Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Der pariser Salon.

War aber keineswegs ein "definitiver," da General Faidherbe trotz seines an¬
geblichen Sieges wegen seiner starken Verluste genötigt war, die vorübergehend
okkupirten Stellungen am andern Tage wieder aufzugeben und selbst einen
"definitiven" Rückzug anzutreten. "So endete," schrieb damals der englische
Korrespondent des Vs.i1^ ^vIsAraxu, "die Schlacht von Bcipaume, in welcher
die Preußen mit nur 10,000 Mann Infanterie und 84 Geschützen gegen 30,000
Mann Franzosen mit 60 Geschützen fochten. Daß General Faidherbe der Hand¬
voll Truppen, welche ihm gegenüberstand, schwere Verluste beibrachte, ist eine
traurige Thatsache, die man nicht leugnen kann. Ebenso unbestreitbar aber ist
es, daß er außer diesem am 3. Januar nicht den geringsten Vorteil erlangte."
Nachdem erst kürzlich die dem bekannten Bilde von A. de Neuville "Die letzte
Patrone" angeblich zu Grnnde liegende Heldenthat von einem bairischen Offizier
als arge Flunkerei aufgedeckt worden ist, wird man gut thun, allen derartigen
Bildern der französischen Maler auf den Grund zu gehen. Eine Episode aus
dem Kampfe von Beaume-la-Rolaude von Le Drü und ein unbedeutendes Vor-
Pvstengcfecht aus den Kämpfen an der Loire von Chigot lasten sich auf die
Richtigkeit der Darstellung nicht prüfen, da das spezielle Motiv nur in sehr
allgemeinen Zügen angegeben ist. Einen ganz anekdotenhaften Charakter hat,
wenn es nicht gar die Erfindung boshaften Rachedurstes ist, ein Bild von
Vontignh, auf welchem ein preußischer Offizier, welcher auf dem Hofe einer
Farm nach beendeter Mahlzeit seinen Kaffee trinkt, von plötzlich eindringenden
Franctircurs erschossen wird, während er die Tasse zum Munde führt. Ein
würdiges Pendant zu der lamcutirenden Elsäfserin bildet Bettaniers junger
Lothringer, welcher, zum deutschen Militärdienst herangezogen, mit dumpfer
Verzweiflung auf die vor ihm liegenden verhaßten Monturstücke blickt, während
der kranke Vater und die arme Mutter ihn kummervoll anstarren. Unglücklicher¬
weise hat dem jungen Maler eine so geringe technische Befähigung zur Seite
gestanden, daß selbst der ärgste Chauvinist nicht Opfermut genug besitzt, diese
flaue und lahme Malerei interessant zu finden.

Auch in die französische Skulptur, welche bisher durch eine größere
Strenge der Stilgesetze einen gewissen Schutz gegen den Einbruch des platten
oder rohen Naturalismus zu haben schien, beginnt derselbe nachgerade einzu¬
dringen. Man scheut sich nicht, Krüppel und Mißgestalten, die schon an und
für sich außerhalb der Domäne des Plastischen liegen, in Gips und Thon
nachzubilden. So haben in diesem Jahre nicht weniger als drei Künstler,
Carlier, Michel und Turcau, die Fabel von Florian I/°>,v6UAlö se l<z xara-
iMauiz, in welcher sich der lahme Bettler von dem blinden tragen läßt, zum
Gegenstande von Darstellungen gemacht, welche an krasser Natürlichkeit in der
Wiedergabe der Gebrechen mit einander wetteifern. Die Fabeln des liebens¬
würdigen und formgewandten Dichters scheinen übrigens wieder in die Mode
gekommen zu sein, da auch zwei Maler, Garnier und Moreau-Vauthier,


Der pariser Salon.

