholldorf in Aussicht gestellt hatte,
trennten sich die beiden Männer, und Pfarrer Sengstack wanderte sorgenvoll
nach Hause. Das Schicksal der Familie Sextus -lag ihm in Wahrheit am
Herzen, er ahnte ein Unheil, das im Werke sei, und er dachte gramvoll an Do-
rotheens Bündnis mit dem Grafen. Nicht als hätte seine schwärmerische Ver¬
ehrung für sie jemals die Gestalt eines Wunsches angenommen, aber es jammerte
ihn ihre gebrochene Haltung, die ihm nicht hatte entgehen können, als er sie
beim Verlvbungsfeste beobachtete.

Baron Sextus aber suchte seinen Freund den General auf, denn der Kopf
ward ihm zu wüst und zu schwer, als daß er mit seinen Gedanken allein hätte
fertig werden können.

Der alte Herr zeigte heute Morgen wieder seine klare und heitere Miene,
was dem Baron eine wahre Erleichterung war. Denn er fühlte in diesen
Tagen den Wert dieses Mannes, dessen reine und hohe Gesinnung ihm ein
fester Anhaltspunkt war, ohne daß er sich klar darüber wurde, wie sehr er
eines Haltes außer sich bedürfte.

Ich habe vom Arzte gehört, daß der Verwundete heute Morgen fieberfrei
ist, sagte der General, und ich schöpfe hieraus einige Hoffnung. Möge sie nicht
noch zuletzt betrogen werden! Aber wie mag es unsern andern Patienten gehen?
Was macht die Gräfin und vor allem: wie geht es Dorothea?

Wie es Dorothea geht, das weiß ich noch nicht. Ich war noch nicht bei
ihr. Die Gräfin scheint noch zu schlafen, sagte der Baron.

Und Sie selbst, lieber Herr Baron, obwohl ich Sie nicht zu den Patienten
rechne? Sie sehen etwas abgespannt aus.

Ich habe nicht geschlafen, erwiederte der Baron, indem er sich dem Freunde
gegenüber an das Fenster setzte.

Der General war noch nicht mit allen: bekannt, was sich gestern Abend
ereignet hatte, denn die Dazwischenkunft der Gräfin hatte die beiden Herren
gestört und nachher hatte er keine Fragen thun wollen, weil er merkte, wie
nahe dem Baron die Enthüllung des Herrn von Valdeghem ging. Er wollte
ruhig abwarten, was der Baron ihm von selbst mitteilen werde.

(Fortsetzung folgt.)




Die Grafen von Altenschwerdt.

zwei Uhr habe ich selbst sie noch gesehen. Also selbst wenn sie ihre Füße zu
gebrauchen fähig wäre, hätte sie diese Nacht nicht in Scholldorf sein können.
Denn auch ein Schnellläufer würde kaum in drei Stunden den Weg vom
Schlosse nach Scholldorf zweimal zurücklegen können.

Das ist gewiß, das ist gewiß, sagte der Pfarrer, in seine alte Verlegenheit
zurückfallend und indem er den Hut in den Händen drehte. Er entschuldigte
den ungewöhnlichen Schritt, den er unternommen habe, mit dem Interesse,
welches er am Hause Sextus nehme, meinte, daß auch wegen der alten Geschichte
des Einbruchs kein Kläger da sei, wenn nicht etwa der Schiffer selbst an die
Gerichte gehe, und dann erkundigte sich der Baron nach verschiedenen Einzel¬
heiten, die mit dem nächtlichen Ereignis in Verbindung stehen konnten. Aber
es kam kein neues Licht in die Sache, und nachdem der Baron dem Pfarrer seinen
Dank ausgesprochen und seinen Besuch in Scholldorf in Aussicht gestellt hatte,
trennten sich die beiden Männer, und Pfarrer Sengstack wanderte sorgenvoll
nach Hause. Das Schicksal der Familie Sextus -lag ihm in Wahrheit am
Herzen, er ahnte ein Unheil, das im Werke sei, und er dachte gramvoll an Do-
rotheens Bündnis mit dem Grafen. Nicht als hätte seine schwärmerische Ver¬
ehrung für sie jemals die Gestalt eines Wunsches angenommen, aber es jammerte
ihn ihre gebrochene Haltung, die ihm nicht hatte entgehen können, als er sie
beim Verlvbungsfeste beobachtete.

Baron Sextus aber suchte seinen Freund den General auf, denn der Kopf
ward ihm zu wüst und zu schwer, als daß er mit seinen Gedanken allein hätte
fertig werden können.

Der alte Herr zeigte heute Morgen wieder seine klare und heitere Miene,
was dem Baron eine wahre Erleichterung war. Denn er fühlte in diesen
Tagen den Wert dieses Mannes, dessen reine und hohe Gesinnung ihm ein
fester Anhaltspunkt war, ohne daß er sich klar darüber wurde, wie sehr er
eines Haltes außer sich bedürfte.

