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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal.

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Militärlast und Überproduktion.

ringert werden könnte. Nach meiner Auffassung muß ich dies entschieden in Abrede
stellen. Allerdings, dem Reiche erwächst aus dem Heere eine große Ausgabe.
Aber der Unterhalt sämtlicher Reichsangehörigen, mit Einschluß derjenigen,
welche keine Arbeit haben, wird auch gegenwärtig aufgebracht, sei es in der
Weise, daß dieser und jener beschäftigungslos bei Verwandten weilt, sei es durch
Privatwohlthätigkeit, sei es dadurch, daß der Mangel schließlich zum Verbrechen
treibt. Der Unterhalt eines Verbrechers oder schon eines Bettlers kostet aber
der Gesamtheit viel mehr als der eines Soldaten. Solange also Mangel an
Arbeitsgelegenheit herrscht, entsteht durch die Einziehung von Arbeitern zum
Militärdienste keine neue Ausgabe, sondern eher eine Ersparnis. Die schon vor¬
handene Last wird nur anders verteilt als zuvor, und zwar unter der Voraus¬
setzung, daß die Steuern zweckmäßig ausgeschrieben sind, zweckmäßiger und
gerechter. Erst von dem Augenblicke an, wo ein Mangel an Arbeitskräften ein¬
träte, würde die Erhöhung des Präsenzstandes eine wirkliche Last sein. Aber
gerade dann könnte dieselbe auch leichter getragen werden, weil der Mangel an
Arbeitskräften Zeichen eines prosperirenden Geschäftsganges ist.

Ich verkenne also keineswegs, daß die Militärlast für den Einzelnen unter
Umständen sehr drückend sein kann. Der Allgemeinheit aber erwächst aus den
stehenden Heeren unter den heutigen Verhältnissen eher eine Entlastung als
eine Belastung. Die Richtigkeit dieser Auffassung könnte man nur dann in
Zweifel ziehen, wenn man behaupten wollte, daß die Handels- und Jndnstrie-
krisen uicht in Zusammenhang stünden mit Überproduktion. Vielleicht wird
ein Vergleich den scheinbaren Widerspruch, welcher in meiner Anschauung liegt,
beseitigen.

Ein Bauer hat in seiner Wirtschaft drei Söhne, von denen nur zwei volle
Beschäftigung finden. Der teilweise Müßiggang ist die Veranlassung zu einer
Anzahl von Ausgaben, welche ohne Schaden für das Wohl der Familie hätten
erspart werden können, und führt überdies zu allerhand MißHelligkeiten. Gelingt
es dem Vater, einen der Söhne gegen billiges Entgelt außerhalb des Hauses
unterzubringen und ihn dort, ich will garnicht sagen nützlich zu beschäftigen,
aber doch zu beschäftigen, so wird freilich die Allsgabe für denselben als eine Last
empfunden werden, aber die Familie wird wirtschaftlich besser vorwärts kommen
als früher.

Der Vergleich hinkt; aber er hinkt doch besonders darum, weil der dritte
Sohn auch daheim Obdcich und Brot fand, während die Söhne des Vaterlandes
oft uicht wissen, wohin sie ihr Haupt legen und wovon sie sich und die Ihrigen
ernähren sollen.

Natürlich können sozial-politische Erwägungen in militärischen Angelegen¬
heiten nicht den Ausschlag geben. Aber wir haben wahrlich allen Grund, unsre
Wehrkraft soweit anzuspannen, wie es ohne wirtschaftlichen Schaden thunlich ist.
Und sodann ist die Dienstzeit eine vorzügliche Schule nicht nur für die weniger


Militärlast und Überproduktion.

ringert werden könnte. Nach meiner Auffassung muß ich dies entschieden in Abrede
stellen. Allerdings, dem Reiche erwächst aus dem Heere eine große Ausgabe.
Aber der Unterhalt sämtlicher Reichsangehörigen, mit Einschluß derjenigen,
welche keine Arbeit haben, wird auch gegenwärtig aufgebracht, sei es in der
Weise, daß dieser und jener beschäftigungslos bei Verwandten weilt, sei es durch
Privatwohlthätigkeit, sei es dadurch, daß der Mangel schließlich zum Verbrechen
treibt. Der Unterhalt eines Verbrechers oder schon eines Bettlers kostet aber
der Gesamtheit viel mehr als der eines Soldaten. Solange also Mangel an
Arbeitsgelegenheit herrscht, entsteht durch die Einziehung von Arbeitern zum
Militärdienste keine neue Ausgabe, sondern eher eine Ersparnis. Die schon vor¬
handene Last wird nur anders verteilt als zuvor, und zwar unter der Voraus¬
setzung, daß die Steuern zweckmäßig ausgeschrieben sind, zweckmäßiger und
gerechter. Erst von dem Augenblicke an, wo ein Mangel an Arbeitskräften ein¬
träte, würde die Erhöhung des Präsenzstandes eine wirkliche Last sein. Aber
gerade dann könnte dieselbe auch leichter getragen werden, weil der Mangel an
Arbeitskräften Zeichen eines prosperirenden Geschäftsganges ist.