War aber keineswegs ein „definitiver," da General Faidherbe trotz seines an¬
geblichen Sieges wegen seiner starken Verluste genötigt war, die vorübergehend
okkupirten Stellungen am andern Tage wieder aufzugeben und selbst einen
„definitiven" Rückzug anzutreten. „So endete," schrieb damals der englische
Korrespondent des Vs.i1^ ^vIsAraxu, „die Schlacht von Bcipaume, in welcher
die Preußen mit nur 10,000 Mann Infanterie und 84 Geschützen gegen 30,000
Mann Franzosen mit 60 Geschützen fochten. Daß General Faidherbe der Hand¬
voll Truppen, welche ihm gegenüberstand, schwere Verluste beibrachte, ist eine
traurige Thatsache, die man nicht leugnen kann. Ebenso unbestreitbar aber ist
es, daß er außer diesem am 3. Januar nicht den geringsten Vorteil erlangte."
Nachdem erst kürzlich die dem bekannten Bilde von A. de Neuville „Die letzte
Patrone" angeblich zu Grnnde liegende Heldenthat von einem bairischen Offizier
als arge Flunkerei aufgedeckt worden ist, wird man gut thun, allen derartigen
Bildern der französischen Maler auf den Grund zu gehen. Eine Episode aus
dem Kampfe von Beaume-la-Rolaude von Le Drü und ein unbedeutendes Vor-
Pvstengcfecht aus den Kämpfen an der Loire von Chigot lasten sich auf die
Richtigkeit der Darstellung nicht prüfen, da das spezielle Motiv nur in sehr
allgemeinen Zügen angegeben ist. Einen ganz anekdotenhaften Charakter hat,
wenn es nicht gar die Erfindung boshaften Rachedurstes ist, ein Bild von
Vontignh, auf welchem ein preußischer Offizier, welcher auf dem Hofe einer
Farm nach beendeter Mahlzeit seinen Kaffee trinkt, von plötzlich eindringenden
Franctircurs erschossen wird, während er die Tasse zum Munde führt. Ein
würdiges Pendant zu der lamcutirenden Elsäfserin bildet Bettaniers junger
Lothringer, welcher, zum deutschen Militärdienst herangezogen, mit dumpfer
Verzweiflung auf die vor ihm liegenden verhaßten Monturstücke blickt, während
der kranke Vater und die arme Mutter ihn kummervoll anstarren. Unglücklicher¬
weise hat dem jungen Maler eine so geringe technische Befähigung zur Seite
gestanden, daß selbst der ärgste Chauvinist nicht Opfermut genug besitzt, diese
flaue und lahme Malerei interessant zu finden.

Auch in die französische Skulptur, welche bisher durch eine größere
Strenge der Stilgesetze einen gewissen Schutz gegen den Einbruch des platten
oder rohen Naturalismus zu haben schien, beginnt derselbe nachgerade einzu¬
dringen. Man scheut sich nicht, Krüppel und Mißgestalten, die schon an und
für sich außerhalb der Domäne des Plastischen liegen, in Gips und Thon
nachzubilden. So haben in diesem Jahre nicht weniger als drei Künstler,
Carlier, Michel und Turcau, die Fabel von Florian I/°>,v6UAlö se l<z xara-
iMauiz, in welcher sich der lahme Bettler von dem blinden tragen läßt, zum
Gegenstande von Darstellungen gemacht, welche an krasser Natürlichkeit in der
Wiedergabe der Gebrechen mit einander wetteifern. Die Fabeln des liebens¬
würdigen und formgewandten Dichters scheinen übrigens wieder in die Mode
gekommen zu sein, da auch zwei Maler, Garnier und Moreau-Vauthier,