Ich habe vom Arzte gehört, daß der Verwundete heute Morgen fieberfrei
ist, sagte der General, und ich schöpfe hieraus einige Hoffnung. Möge sie nicht
noch zuletzt betrogen werden! Aber wie mag es unsern andern Patienten gehen?
Was macht die Gräfin und vor allem: wie geht es Dorothea?

Wie es Dorothea geht, das weiß ich noch nicht. Ich war noch nicht bei
ihr. Die Gräfin scheint noch zu schlafen, sagte der Baron.

Und Sie selbst, lieber Herr Baron, obwohl ich Sie nicht zu den Patienten
rechne? Sie sehen etwas abgespannt aus.

Ich habe nicht geschlafen, erwiederte der Baron, indem er sich dem Freunde
gegenüber an das Fenster setzte.

Der General war noch nicht mit allen: bekannt, was sich gestern Abend
ereignet hatte, denn die Dazwischenkunft der Gräfin hatte die beiden Herren
gestört und nachher hatte er keine Fragen thun wollen, weil er merkte, wie
nahe dem Baron die Enthüllung des Herrn von Valdeghem ging. Er wollte
ruhig abwarten, was der Baron ihm von selbst mitteilen werde.

(Fortsetzung folgt.)




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[0426] Die Grafen von Altenschwerdt. zwei Uhr habe ich selbst sie noch gesehen. Also selbst wenn sie ihre Füße zu gebrauchen fähig wäre, hätte sie diese Nacht nicht in Scholldorf sein können. Denn auch ein Schnellläufer würde kaum in drei Stunden den Weg vom Schlosse nach Scholldorf zweimal zurücklegen können. Das ist gewiß, das ist gewiß, sagte der Pfarrer, in seine alte Verlegenheit zurückfallend und indem er den Hut in den Händen drehte. Er entschuldigte den ungewöhnlichen Schritt, den er unternommen habe, mit dem Interesse, welches er am Hause Sextus nehme, meinte, daß auch wegen der alten Geschichte des Einbruchs kein Kläger da sei, wenn nicht etwa der Schiffer selbst an die Gerichte gehe, und dann erkundigte sich der Baron nach verschiedenen Einzel¬ heiten, die mit dem nächtlichen Ereignis in Verbindung stehen konnten. Aber es kam kein neues Licht in die Sache, und nachdem der Baron dem Pfarrer seinen Dank ausgesprochen und seinen Besuch in Scholldorf in Aussicht gestellt hatte, trennten sich die beiden Männer, und Pfarrer Sengstack wanderte sorgenvoll nach Hause. Das Schicksal der Familie Sextus -lag ihm in Wahrheit am Herzen, er ahnte ein Unheil, das im Werke sei, und er dachte gramvoll an Do- rotheens Bündnis mit dem Grafen. Nicht als hätte seine schwärmerische Ver¬ ehrung für sie jemals die Gestalt eines Wunsches angenommen, aber es jammerte ihn ihre gebrochene Haltung, die ihm nicht hatte entgehen können, als er sie beim Verlvbungsfeste beobachtete. Baron Sextus aber suchte seinen Freund den General auf, denn der Kopf ward ihm zu wüst und zu schwer, als daß er mit seinen Gedanken allein hätte fertig werden können. Der alte Herr zeigte heute Morgen wieder seine klare und heitere Miene, was dem Baron eine wahre Erleichterung war. Denn er fühlte in diesen Tagen den Wert dieses Mannes, dessen reine und hohe Gesinnung ihm ein fester Anhaltspunkt war, ohne daß er sich klar darüber wurde, wie sehr er eines Haltes außer sich bedürfte. Ich habe vom Arzte gehört, daß der Verwundete heute Morgen fieberfrei ist, sagte der General, und ich schöpfe hieraus einige Hoffnung. Möge sie nicht noch zuletzt betrogen werden! Aber wie mag es unsern andern Patienten gehen? Was macht die Gräfin und vor allem: wie geht es Dorothea? Wie es Dorothea geht, das weiß ich noch nicht. Ich war noch nicht bei ihr. Die Gräfin scheint noch zu schlafen, sagte der Baron. Und Sie selbst, lieber Herr Baron, obwohl ich Sie nicht zu den Patienten rechne? Sie sehen etwas abgespannt aus. Ich habe nicht geschlafen, erwiederte der Baron, indem er sich dem Freunde gegenüber an das Fenster setzte. Der General war noch nicht mit allen: bekannt, was sich gestern Abend ereignet hatte, denn die Dazwischenkunft der Gräfin hatte die beiden Herren gestört und nachher hatte er keine Fragen thun wollen, weil er merkte, wie nahe dem Baron die Enthüllung des Herrn von Valdeghem ging. Er wollte ruhig abwarten, was der Baron ihm von selbst mitteilen werde. (Fortsetzung folgt.)

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_153446/426>, abgerufen am 08.09.2024.