Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal.Notizen,. Die eingeleitete Untersuchung ergab, daß der Unbefugte ein Beamter war, Wegen der von ihm begangenen Entwertung des mehrgenannten Briefes Die erfolgte Freisprechung soll nun hier keiner Anfechtung unterzogen werden. Notizen,. Die eingeleitete Untersuchung ergab, daß der Unbefugte ein Beamter war, Wegen der von ihm begangenen Entwertung des mehrgenannten Briefes Die erfolgte Freisprechung soll nun hier keiner Anfechtung unterzogen werden. <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0270" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/153717"/> <fw type="header" place="top"> Notizen,.</fw><lb/> <p xml:id="ID_1182"> Die eingeleitete Untersuchung ergab, daß der Unbefugte ein Beamter war,<lb/> welcher an dem fraglichen Tage dienstlich in dem Amtszimmer des Schultheißen<lb/> beschäftigt gewesen war und die Sorglosigkeit des letztern dazu gemißbraucht hatte,<lb/> heimlich den Brief zu lesen, samt dem Kuvert in die Tasche zu schieben und<lb/> mitzunehmen. Dieser Beamte ist der Amtsnotar Fehlcisen von Langenau, ein<lb/> Anhänger der würtembergischen Volkspartei. Am 24. Oktober 1331 fand im<lb/> Gasthof zum Hirsch in Ulm eine von dem Wahlkomitee des Fabrikanten Hähnle,<lb/> des Gegners des konservativen Kandidaten, einberufene Versammlung statt, in welcher<lb/> der Notar Fehlcisen dem Vorstande des Komitees, dein Rechtsanwalt Freisleben<lb/> von Heidenheim, den entwendeten Brief samt Umschlag vorzeigte und denselben<lb/> eine Abschrift davon nehmen ließ, welche dieser sofort in dem Organ der Volks-<lb/> partei, dem Stuttgarter „Beobachter," abdrucken ließ und zur Anfechtung der<lb/> Wahl Rickerts in einer Eingabe an den Reichstag vom 22. November 1881 benutzte.</p><lb/> <p xml:id="ID_1183"> Wegen der von ihm begangenen Entwertung des mehrgenannten Briefes<lb/> und Kuverts hatte sich am 22. Juni d. I. der Notar Fehleisen vor der Straf¬<lb/> kammer des königlichen Landgerichts Ulm zu verantworten, und zwar lautete die<lb/> Anklage auf Diebstahl in idealer Konkurrenz mit dem Vergehen des §133 des<lb/> Strafgesetzbuchs (Beseitigung von Urkunden). Der Angeklagte wurde nun zwar<lb/> von der Strafkammer von der gegen ihn erhobenen Anklage freigesprochen (eine<lb/> Verurteilung wegen Vergehens im Sinne des Z 133 des Strafgesetzbuchs erfolgte<lb/> nicht, weil in dem Briefe des Oberamtmanns nicht eine zur amtlichen Aufbe¬<lb/> wahrung bestimmte oder einem Beamten amtlich übergebene Urkunde, sondern ein<lb/> Privatbrief gesehen wurde), es wurde aber in den Entscheidungsgründen ausdrück¬<lb/> lich hervorgehoben, daß der Angeklagte dem Schultheißen Fischer den diesem ge¬<lb/> hörigen Brief, also eine fremde bewegliche Sache, widerrechtlich weggenommen<lb/> habe, und daß die Freisprechung nur deswegen zu erfolgen habe, weil nicht genügend<lb/> dargethan sei, daß der Angeklagte die Absicht gehabt habe, die Sache sich bleibend<lb/> anzueignen. Es wurde zwar auf das gravireude Versälle» des Angeklagten hin¬<lb/> gewiesen, welches darin liege, daß er den Brief heimlich weggenommen und nicht<lb/> nur in der Voruntersuchung, sondern auch in eiuer öffentlichen Erklärung die<lb/> Wegnahme abgeleugnet habe, dann aber ausgeführt, daß uicht ausgeschlossen sei,<lb/> die Absicht des Angeklagten sei nur auf eine vorübergehende Benutzung des Schrift¬<lb/> stücks gerichtet gewesen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1184" next="#ID_1185"> Die erfolgte Freisprechung soll nun hier keiner Anfechtung unterzogen werden.<lb/> Aber schon aus ihrer Begründung ergiebt sich, daß es nur an dem zureichenden<lb/> Beweise der diebischen Absicht des Angeklagten gefehlt hat, um deuselben wegen<lb/> dieses Vergehens zu verurteilen, und man sollte deshalb meinen, der Angeklagte,<lb/> welcher sich einer dem Diebstahl sehr nahe kommenden, unter allen Umständen sehr<lb/> niedrigen Handlung schuldig gewacht hat, werde samt seiner Partei, welche keinen<lb/> Anstand genommen hat, das ihr auf einem solchen Wege zugegangene Material<lb/> zu verwerten, in gebührender Stille über diese unrühmlichen Thatsachen hinweg¬<lb/> zugehen suchen. Aber nein, jetzt wird nicht nur das Gebahren des Amtsuotars<lb/> Fehleisen als ein vollständig korrektes, seine Handlungsweise als eine rechtmäßige,<lb/> als die unerschrockene Erfüllung einer Bürgerpflicht hingestellt, sondern es wird<lb/> sogar der Regierung ein Vorwurf daraus gemacht, daß sie die gegen den braven<lb/> Notar erhobene Anklage nicht inhibirt habe. Der Stuttgarter „Beobachter" schreibt<lb/> in seiner Nummer vom 30. Juni d. J.i „Amtsnotar Fehleisen ist freigesprochen!<lb/> So meldet uns hocherfreut ein dortiger Mmerj Parteigenosse. Der Mann, der<lb/> den zufällig aufgefundnen s!j Wahlbeeinflussungsbrief des Oberamtmanns zur Kennt-</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0270]
Notizen,.
