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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal.

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Der pariser Salon.

angeborne Vornehmheit, die traditionelle Eleganz des französischen Geistes
schützen die Kunst vor dem ungestümen Ansturm eines lärmenden Realismus.
Die allgemeine Tendenz ist im Gegenteil auf die Umbildung der vulgären Szene
durch das Streben nach Charakter und die sorgfältige Ausbildung des Kolorits
gerichtet. Nein, meine Herren, ich hege keine Besorgnis um das Ideal der
französischen Kunst. Um mich zu beruhigen, brauche ich nur dorthin zu blicken,
wohin sich aus freien Stücken Ihre freien Stimmen gewendet haben. Wenn
Sie die höchste Ihrer Auszeichnungen zu vergeben haben, sprechen Sie dieselbe
einem Realisten, einem Prosaiker zu? Nein, Ihre allgemeine Abstimmung sucht
den am wenigsten materialistischen aller Maler auf, den stolzesten, den bestän¬
digsten aller Paladine des Ideals, den Mann, welcher seit fünfundzwanzig
Jahren am wenigsten den vergänglichen Götzen des Tages geopfert hat, den
beharrlichen, aufrichtigen und überzeugungstreuen Dichter, Herrn Puvis de
Chavaunes. (Dreifache, vierfache Beifallssalve.) Die Aufrichtigkeit (ig, swosritö),
welcher der hervorstechende Charakterzug des Meisters ist, den Sie mit Beifall
begrüßen, die Aufrichtigkeit ist auch das einzige Pfand dauerhafter Erfolge."

Der Herr Minister würde sich vielleicht diplomatischer ausgedrückt haben,
wenn er die Physiognomie des Salons von 1883 hätte voraussehen können.
Die Anhänger der "Trivialität" sind unter der Führung von Baseler-Lepage
in hellen Hausen angerückt. Ihre "Aufrichtigkeit" ist so unanfechtbar, daß sie
uns an den lebensgroßen Bauernfiguren, die sie mitgebracht, nicht eine Runzel,
nicht einen schmutzigen Lappen erspart haben, und die "Idealisten" haben bei
der Abstimmung um die Ehrenmedaille eine Niederlage erlitten, welche sich durch
keine Ausflucht beschönigen läßt. Es hatte sich allmählich der Gebrauch ent¬
wickelt, daß die Ehrenmedaille nicht als Auszeichnung für ein bestimmtes Werk
des Salons betrachtet, sondern mit Rücksicht auf die gesamten Leistungen eines
Künstlers zuerkannt wird. Als Kandidaten für dieses Jahr wurden Hemmer, der
Maler von Nymphen, heiligen Männern und Frauen, deren nackte Leiber sich
in schummerigen Umrissen in das Abenddunkel verlieren, und Jules Lefebvre
genannt, der Maler allegorischer und mythologischer Frauengestalten, unter denen
die Wahrheit mit dem Spiegel in der erhobenen Rechten die bekannteste ge¬
worden ist. Bei der Abstimmung kam nur der letztere in Betracht. Aber er
erhielt nicht die erforderliche Stimmenzahl, und so blieb die Ehrenmedaille in
diesem Jahre unvergcben. Für seine diesjährige Arbeit, eine Psyche, welche,
mit dem verhängnisvollen Salbengefäße in der Hand, am felsigen Gestade des
Acheron in ängstlicher Spannung deu Nachen des Charon erwartet, hätte er sie
auch nicht verdient. Es ist eine blöde, süßliche Malerei, welche nicht mehr ent¬
fernt an die stolze Anmut und die siegesbewußte Schönheit der V6rit.6 von 1870
erinnert.

Man hatte erwartet, daß Baseler-Lepage, das Haupt der naturalistischen
Schule, unter den Kandidaten genannt werden würde. Aber in den Reihen der


Der pariser Salon.

angeborne Vornehmheit, die traditionelle Eleganz des französischen Geistes
schützen die Kunst vor dem ungestümen Ansturm eines lärmenden Realismus.
Die allgemeine Tendenz ist im Gegenteil auf die Umbildung der vulgären Szene
durch das Streben nach Charakter und die sorgfältige Ausbildung des Kolorits
gerichtet. Nein, meine Herren, ich hege keine Besorgnis um das Ideal der
französischen Kunst. Um mich zu beruhigen, brauche ich nur dorthin zu blicken,
wohin sich aus freien Stücken Ihre freien Stimmen gewendet haben. Wenn
Sie die höchste Ihrer Auszeichnungen zu vergeben haben, sprechen Sie dieselbe
einem Realisten, einem Prosaiker zu? Nein, Ihre allgemeine Abstimmung sucht
den am wenigsten materialistischen aller Maler auf, den stolzesten, den bestän¬
digsten aller Paladine des Ideals, den Mann, welcher seit fünfundzwanzig
Jahren am wenigsten den vergänglichen Götzen des Tages geopfert hat, den
beharrlichen, aufrichtigen und überzeugungstreuen Dichter, Herrn Puvis de
Chavaunes. (Dreifache, vierfache Beifallssalve.) Die Aufrichtigkeit (ig, swosritö),
welcher der hervorstechende Charakterzug des Meisters ist, den Sie mit Beifall
begrüßen, die Aufrichtigkeit ist auch das einzige Pfand dauerhafter Erfolge."

