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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal.

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Der Pariser Salon.

""gebeugt vo" der Last der Arbeit, welche ihre Muskel" stählt, nicht ihre"
Nacken "iederbe"ge. wandeln sie einher als die lebendige Verkörperung des Satzes,
daß die Arbeit mich glücklich macht, daß die Arbeit das Salz des Lebens ist.
Auf seinen neuesten Bildern, von denen der diesjährige Salon auch zwei aus¬
zuweisen hat, wählte Breton eine" kleinern Maßstab, indem er, sich enger an
die Art Mittels anschließend, Figuren von halber Lebensgröße in seine stimmungs-
vollen Landschaften setzte. "Der Morgen" -- ein Hirt und eine Hirtin bei Sonnen-
aufgang auf einem durch el" Flüßche" durchschnitte"?" Felde -- ist eine köstliche
Idylle voll reicher poetischer Empfindung. Mit Breton stirbt der letzte wirk¬
liche Dichter. Die Malereien jenes vom Minister so genannten "Poeten" Puvis
de Chavauues verhalten sich zu den seinigen wie eine mittelalterliche Reimchronik
zu einem lyrischen Gedichte Goethes.

Die Naturalisten der neuen Schule stehen zwischen Millet und Breton in
der Mitte. Sie schließen sich weder der finstern Absicht des einen noch der
Poetischen Auffassung des andern an, sondern beschränken sich darauf, die nackte
Wahrheit und nichts als die nackte Wahrheit zu schildern. Die Natur muß
vollständig entgöttert, aller ihrer Reize entkleidet werden. Ist ein Kohl- oder
Rübenfeld etwas poetisches? Nimmermehr. Ist eine Sense, eine Mistgabel
oder ein Heuwagen ein Gegenstand, auf welchen man Verse macht? Hier ist
uur die nüchternste Prosa am Ort, um der Bedeutung eines solchen Gegen-
standes gerecht zu werde". Eine sogenannte "poetische" Beleuchtung existirt nur
in der krankhaften Phantasie der Romantiker. Wenn der Bauer auf seinem
Felde arbeitet, wenn die Bäuerin ihren Kohl pflückt oder das Weisser aus dem
Brunnen schöpft, stehen sie in vollem Lichte, in nüchterner Helligkeit, von allen
Seiten gleichmüßig beleuchtet da. Der Himmel ist hell; soweit das Auge blickt,
ist alles hell, und die den Raum füllende Luft sieht man nicht, also existirt sie
auch nicht. Wenn man nach der Weise der ältern Maler starke Lichter und
starke Schatten zu Hilfe nimmt, ist das Malen eine Kleinigkeit. Aber ohne
diese bequemen Hilfsmittel im vollen Lichte <M xlsin -ur) zu malen, das ist ein
Kunststück, welches nicht jedermann zuwege bringt.

So peroriren die Jünger dieser neuen Richtung, welche sich von Jahr zu
Jahr immer mehr ausbreitet, welche mit stetig wachsendem Raffinement aus¬
gebildet und mit einer Beredtsamkeit von agitatorischer Kraft als die allein be¬
rechtigte proklamirt wird!




Der Pariser Salon.

»»gebeugt vo» der Last der Arbeit, welche ihre Muskel» stählt, nicht ihre»
Nacken »iederbe»ge. wandeln sie einher als die lebendige Verkörperung des Satzes,
daß die Arbeit mich glücklich macht, daß die Arbeit das Salz des Lebens ist.
Auf seinen neuesten Bildern, von denen der diesjährige Salon auch zwei aus¬
zuweisen hat, wählte Breton eine» kleinern Maßstab, indem er, sich enger an
die Art Mittels anschließend, Figuren von halber Lebensgröße in seine stimmungs-
vollen Landschaften setzte. „Der Morgen" — ein Hirt und eine Hirtin bei Sonnen-
aufgang auf einem durch el» Flüßche» durchschnitte»?» Felde — ist eine köstliche
Idylle voll reicher poetischer Empfindung. Mit Breton stirbt der letzte wirk¬
liche Dichter. Die Malereien jenes vom Minister so genannten „Poeten" Puvis
de Chavauues verhalten sich zu den seinigen wie eine mittelalterliche Reimchronik
zu einem lyrischen Gedichte Goethes.

