Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal.Friedrich Schlegel. neue Zeitschrift zunächst nur die Abfälle seiner Fortsetzung der griechischen Lite¬ In dieser Form nun brachte Friedrich Schlegel das Programm der neuen Friedrich Schlegel. neue Zeitschrift zunächst nur die Abfälle seiner Fortsetzung der griechischen Lite¬ In dieser Form nun brachte Friedrich Schlegel das Programm der neuen <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0349" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/153796"/> <fw type="header" place="top"> Friedrich Schlegel.</fw><lb/> <p xml:id="ID_1504" prev="#ID_1503"> neue Zeitschrift zunächst nur die Abfälle seiner Fortsetzung der griechischen Lite¬<lb/> raturgeschichte. Erst nach unablässigem Drängen Wilhelms ließ er sich herbei,<lb/> den ideellen Vorrat seines Innern ungeformt und unverarbeitet, fast möchte<lb/> man sagen, unverdaut vor den Lesern des Journals auszuschütten. Dasselbe<lb/> Heft des Reichardtschen Lyceums, in welchem er Lessing als Fragmentisten feierte,<lb/> hatte auch eine Anzahl „kritischer Fragmente" von Friedrich Schlegel selbst ge¬<lb/> bracht, in denen er seine revolutionären Gedanken auf allen Gebieten des Den¬<lb/> kens und Lebens in der absichtlich verwegensten, mutwilligsten und paradoxesten<lb/> Form ausdrückte. Den „Chamfortirenden" nannte man ihn wegen seiner Vor¬<lb/> liebe für die diesem französischen Schriftsteller eigentümliche Art aphoristischer<lb/> und fragmentarischer Äußerung. Im Athenäum rückte Friedrich, unterstützt von<lb/> seinem Bruder Wilhelm und seinen Freunden Schleiermacher und Novalis, mit<lb/> einer Legion von fünfthalbhundert solcher Fragmente hervor, welche die frühern<lb/> an Keckheit, Paradoxie und Verwegenheit weit hinter sich zurückließen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1505" next="#ID_1506"> In dieser Form nun brachte Friedrich Schlegel das Programm der neuen<lb/> Schule zum Ausdrucke, welches zunächst die Herstellung einer neuen Dichtung<lb/> ins Auge faßte. Hier gab er jene mehr berüchtigte als berühmte Definition<lb/> der romantischen Dichtung ab, deren apodiktischer, legislatorischer Ton uns über<lb/> die Unklarheit und Verschwommenheit der darin herrschenden Begriffe nicht zu<lb/> täuschen vermag. Als ob in Schlegels Ansichten über die ältere und neuere<lb/> Poesie und im Anschlusse daran über das Wesen der Poesie überhaupt niemals<lb/> ein radikaler Umschwung stattgefunden hätte, als ob er sich jenes oben berührten<lb/> Widerspruches zwischen dem Inhalte seiner Schrift „Über das Studium der<lb/> griechischen Poesie" und der Vorrede niemals bewußt geworden wäre, werden<lb/> hier Prädikate der objektiven sowohl als der interessanten Kunst auf die romantische<lb/> übergetragen. Wenn es heißt, dieselbe sei frei von allem realen und idealen<lb/> Interesse, fo ist das an jenem frühern Orte ein Kennzeichen der objektiven oder<lb/> antiken Poesie gewesen; wenn es dann wieder heißt, sie sei noch im Werden<lb/> und könne nie vollendet sein, so ist dieses Merkmal der unendlichen Progresst-<lb/> vität dort der interessanten oder modernen Dichtung zugeschrieben worden.<lb/> Schon hieraus wird deutlich, daß diese Definition weder aus der Idee eines<lb/> absoluten schönen, noch aus der historischen Entwicklung des Schönen<lb/> bei den Alten nud deu Modernen abgeleitet ist, daß vielmehr beide Gesichts¬<lb/> punkte willkürlich mit einander verbunden sind. Die romantische Dichtung wird<lb/> aus einer Summe vou Merkmalen zusammengesetzt, welche Friedrich Schlegel<lb/> hier und dort beobachtet und kennen gelernt hat, unbekümmert ob alle diese<lb/> Merkmale ein charakteristisches Ganze bilden und ob dieses Ganze jemals be¬<lb/> standen hat oder je wird bestehen können. So heißt es, die romantische Dichtung<lb/> sei progressiv, gesellig, gebildet u. s. w. Was über das innere Wesen derselben<lb/> gesagt wird, ist uur ein Ausfluß des revolutionären Geistes und der Emcmzi-<lb/> pativnstendenzen, welche Friedrich Schlegel von jeher vertreten hatte. Sein</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0349]
Friedrich Schlegel.