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0365" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/153812"/>
          <fw type="header" place="top"> Der pariser Salon.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1535" prev="#ID_1534"> War aber keineswegs ein &#x201E;definitiver," da General Faidherbe trotz seines an¬<lb/>
geblichen Sieges wegen seiner starken Verluste genötigt war, die vorübergehend<lb/>
okkupirten Stellungen am andern Tage wieder aufzugeben und selbst einen<lb/>
&#x201E;definitiven" Rückzug anzutreten. &#x201E;So endete," schrieb damals der englische<lb/>
Korrespondent des Vs.i1^ ^vIsAraxu, &#x201E;die Schlacht von Bcipaume, in welcher<lb/>
die Preußen mit nur 10,000 Mann Infanterie und 84 Geschützen gegen 30,000<lb/>
Mann Franzosen mit 60 Geschützen fochten. Daß General Faidherbe der Hand¬<lb/>
voll Truppen, welche ihm gegenüberstand, schwere Verluste beibrachte, ist eine<lb/>
traurige Thatsache, die man nicht leugnen kann. Ebenso unbestreitbar aber ist<lb/>
es, daß er außer diesem am 3. Januar nicht den geringsten Vorteil erlangte."<lb/>
Nachdem erst kürzlich die dem bekannten Bilde von A. de Neuville &#x201E;Die letzte<lb/>
Patrone" angeblich zu Grnnde liegende Heldenthat von einem bairischen Offizier<lb/>
als arge Flunkerei aufgedeckt worden ist, wird man gut thun, allen derartigen<lb/>
Bildern der französischen Maler auf den Grund zu gehen. Eine Episode aus<lb/>
dem Kampfe von Beaume-la-Rolaude von Le Drü und ein unbedeutendes Vor-<lb/>
Pvstengcfecht aus den Kämpfen an der Loire von Chigot lasten sich auf die<lb/>
Richtigkeit der Darstellung nicht prüfen, da das spezielle Motiv nur in sehr<lb/>
allgemeinen Zügen angegeben ist. Einen ganz anekdotenhaften Charakter hat,<lb/>
wenn es nicht gar die Erfindung boshaften Rachedurstes ist, ein Bild von<lb/>
Vontignh, auf welchem ein preußischer Offizier, welcher auf dem Hofe einer<lb/>
Farm nach beendeter Mahlzeit seinen Kaffee trinkt, von plötzlich eindringenden<lb/>
Franctircurs erschossen wird, während er die Tasse zum Munde führt. Ein<lb/>
würdiges Pendant zu der lamcutirenden Elsäfserin bildet Bettaniers junger<lb/>
Lothringer, welcher, zum deutschen Militärdienst herangezogen, mit dumpfer<lb/>
Verzweiflung auf die vor ihm liegenden verhaßten Monturstücke blickt, während<lb/>
der kranke Vater und die arme Mutter ihn kummervoll anstarren. Unglücklicher¬<lb/>
weise hat dem jungen Maler eine so geringe technische Befähigung zur Seite<lb/>
gestanden, daß selbst der ärgste Chauvinist nicht Opfermut genug besitzt, diese<lb/>
flaue und lahme Malerei interessant zu finden.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1536" next="#ID_1537"> Auch in die französische Skulptur, welche bisher durch eine größere<lb/>
Strenge der Stilgesetze einen gewissen Schutz gegen den Einbruch des platten<lb/>
oder rohen Naturalismus zu haben schien, beginnt derselbe nachgerade einzu¬<lb/>
dringen. Man scheut sich nicht, Krüppel und Mißgestalten, die schon an und<lb/>
für sich außerhalb der Domäne des Plastischen liegen, in Gips und Thon<lb/>
nachzubilden. So haben in diesem Jahre nicht weniger als drei Künstler,<lb/>
Carlier, Michel und Turcau, die Fabel von Florian I/°&gt;,v6UAlö se l&lt;z xara-<lb/>
iMauiz, in welcher sich der lahme Bettler von dem blinden tragen läßt, zum<lb/>
Gegenstande von Darstellungen gemacht, welche an krasser Natürlichkeit in der<lb/>
Wiedergabe der Gebrechen mit einander wetteifern. Die Fabeln des liebens¬<lb/>