Die eingeleitete Untersuchung ergab, daß der Unbefugte ein Beamter war,
welcher an dem fraglichen Tage dienstlich in dem Amtszimmer des Schultheißen
beschäftigt gewesen war und die Sorglosigkeit des letztern dazu gemißbraucht hatte,
heimlich den Brief zu lesen, samt dem Kuvert in die Tasche zu schieben und
mitzunehmen. Dieser Beamte ist der Amtsnotar Fehlcisen von Langenau, ein
Anhänger der würtembergischen Volkspartei. Am 24. Oktober 1331 fand im
Gasthof zum Hirsch in Ulm eine von dem Wahlkomitee des Fabrikanten Hähnle,
des Gegners des konservativen Kandidaten, einberufene Versammlung statt, in welcher
der Notar Fehlcisen dem Vorstande des Komitees, dein Rechtsanwalt Freisleben
von Heidenheim, den entwendeten Brief samt Umschlag vorzeigte und denselben
eine Abschrift davon nehmen ließ, welche dieser sofort in dem Organ der Volks-
partei, dem Stuttgarter „Beobachter," abdrucken ließ und zur Anfechtung der
Wahl Rickerts in einer Eingabe an den Reichstag vom 22. November 1881 benutzte.
Wegen der von ihm begangenen Entwertung des mehrgenannten Briefes
und Kuverts hatte sich am 22. Juni d. I. der Notar Fehleisen vor der Straf¬
kammer des königlichen Landgerichts Ulm zu verantworten, und zwar lautete die
Anklage auf Diebstahl in idealer Konkurrenz mit dem Vergehen des §133 des
Strafgesetzbuchs (Beseitigung von Urkunden). Der Angeklagte wurde nun zwar
von der Strafkammer von der gegen ihn erhobenen Anklage freigesprochen (eine
Verurteilung wegen Vergehens im Sinne des Z 133 des Strafgesetzbuchs erfolgte
nicht, weil in dem Briefe des Oberamtmanns nicht eine zur amtlichen Aufbe¬
wahrung bestimmte oder einem Beamten amtlich übergebene Urkunde, sondern ein
Privatbrief gesehen wurde), es wurde aber in den Entscheidungsgründen ausdrück¬
lich hervorgehoben, daß der Angeklagte dem Schultheißen Fischer den diesem ge¬
hörigen Brief, also eine fremde bewegliche Sache, widerrechtlich weggenommen
habe, und daß die Freisprechung nur deswegen zu erfolgen habe, weil nicht genügend
dargethan sei, daß der Angeklagte die Absicht gehabt habe, die Sache sich bleibend
anzueignen. Es wurde zwar auf das gravireude Versälle» des Angeklagten hin¬
gewiesen, welches darin liege, daß er den Brief heimlich weggenommen und nicht
nur in der Voruntersuchung, sondern auch in eiuer öffentlichen Erklärung die
Wegnahme abgeleugnet habe, dann aber ausgeführt, daß uicht ausgeschlossen sei,
die Absicht des Angeklagten sei nur auf eine vorübergehende Benutzung des Schrift¬
stücks gerichtet gewesen.
Die erfolgte Freisprechung soll nun hier keiner Anfechtung unterzogen werden.
Aber schon aus ihrer Begründung ergiebt sich, daß es nur an dem zureichenden
Beweise der diebischen Absicht des Angeklagten gefehlt hat, um deuselben wegen
dieses Vergehens zu verurteilen, und man sollte deshalb meinen, der Angeklagte,
welcher sich einer dem Diebstahl sehr nahe kommenden, unter allen Umständen sehr
niedrigen Handlung schuldig gewacht hat, werde samt seiner Partei, welche keinen
Anstand genommen hat, das ihr auf einem solchen Wege zugegangene Material
zu verwerten, in gebührender Stille über diese unrühmlichen Thatsachen hinweg¬
zugehen suchen. Aber nein, jetzt wird nicht nur das Gebahren des Amtsuotars
Fehleisen als ein vollständig korrektes, seine Handlungsweise als eine rechtmäßige,
als die unerschrockene Erfüllung einer Bürgerpflicht hingestellt, sondern es wird
sogar der Regierung ein Vorwurf daraus gemacht, daß sie die gegen den braven
Notar erhobene Anklage nicht inhibirt habe. Der Stuttgarter „Beobachter" schreibt
in seiner Nummer vom 30. Juni d. J.i „Amtsnotar Fehleisen ist freigesprochen!
So meldet uns hocherfreut ein dortiger Mmerj Parteigenosse. Der Mann, der
den zufällig aufgefundnen s!j Wahlbeeinflussungsbrief des Oberamtmanns zur Kennt-
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