Der Herr Minister würde sich vielleicht diplomatischer ausgedrückt haben,
wenn er die Physiognomie des Salons von 1883 hätte voraussehen können.
Die Anhänger der „Trivialität" sind unter der Führung von Baseler-Lepage
in hellen Hausen angerückt. Ihre „Aufrichtigkeit" ist so unanfechtbar, daß sie
uns an den lebensgroßen Bauernfiguren, die sie mitgebracht, nicht eine Runzel,
nicht einen schmutzigen Lappen erspart haben, und die „Idealisten" haben bei
der Abstimmung um die Ehrenmedaille eine Niederlage erlitten, welche sich durch
keine Ausflucht beschönigen läßt. Es hatte sich allmählich der Gebrauch ent¬
wickelt, daß die Ehrenmedaille nicht als Auszeichnung für ein bestimmtes Werk
des Salons betrachtet, sondern mit Rücksicht auf die gesamten Leistungen eines
Künstlers zuerkannt wird. Als Kandidaten für dieses Jahr wurden Hemmer, der
Maler von Nymphen, heiligen Männern und Frauen, deren nackte Leiber sich
in schummerigen Umrissen in das Abenddunkel verlieren, und Jules Lefebvre
genannt, der Maler allegorischer und mythologischer Frauengestalten, unter denen
die Wahrheit mit dem Spiegel in der erhobenen Rechten die bekannteste ge¬
worden ist. Bei der Abstimmung kam nur der letztere in Betracht. Aber er
erhielt nicht die erforderliche Stimmenzahl, und so blieb die Ehrenmedaille in
diesem Jahre unvergcben. Für seine diesjährige Arbeit, eine Psyche, welche,
mit dem verhängnisvollen Salbengefäße in der Hand, am felsigen Gestade des
Acheron in ängstlicher Spannung deu Nachen des Charon erwartet, hätte er sie
auch nicht verdient. Es ist eine blöde, süßliche Malerei, welche nicht mehr ent¬
fernt an die stolze Anmut und die siegesbewußte Schönheit der V6rit.6 von 1870
erinnert.

Man hatte erwartet, daß Baseler-Lepage, das Haupt der naturalistischen
Schule, unter den Kandidaten genannt werden würde. Aber in den Reihen der


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[0205] Der pariser Salon. angeborne Vornehmheit, die traditionelle Eleganz des französischen Geistes schützen die Kunst vor dem ungestümen Ansturm eines lärmenden Realismus. Die allgemeine Tendenz ist im Gegenteil auf die Umbildung der vulgären Szene durch das Streben nach Charakter und die sorgfältige Ausbildung des Kolorits gerichtet. Nein, meine Herren, ich hege keine Besorgnis um das Ideal der französischen Kunst. Um mich zu beruhigen, brauche ich nur dorthin zu blicken, wohin sich aus freien Stücken Ihre freien Stimmen gewendet haben. Wenn Sie die höchste Ihrer Auszeichnungen zu vergeben haben, sprechen Sie dieselbe einem Realisten, einem Prosaiker zu? Nein, Ihre allgemeine Abstimmung sucht den am wenigsten materialistischen aller Maler auf, den stolzesten, den bestän¬ digsten aller Paladine des Ideals, den Mann, welcher seit fünfundzwanzig Jahren am wenigsten den vergänglichen Götzen des Tages geopfert hat, den beharrlichen, aufrichtigen und überzeugungstreuen Dichter, Herrn Puvis de Chavaunes. (Dreifache, vierfache Beifallssalve.) Die Aufrichtigkeit (ig, swosritö), welcher der hervorstechende Charakterzug des Meisters ist, den Sie mit Beifall begrüßen, die Aufrichtigkeit ist auch das einzige Pfand dauerhafter Erfolge." Der Herr Minister würde sich vielleicht diplomatischer ausgedrückt haben, wenn er die Physiognomie des Salons von 1883 hätte voraussehen können. Die Anhänger der „Trivialität" sind unter der Führung von Baseler-Lepage in hellen Hausen angerückt. Ihre „Aufrichtigkeit" ist so unanfechtbar, daß sie uns an den lebensgroßen Bauernfiguren, die sie mitgebracht, nicht eine Runzel, nicht einen schmutzigen Lappen erspart haben, und die „Idealisten" haben bei der Abstimmung um die Ehrenmedaille eine Niederlage erlitten, welche sich durch keine Ausflucht beschönigen läßt. Es hatte sich allmählich der Gebrauch ent¬ wickelt, daß die Ehrenmedaille nicht als Auszeichnung für ein bestimmtes Werk des Salons betrachtet, sondern mit Rücksicht auf die gesamten Leistungen eines Künstlers zuerkannt wird. Als Kandidaten für dieses Jahr wurden Hemmer, der Maler von Nymphen, heiligen Männern und Frauen, deren nackte Leiber sich in schummerigen Umrissen in das Abenddunkel verlieren, und Jules Lefebvre genannt, der Maler allegorischer und mythologischer Frauengestalten, unter denen die Wahrheit mit dem Spiegel in der erhobenen Rechten die bekannteste ge¬ worden ist. Bei der Abstimmung kam nur der letztere in Betracht. Aber er erhielt nicht die erforderliche Stimmenzahl, und so blieb die Ehrenmedaille in diesem Jahre unvergcben. Für seine diesjährige Arbeit, eine Psyche, welche, mit dem verhängnisvollen Salbengefäße in der Hand, am felsigen Gestade des Acheron in ängstlicher Spannung deu Nachen des Charon erwartet, hätte er sie auch nicht verdient. Es ist eine blöde, süßliche Malerei, welche nicht mehr ent¬ fernt an die stolze Anmut und die siegesbewußte Schönheit der V6rit.6 von 1870 erinnert. Man hatte erwartet, daß Baseler-Lepage, das Haupt der naturalistischen Schule, unter den Kandidaten genannt werden würde. Aber in den Reihen der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_153446/205>, abgerufen am 08.09.2024.