Ich verkenne also keineswegs, daß die Militärlast für den Einzelnen unter
Umständen sehr drückend sein kann. Der Allgemeinheit aber erwächst aus den
stehenden Heeren unter den heutigen Verhältnissen eher eine Entlastung als
eine Belastung. Die Richtigkeit dieser Auffassung könnte man nur dann in
Zweifel ziehen, wenn man behaupten wollte, daß die Handels- und Jndnstrie-
krisen uicht in Zusammenhang stünden mit Überproduktion. Vielleicht wird
ein Vergleich den scheinbaren Widerspruch, welcher in meiner Anschauung liegt,
beseitigen.

Ein Bauer hat in seiner Wirtschaft drei Söhne, von denen nur zwei volle
Beschäftigung finden. Der teilweise Müßiggang ist die Veranlassung zu einer
Anzahl von Ausgaben, welche ohne Schaden für das Wohl der Familie hätten
erspart werden können, und führt überdies zu allerhand MißHelligkeiten. Gelingt
es dem Vater, einen der Söhne gegen billiges Entgelt außerhalb des Hauses
unterzubringen und ihn dort, ich will garnicht sagen nützlich zu beschäftigen,
aber doch zu beschäftigen, so wird freilich die Allsgabe für denselben als eine Last
empfunden werden, aber die Familie wird wirtschaftlich besser vorwärts kommen
als früher.

Der Vergleich hinkt; aber er hinkt doch besonders darum, weil der dritte
Sohn auch daheim Obdcich und Brot fand, während die Söhne des Vaterlandes
oft uicht wissen, wohin sie ihr Haupt legen und wovon sie sich und die Ihrigen
ernähren sollen.

Natürlich können sozial-politische Erwägungen in militärischen Angelegen¬
heiten nicht den Ausschlag geben. Aber wir haben wahrlich allen Grund, unsre
Wehrkraft soweit anzuspannen, wie es ohne wirtschaftlichen Schaden thunlich ist.
Und sodann ist die Dienstzeit eine vorzügliche Schule nicht nur für die weniger


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[0389] Militärlast und Überproduktion. ringert werden könnte. Nach meiner Auffassung muß ich dies entschieden in Abrede stellen. Allerdings, dem Reiche erwächst aus dem Heere eine große Ausgabe. Aber der Unterhalt sämtlicher Reichsangehörigen, mit Einschluß derjenigen, welche keine Arbeit haben, wird auch gegenwärtig aufgebracht, sei es in der Weise, daß dieser und jener beschäftigungslos bei Verwandten weilt, sei es durch Privatwohlthätigkeit, sei es dadurch, daß der Mangel schließlich zum Verbrechen treibt. Der Unterhalt eines Verbrechers oder schon eines Bettlers kostet aber der Gesamtheit viel mehr als der eines Soldaten. Solange also Mangel an Arbeitsgelegenheit herrscht, entsteht durch die Einziehung von Arbeitern zum Militärdienste keine neue Ausgabe, sondern eher eine Ersparnis. Die schon vor¬ handene Last wird nur anders verteilt als zuvor, und zwar unter der Voraus¬ setzung, daß die Steuern zweckmäßig ausgeschrieben sind, zweckmäßiger und gerechter. Erst von dem Augenblicke an, wo ein Mangel an Arbeitskräften ein¬ träte, würde die Erhöhung des Präsenzstandes eine wirkliche Last sein. Aber gerade dann könnte dieselbe auch leichter getragen werden, weil der Mangel an Arbeitskräften Zeichen eines prosperirenden Geschäftsganges ist. Ich verkenne also keineswegs, daß die Militärlast für den Einzelnen unter Umständen sehr drückend sein kann. Der Allgemeinheit aber erwächst aus den stehenden Heeren unter den heutigen Verhältnissen eher eine Entlastung als eine Belastung. Die Richtigkeit dieser Auffassung könnte man nur dann in Zweifel ziehen, wenn man behaupten wollte, daß die Handels- und Jndnstrie- krisen uicht in Zusammenhang stünden mit Überproduktion. Vielleicht wird ein Vergleich den scheinbaren Widerspruch, welcher in meiner Anschauung liegt, beseitigen. Ein Bauer hat in seiner Wirtschaft drei Söhne, von denen nur zwei volle Beschäftigung finden. Der teilweise Müßiggang ist die Veranlassung zu einer Anzahl von Ausgaben, welche ohne Schaden für das Wohl der Familie hätten erspart werden können, und führt überdies zu allerhand MißHelligkeiten. Gelingt es dem Vater, einen der Söhne gegen billiges Entgelt außerhalb des Hauses unterzubringen und ihn dort, ich will garnicht sagen nützlich zu beschäftigen, aber doch zu beschäftigen, so wird freilich die Allsgabe für denselben als eine Last empfunden werden, aber die Familie wird wirtschaftlich besser vorwärts kommen als früher. Der Vergleich hinkt; aber er hinkt doch besonders darum, weil der dritte Sohn auch daheim Obdcich und Brot fand, während die Söhne des Vaterlandes oft uicht wissen, wohin sie ihr Haupt legen und wovon sie sich und die Ihrigen ernähren sollen. Natürlich können sozial-politische Erwägungen in militärischen Angelegen¬ heiten nicht den Ausschlag geben. Aber wir haben wahrlich allen Grund, unsre Wehrkraft soweit anzuspannen, wie es ohne wirtschaftlichen Schaden thunlich ist. Und sodann ist die Dienstzeit eine vorzügliche Schule nicht nur für die weniger

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_153446/389>, abgerufen am 08.09.2024.