würdigen und formgewandten Dichters scheinen übrigens wieder in die Mode<lb/>
gekommen zu sein, da auch zwei Maler, Garnier und Moreau-Vauthier,</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0365] Der pariser Salon. War aber keineswegs ein „definitiver," da General Faidherbe trotz seines an¬ geblichen Sieges wegen seiner starken Verluste genötigt war, die vorübergehend okkupirten Stellungen am andern Tage wieder aufzugeben und selbst einen „definitiven" Rückzug anzutreten. „So endete," schrieb damals der englische Korrespondent des Vs.i1^ ^vIsAraxu, „die Schlacht von Bcipaume, in welcher die Preußen mit nur 10,000 Mann Infanterie und 84 Geschützen gegen 30,000 Mann Franzosen mit 60 Geschützen fochten. Daß General Faidherbe der Hand¬ voll Truppen, welche ihm gegenüberstand, schwere Verluste beibrachte, ist eine traurige Thatsache, die man nicht leugnen kann. Ebenso unbestreitbar aber ist es, daß er außer diesem am 3. Januar nicht den geringsten Vorteil erlangte." Nachdem erst kürzlich die dem bekannten Bilde von A. de Neuville „Die letzte Patrone" angeblich zu Grnnde liegende Heldenthat von einem bairischen Offizier als arge Flunkerei aufgedeckt worden ist, wird man gut thun, allen derartigen Bildern der französischen Maler auf den Grund zu gehen. Eine Episode aus dem Kampfe von Beaume-la-Rolaude von Le Drü und ein unbedeutendes Vor- Pvstengcfecht aus den Kämpfen an der Loire von Chigot lasten sich auf die Richtigkeit der Darstellung nicht prüfen, da das spezielle Motiv nur in sehr allgemeinen Zügen angegeben ist. Einen ganz anekdotenhaften Charakter hat, wenn es nicht gar die Erfindung boshaften Rachedurstes ist, ein Bild von Vontignh, auf welchem ein preußischer Offizier, welcher auf dem Hofe einer Farm nach beendeter Mahlzeit seinen Kaffee trinkt, von plötzlich eindringenden Franctircurs erschossen wird, während er die Tasse zum Munde führt. Ein würdiges Pendant zu der lamcutirenden Elsäfserin bildet Bettaniers junger Lothringer, welcher, zum deutschen Militärdienst herangezogen, mit dumpfer Verzweiflung auf die vor ihm liegenden verhaßten Monturstücke blickt, während der kranke Vater und die arme Mutter ihn kummervoll anstarren. Unglücklicher¬ weise hat dem jungen Maler eine so geringe technische Befähigung zur Seite gestanden, daß selbst der ärgste Chauvinist nicht Opfermut genug besitzt, diese flaue und lahme Malerei interessant zu finden. Auch in die französische Skulptur, welche bisher durch eine größere Strenge der Stilgesetze einen gewissen Schutz gegen den Einbruch des platten oder rohen Naturalismus zu haben schien, beginnt derselbe nachgerade einzu¬ dringen. Man scheut sich nicht, Krüppel und Mißgestalten, die schon an und für sich außerhalb der Domäne des Plastischen liegen, in Gips und Thon nachzubilden. So haben in diesem Jahre nicht weniger als drei Künstler, Carlier, Michel und Turcau, die Fabel von Florian I/°>,v6UAlö se l<z xara- iMauiz, in welcher sich der lahme Bettler von dem blinden tragen läßt, zum Gegenstande von Darstellungen gemacht, welche an krasser Natürlichkeit in der Wiedergabe der Gebrechen mit einander wetteifern. Die Fabeln des liebens¬ würdigen und formgewandten Dichters scheinen übrigens wieder in die Mode gekommen zu sein, da auch zwei Maler, Garnier und Moreau-Vauthier,

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_153446
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_153446/365
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_153446/365>, abgerufen am 08.09.2024.