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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal.

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Die soziale Gesetzgebung.

gegenüber noch Zweifel dieser oder jener Art geltend zu machen. Man wird
die praktische Probe abwarten und dann nach Befinden weiter handeln müssen.

Das Gesetz hat aber zugleich deu Wert, daß es die Grundlage abgiebt
für eine weitergehende soziale Gesetzgebung. Es bildet gewissermaßen den Unter¬
bau, auf welchen als höheres Stockwerk nun das Unfallversicherungsgesetz sich
aufbauen läßt. Daß der Entwurf dieses letztern in der verflossenen Reichstags-
sessivu nicht zur vollen Bearbeitung gelaugt ist, können wir nicht beklagen- Die
Arbeit würde überstürzt worden sein. Wir hoffen zuversichtlich, daß in den
Kreisen des Reichstags die Ansichten über den Gegenstand sich mehr und mehr
klären werden. Wir halten es aber auch für einen glücklichen Umstand, daß
der Reichsregierung selbst nochmals Veranlassung gegeben ist, das Material zu
prüfen und nach Befinden anderweit zu gestalten. In aller Bescheidenheit
möchten wir für die einzuschlagende Richtung hier einige Andeutungen geben.

Der geplante Reichszuschuß zu dem Versicherungsfonds dürfte wohl nicht
aufrecht zu halten sein. Daß derselbe vom wirtschaftlichen Standpunkte aus
schwer zu verteidigen ist, wird wohl nirgends verkannt werden. Wir glauben
zwar den Gedanken zu verstehen, weshalb der Reichskanzler diesen Zuschuß
mit Lebhaftigkeit vertrat. Wir vermuten, daß er dadurch den zahlreichen Stand
der Arbeiter mit feinen Interessen an das Reich fesseln und so für den festen
Zusammenhalt des letztern einen neuen Kitt gewinnen wollte. Ob daher nicht
diejenigen Elemente des Reichstages, welchen der Bestand des Reiches nicht
minder am Herzen liegt, wohlgethan hätten, auf deu Gedanken einzugehen,
läßt sich ja fragen. Man hat aber, wie es scheint, den Gedanken garnicht in
dieser Bedeutung erfaßt und ihn deshalb allseitig von sich gewiesen. Bei dieser
Sachlage ist es nicht wünschenswert, daß derselbe von neuem ein Gegenstand
des Streites werde.

Dagegen sollten auch die Reichstagsparteien, welche die Sozialpolitik des
Reichskanzlers unterstützen wollen, den Gedanken einer Aufrechthaltung der
Privatversicherungsgesellschaften als Fundament des Gesetzes fallen lassen. Auch
wenn es nur für zweifelhaft zu halten wäre, ob das Gesetz auf dieses Fundament
mit Sicherheit gebaut werden könne, so müßte doch schon dieser Zweifel ge¬
nügen, um nicht einen Versuch zu wagen, dessen Mißlingen sich für den ganzen
Bau verhängnisvoll erweisen könnte. Dies umsomehr, als auch andrerseits
keine Interessen ans dem Spiele stehen, welche um jeden Preis geschont werden
müßten. Hätten die Gesellschaften Kapitalien in großen Betriebsanlagen fest¬
gelegt, welche durch Einstellung ihres Betriebes entwertet würden, dann könnte
man wohl die Frage erheben, ob es sich rechtfertige, solche Stücke des Volks¬
vermögens brachzulegen. Mit großen Betriebsanlagen arbeiten aber die Ver¬
sicherungsgesellschaften nicht. Es handelt sich bei ihnen einfach um die Frage,
ob sie einen gewinnbringenden Geschäftsbetrieb, für welchen es besondrer
Anlagen nicht bedarf, fortsetzen sollen. Von einem positiven Schaden, den sie


Die soziale Gesetzgebung.

gegenüber noch Zweifel dieser oder jener Art geltend zu machen. Man wird
die praktische Probe abwarten und dann nach Befinden weiter handeln müssen.

Das Gesetz hat aber zugleich deu Wert, daß es die Grundlage abgiebt
für eine weitergehende soziale Gesetzgebung. Es bildet gewissermaßen den Unter¬
bau, auf welchen als höheres Stockwerk nun das Unfallversicherungsgesetz sich
aufbauen läßt. Daß der Entwurf dieses letztern in der verflossenen Reichstags-
sessivu nicht zur vollen Bearbeitung gelaugt ist, können wir nicht beklagen- Die
Arbeit würde überstürzt worden sein. Wir hoffen zuversichtlich, daß in den
Kreisen des Reichstags die Ansichten über den Gegenstand sich mehr und mehr
klären werden. Wir halten es aber auch für einen glücklichen Umstand, daß
der Reichsregierung selbst nochmals Veranlassung gegeben ist, das Material zu
prüfen und nach Befinden anderweit zu gestalten. In aller Bescheidenheit
möchten wir für die einzuschlagende Richtung hier einige Andeutungen geben.

Der geplante Reichszuschuß zu dem Versicherungsfonds dürfte wohl nicht
aufrecht zu halten sein. Daß derselbe vom wirtschaftlichen Standpunkte aus
schwer zu verteidigen ist, wird wohl nirgends verkannt werden. Wir glauben
zwar den Gedanken zu verstehen, weshalb der Reichskanzler diesen Zuschuß
mit Lebhaftigkeit vertrat. Wir vermuten, daß er dadurch den zahlreichen Stand
der Arbeiter mit feinen Interessen an das Reich fesseln und so für den festen
Zusammenhalt des letztern einen neuen Kitt gewinnen wollte. Ob daher nicht
diejenigen Elemente des Reichstages, welchen der Bestand des Reiches nicht
minder am Herzen liegt, wohlgethan hätten, auf deu Gedanken einzugehen,
läßt sich ja fragen. Man hat aber, wie es scheint, den Gedanken garnicht in
dieser Bedeutung erfaßt und ihn deshalb allseitig von sich gewiesen. Bei dieser
Sachlage ist es nicht wünschenswert, daß derselbe von neuem ein Gegenstand
des Streites werde.