neue Zeitschrift zunächst nur die Abfälle seiner Fortsetzung der griechischen Lite¬
raturgeschichte. Erst nach unablässigem Drängen Wilhelms ließ er sich herbei,
den ideellen Vorrat seines Innern ungeformt und unverarbeitet, fast möchte
man sagen, unverdaut vor den Lesern des Journals auszuschütten. Dasselbe
Heft des Reichardtschen Lyceums, in welchem er Lessing als Fragmentisten feierte,
hatte auch eine Anzahl „kritischer Fragmente" von Friedrich Schlegel selbst ge¬
bracht, in denen er seine revolutionären Gedanken auf allen Gebieten des Den¬
kens und Lebens in der absichtlich verwegensten, mutwilligsten und paradoxesten
Form ausdrückte. Den „Chamfortirenden" nannte man ihn wegen seiner Vor¬
liebe für die diesem französischen Schriftsteller eigentümliche Art aphoristischer
und fragmentarischer Äußerung. Im Athenäum rückte Friedrich, unterstützt von
seinem Bruder Wilhelm und seinen Freunden Schleiermacher und Novalis, mit
einer Legion von fünfthalbhundert solcher Fragmente hervor, welche die frühern
an Keckheit, Paradoxie und Verwegenheit weit hinter sich zurückließen.
In dieser Form nun brachte Friedrich Schlegel das Programm der neuen
Schule zum Ausdrucke, welches zunächst die Herstellung einer neuen Dichtung
ins Auge faßte. Hier gab er jene mehr berüchtigte als berühmte Definition
der romantischen Dichtung ab, deren apodiktischer, legislatorischer Ton uns über
die Unklarheit und Verschwommenheit der darin herrschenden Begriffe nicht zu
täuschen vermag. Als ob in Schlegels Ansichten über die ältere und neuere
Poesie und im Anschlusse daran über das Wesen der Poesie überhaupt niemals
ein radikaler Umschwung stattgefunden hätte, als ob er sich jenes oben berührten
Widerspruches zwischen dem Inhalte seiner Schrift „Über das Studium der
griechischen Poesie" und der Vorrede niemals bewußt geworden wäre, werden
hier Prädikate der objektiven sowohl als der interessanten Kunst auf die romantische
übergetragen. Wenn es heißt, dieselbe sei frei von allem realen und idealen
Interesse, fo ist das an jenem frühern Orte ein Kennzeichen der objektiven oder
antiken Poesie gewesen; wenn es dann wieder heißt, sie sei noch im Werden
und könne nie vollendet sein, so ist dieses Merkmal der unendlichen Progresst-
vität dort der interessanten oder modernen Dichtung zugeschrieben worden.
Schon hieraus wird deutlich, daß diese Definition weder aus der Idee eines
absoluten schönen, noch aus der historischen Entwicklung des Schönen
bei den Alten nud deu Modernen abgeleitet ist, daß vielmehr beide Gesichts¬
punkte willkürlich mit einander verbunden sind. Die romantische Dichtung wird
aus einer Summe vou Merkmalen zusammengesetzt, welche Friedrich Schlegel
hier und dort beobachtet und kennen gelernt hat, unbekümmert ob alle diese
Merkmale ein charakteristisches Ganze bilden und ob dieses Ganze jemals be¬
standen hat oder je wird bestehen können. So heißt es, die romantische Dichtung
sei progressiv, gesellig, gebildet u. s. w. Was über das innere Wesen derselben
gesagt wird, ist uur ein Ausfluß des revolutionären Geistes und der Emcmzi-
pativnstendenzen, welche Friedrich Schlegel von jeher vertreten hatte. Sein
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |