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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal.

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Die Grafen von Altenschwordt.

Bücherborden standen und durch das Alter ein ehrwürdiges Aussehen erlangt
hatten, schienen in ihrer Gelehrsamkeit einen Druck auf die Anwesenden auszuüben.

Der Baron nahm am obern Ende des mit grünem Tuche bedeckten Tisches
Platz, der Notar setzt sich zu seiner Linken, und die übrige Gesellschaft verteilte
sich, indem sie die Plätze am Tische selbst und in den Nischen der Fenster einnahm.

Unter erwartungsvollen Schweigen hielt dann der Baron eine Ansprache,
in welcher er der Aufgabe gedachte, welche dem Adel in einem wohlgeordneten
Staate zufalle, und zugleich die Bedeutung des Grundbesitzes für die Verteilung
der Machtfaktoren hervorhob. Er wies, indem er einen scharfen Blick auf seinen
Vetter Botho richtete, darauf hin, daß ein Adel, der sein eignes Interesse im
Auge habe, immer darauf bedacht sein müsse, sich unabhängig ebensowohl von
der' Negierung als von jeder Partei zu erhalten, indem er das Prinzip des
Königtums von Gottes Gnaden und das Prinzip der eignen nicht verliehenen,
sondern ererbten Rechtsstellung hochhalte und deshalb das Fundament seiner
Macht, den Grundbesitz, behaupte.

Alsdann gab er dem Notar einen Wink, das vom Baron Blasius Sextus
verfaßte Schriftstück zu verlesen.

Der alte Herr erschien den Anwesenden wie verjüngt, als er mit markiger
Stimme seine Rede hielt. Er trug den Kopf hoch, seine Augen leuchteten, und
das graue Haar verlieh ihm Würde. Voll Spannung und zum Teil mit bösen
Ahmingen sah man dem Inhalt des vergilbten, mit Siegeln beschwerten Akten¬
stückes entgegen.

Nur der Freiherr von Valdeghem, halb verborgen hinter dem grünen
Vorhang in einer tiefen Nische, ließ einen gleich giltigen und spöttischen Blick
über die Versammlung schweifen und spähte dann zu Gräfin Sibylle hinüber,
die zur Rechten des Barons Sextus mit untergeschlagenen Armen unbeweglich
und gerade vor sich hin sehend thronte.

Die Lektüre, welche der Notar in der trocknen, geschäftsmäßigen Weise
seines Berufs vornahm, that eine außerordentliche Wirkung; Baron Sextus
hätte sie sich nicht einschneidender vorstellen können. Nur mit Mühe ge¬
wann Baron Botho es über sich, bis zu Ende zuzuhören, und seine Gemahlin
zuckte wie elektrisirt auf ihrem Sitze und konnte die Äußerung ihrer Empörung
in einzelnen Rufen der Misbilligung und des Entsetzens nicht zurückhalten.
Beide erhoben sich samt ihren zwei Söhnen und drei Töchtern, feierlich legte
Baron Botho, bleich und verstört, Protest ein gegen eine solche Änderung der
ursprünglichen Familiengesetze und des allgemeinen fideikommissarischen Rechtes,
und dann schritt dieser Teil der Verwandtschaft gemeinsam ohne Gruß hinaus
und packte sofort die Koffer.

Unter den Zurückbleibenden erhob sich ein Sturm der Hin- und Widerrede.
Man draug in den Baron, seine Gründe zu solchem ungewöhnlichen Schritte
anzugeben, man bezweifelte die Rechtsgiltigkeit des Dokuments, arme Vettern,
welche rasch den Mantel zu drehen gelernt hatten, drängten sich an Gräfin
Sibylle und Dietrich heran, um ihnen aus aufrichtigem Herzen zu gratuliren,
und sowohl der Notar als Baron Sextus selbst wurden in ausführliche Erklä¬
rungen und Begründungen gegenüber zahlreichen Fragen und Einwürfen verwickelt.

Dietrich näherte sich mit unmutiger Miene seiner Mutter. Hältst du es
für passend, liebe Mama, fragte er mit zuckendem Munde, daß wir dabei bleiben,
wenn alle diese Leute sich wegen des Knochens herumbeißen, den wir davon¬
getragen haben?


Die Grafen von Altenschwordt.

Bücherborden standen und durch das Alter ein ehrwürdiges Aussehen erlangt
hatten, schienen in ihrer Gelehrsamkeit einen Druck auf die Anwesenden auszuüben.

Der Baron nahm am obern Ende des mit grünem Tuche bedeckten Tisches
Platz, der Notar setzt sich zu seiner Linken, und die übrige Gesellschaft verteilte
sich, indem sie die Plätze am Tische selbst und in den Nischen der Fenster einnahm.

Unter erwartungsvollen Schweigen hielt dann der Baron eine Ansprache,
in welcher er der Aufgabe gedachte, welche dem Adel in einem wohlgeordneten
Staate zufalle, und zugleich die Bedeutung des Grundbesitzes für die Verteilung
der Machtfaktoren hervorhob. Er wies, indem er einen scharfen Blick auf seinen
Vetter Botho richtete, darauf hin, daß ein Adel, der sein eignes Interesse im
Auge habe, immer darauf bedacht sein müsse, sich unabhängig ebensowohl von
der' Negierung als von jeder Partei zu erhalten, indem er das Prinzip des
Königtums von Gottes Gnaden und das Prinzip der eignen nicht verliehenen,
sondern ererbten Rechtsstellung hochhalte und deshalb das Fundament seiner
Macht, den Grundbesitz, behaupte.

Alsdann gab er dem Notar einen Wink, das vom Baron Blasius Sextus
verfaßte Schriftstück zu verlesen.

Der alte Herr erschien den Anwesenden wie verjüngt, als er mit markiger
Stimme seine Rede hielt. Er trug den Kopf hoch, seine Augen leuchteten, und
das graue Haar verlieh ihm Würde. Voll Spannung und zum Teil mit bösen
Ahmingen sah man dem Inhalt des vergilbten, mit Siegeln beschwerten Akten¬
stückes entgegen.

Nur der Freiherr von Valdeghem, halb verborgen hinter dem grünen
Vorhang in einer tiefen Nische, ließ einen gleich giltigen und spöttischen Blick
über die Versammlung schweifen und spähte dann zu Gräfin Sibylle hinüber,
die zur Rechten des Barons Sextus mit untergeschlagenen Armen unbeweglich
und gerade vor sich hin sehend thronte.

Die Lektüre, welche der Notar in der trocknen, geschäftsmäßigen Weise
seines Berufs vornahm, that eine außerordentliche Wirkung; Baron Sextus
hätte sie sich nicht einschneidender vorstellen können. Nur mit Mühe ge¬
wann Baron Botho es über sich, bis zu Ende zuzuhören, und seine Gemahlin
zuckte wie elektrisirt auf ihrem Sitze und konnte die Äußerung ihrer Empörung
in einzelnen Rufen der Misbilligung und des Entsetzens nicht zurückhalten.
Beide erhoben sich samt ihren zwei Söhnen und drei Töchtern, feierlich legte
Baron Botho, bleich und verstört, Protest ein gegen eine solche Änderung der
ursprünglichen Familiengesetze und des allgemeinen fideikommissarischen Rechtes,
und dann schritt dieser Teil der Verwandtschaft gemeinsam ohne Gruß hinaus
und packte sofort die Koffer.

Unter den Zurückbleibenden erhob sich ein Sturm der Hin- und Widerrede.
Man draug in den Baron, seine Gründe zu solchem ungewöhnlichen Schritte
anzugeben, man bezweifelte die Rechtsgiltigkeit des Dokuments, arme Vettern,
welche rasch den Mantel zu drehen gelernt hatten, drängten sich an Gräfin
Sibylle und Dietrich heran, um ihnen aus aufrichtigem Herzen zu gratuliren,
und sowohl der Notar als Baron Sextus selbst wurden in ausführliche Erklä¬
rungen und Begründungen gegenüber zahlreichen Fragen und Einwürfen verwickelt.

Dietrich näherte sich mit unmutiger Miene seiner Mutter. Hältst du es
für passend, liebe Mama, fragte er mit zuckendem Munde, daß wir dabei bleiben,
wenn alle diese Leute sich wegen des Knochens herumbeißen, den wir davon¬
getragen haben?


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_153446/268>, abgerufen am 05.12.2024.