Dagegen sollten auch die Reichstagsparteien, welche die Sozialpolitik des
Reichskanzlers unterstützen wollen, den Gedanken einer Aufrechthaltung der
Privatversicherungsgesellschaften als Fundament des Gesetzes fallen lassen. Auch
wenn es nur für zweifelhaft zu halten wäre, ob das Gesetz auf dieses Fundament
mit Sicherheit gebaut werden könne, so müßte doch schon dieser Zweifel ge¬
nügen, um nicht einen Versuch zu wagen, dessen Mißlingen sich für den ganzen
Bau verhängnisvoll erweisen könnte. Dies umsomehr, als auch andrerseits
keine Interessen ans dem Spiele stehen, welche um jeden Preis geschont werden
müßten. Hätten die Gesellschaften Kapitalien in großen Betriebsanlagen fest¬
gelegt, welche durch Einstellung ihres Betriebes entwertet würden, dann könnte
man wohl die Frage erheben, ob es sich rechtfertige, solche Stücke des Volks¬
vermögens brachzulegen. Mit großen Betriebsanlagen arbeiten aber die Ver¬
sicherungsgesellschaften nicht. Es handelt sich bei ihnen einfach um die Frage,
ob sie einen gewinnbringenden Geschäftsbetrieb, für welchen es besondrer
Anlagen nicht bedarf, fortsetzen sollen. Von einem positiven Schaden, den sie


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[0178] Die soziale Gesetzgebung. gegenüber noch Zweifel dieser oder jener Art geltend zu machen. Man wird die praktische Probe abwarten und dann nach Befinden weiter handeln müssen. Das Gesetz hat aber zugleich deu Wert, daß es die Grundlage abgiebt für eine weitergehende soziale Gesetzgebung. Es bildet gewissermaßen den Unter¬ bau, auf welchen als höheres Stockwerk nun das Unfallversicherungsgesetz sich aufbauen läßt. Daß der Entwurf dieses letztern in der verflossenen Reichstags- sessivu nicht zur vollen Bearbeitung gelaugt ist, können wir nicht beklagen- Die Arbeit würde überstürzt worden sein. Wir hoffen zuversichtlich, daß in den Kreisen des Reichstags die Ansichten über den Gegenstand sich mehr und mehr klären werden. Wir halten es aber auch für einen glücklichen Umstand, daß der Reichsregierung selbst nochmals Veranlassung gegeben ist, das Material zu prüfen und nach Befinden anderweit zu gestalten. In aller Bescheidenheit möchten wir für die einzuschlagende Richtung hier einige Andeutungen geben. Der geplante Reichszuschuß zu dem Versicherungsfonds dürfte wohl nicht aufrecht zu halten sein. Daß derselbe vom wirtschaftlichen Standpunkte aus schwer zu verteidigen ist, wird wohl nirgends verkannt werden. Wir glauben zwar den Gedanken zu verstehen, weshalb der Reichskanzler diesen Zuschuß mit Lebhaftigkeit vertrat. Wir vermuten, daß er dadurch den zahlreichen Stand der Arbeiter mit feinen Interessen an das Reich fesseln und so für den festen Zusammenhalt des letztern einen neuen Kitt gewinnen wollte. Ob daher nicht diejenigen Elemente des Reichstages, welchen der Bestand des Reiches nicht minder am Herzen liegt, wohlgethan hätten, auf deu Gedanken einzugehen, läßt sich ja fragen. Man hat aber, wie es scheint, den Gedanken garnicht in dieser Bedeutung erfaßt und ihn deshalb allseitig von sich gewiesen. Bei dieser Sachlage ist es nicht wünschenswert, daß derselbe von neuem ein Gegenstand des Streites werde. Dagegen sollten auch die Reichstagsparteien, welche die Sozialpolitik des Reichskanzlers unterstützen wollen, den Gedanken einer Aufrechthaltung der Privatversicherungsgesellschaften als Fundament des Gesetzes fallen lassen. Auch wenn es nur für zweifelhaft zu halten wäre, ob das Gesetz auf dieses Fundament mit Sicherheit gebaut werden könne, so müßte doch schon dieser Zweifel ge¬ nügen, um nicht einen Versuch zu wagen, dessen Mißlingen sich für den ganzen Bau verhängnisvoll erweisen könnte. Dies umsomehr, als auch andrerseits keine Interessen ans dem Spiele stehen, welche um jeden Preis geschont werden müßten. Hätten die Gesellschaften Kapitalien in großen Betriebsanlagen fest¬ gelegt, welche durch Einstellung ihres Betriebes entwertet würden, dann könnte man wohl die Frage erheben, ob es sich rechtfertige, solche Stücke des Volks¬ vermögens brachzulegen. Mit großen Betriebsanlagen arbeiten aber die Ver¬ sicherungsgesellschaften nicht. Es handelt sich bei ihnen einfach um die Frage, ob sie einen gewinnbringenden Geschäftsbetrieb, für welchen es besondrer Anlagen nicht bedarf, fortsetzen sollen. Von einem positiven Schaden, den sie

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_153446/178>, abgerufen am 08.09.2024.