Die Naturalisten der neuen Schule stehen zwischen Millet und Breton in
der Mitte. Sie schließen sich weder der finstern Absicht des einen noch der
Poetischen Auffassung des andern an, sondern beschränken sich darauf, die nackte
Wahrheit und nichts als die nackte Wahrheit zu schildern. Die Natur muß
vollständig entgöttert, aller ihrer Reize entkleidet werden. Ist ein Kohl- oder
Rübenfeld etwas poetisches? Nimmermehr. Ist eine Sense, eine Mistgabel
oder ein Heuwagen ein Gegenstand, auf welchen man Verse macht? Hier ist
uur die nüchternste Prosa am Ort, um der Bedeutung eines solchen Gegen-
standes gerecht zu werde». Eine sogenannte „poetische" Beleuchtung existirt nur
in der krankhaften Phantasie der Romantiker. Wenn der Bauer auf seinem
Felde arbeitet, wenn die Bäuerin ihren Kohl pflückt oder das Weisser aus dem
Brunnen schöpft, stehen sie in vollem Lichte, in nüchterner Helligkeit, von allen
Seiten gleichmüßig beleuchtet da. Der Himmel ist hell; soweit das Auge blickt,
ist alles hell, und die den Raum füllende Luft sieht man nicht, also existirt sie
auch nicht. Wenn man nach der Weise der ältern Maler starke Lichter und
starke Schatten zu Hilfe nimmt, ist das Malen eine Kleinigkeit. Aber ohne
diese bequemen Hilfsmittel im vollen Lichte <M xlsin -ur) zu malen, das ist ein
Kunststück, welches nicht jedermann zuwege bringt.

So peroriren die Jünger dieser neuen Richtung, welche sich von Jahr zu
Jahr immer mehr ausbreitet, welche mit stetig wachsendem Raffinement aus¬
gebildet und mit einer Beredtsamkeit von agitatorischer Kraft als die allein be¬
rechtigte proklamirt wird!




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[0207] Der Pariser Salon. »»gebeugt vo» der Last der Arbeit, welche ihre Muskel» stählt, nicht ihre» Nacken »iederbe»ge. wandeln sie einher als die lebendige Verkörperung des Satzes, daß die Arbeit mich glücklich macht, daß die Arbeit das Salz des Lebens ist. Auf seinen neuesten Bildern, von denen der diesjährige Salon auch zwei aus¬ zuweisen hat, wählte Breton eine» kleinern Maßstab, indem er, sich enger an die Art Mittels anschließend, Figuren von halber Lebensgröße in seine stimmungs- vollen Landschaften setzte. „Der Morgen" — ein Hirt und eine Hirtin bei Sonnen- aufgang auf einem durch el» Flüßche» durchschnitte»?» Felde — ist eine köstliche Idylle voll reicher poetischer Empfindung. Mit Breton stirbt der letzte wirk¬ liche Dichter. Die Malereien jenes vom Minister so genannten „Poeten" Puvis de Chavauues verhalten sich zu den seinigen wie eine mittelalterliche Reimchronik zu einem lyrischen Gedichte Goethes. Die Naturalisten der neuen Schule stehen zwischen Millet und Breton in der Mitte. Sie schließen sich weder der finstern Absicht des einen noch der Poetischen Auffassung des andern an, sondern beschränken sich darauf, die nackte Wahrheit und nichts als die nackte Wahrheit zu schildern. Die Natur muß vollständig entgöttert, aller ihrer Reize entkleidet werden. Ist ein Kohl- oder Rübenfeld etwas poetisches? Nimmermehr. Ist eine Sense, eine Mistgabel oder ein Heuwagen ein Gegenstand, auf welchen man Verse macht? Hier ist uur die nüchternste Prosa am Ort, um der Bedeutung eines solchen Gegen- standes gerecht zu werde». Eine sogenannte „poetische" Beleuchtung existirt nur in der krankhaften Phantasie der Romantiker. Wenn der Bauer auf seinem Felde arbeitet, wenn die Bäuerin ihren Kohl pflückt oder das Weisser aus dem Brunnen schöpft, stehen sie in vollem Lichte, in nüchterner Helligkeit, von allen Seiten gleichmüßig beleuchtet da. Der Himmel ist hell; soweit das Auge blickt, ist alles hell, und die den Raum füllende Luft sieht man nicht, also existirt sie auch nicht. Wenn man nach der Weise der ältern Maler starke Lichter und starke Schatten zu Hilfe nimmt, ist das Malen eine Kleinigkeit. Aber ohne diese bequemen Hilfsmittel im vollen Lichte <M xlsin -ur) zu malen, das ist ein Kunststück, welches nicht jedermann zuwege bringt. So peroriren die Jünger dieser neuen Richtung, welche sich von Jahr zu Jahr immer mehr ausbreitet, welche mit stetig wachsendem Raffinement aus¬ gebildet und mit einer Beredtsamkeit von agitatorischer Kraft als die allein be¬ rechtigte proklamirt wird!

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_153446/207>, abgerufen am 08.09.2024.