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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal.

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Die Franzosen in Madagaskar.

gewissen Instinkten und Fähigkeiten des angelsächsischen Volkes entsprungen.
Es ist allerdings wahr, wir haben uns die Zuneigung unsrer Vettern im Westen
für lauge Zeit entfremdet, und wir haben uns niemals die Liebe unsrer keltischen
Landsleute daheim zu erwerben gewußt. Wenn aber unser Einfluß, unser
Interesse und unsre Sprache fast in allen überseeischen Ländern herrschen, wenn
wir dort allenthalben kaufen und verkaufen, pflanzen, säen und ernten, erforschen,
kämpfen, bekehren und belehren, vor allem aber Profit einstreiche", so ist das
vielleicht Bestimmung des Schicksals, gewiß aber Folge unsrer Arbeitskraft,
unsrer Ausdauer und unsrer kaufmännischen Anschlägigkeit, nicht aber Resultat
politischer Weisheit und Überlegung, kurz nichts Gemachtes und Erdachtes,
sondern etwas naturgemäß Gewordenes.

Kann Frankreich das Kolonialreich, welches nach der bisherigen Erfahrung
nur durch die harte Arbeit von Leuten zu bauen ist, die bereit sind, ihr halbes
Leben in den Mühen und Entbehrungen und in der Vereinsamung eines frei¬
willigen Exils zu verbringen, durch Dekrete schaffen, so Wollen wir nicht neidisch
darüber grollen. Die Thatsachen werden ja bald sprechen. Inzwischen aber
mögen die Franzosen nicht vergessen, daß eine Zeit kommen kaun, wo es einer
französischen Regierung außerordentlich schwer fallen würde, angesichts einer
europäischen Krisis ihren Gewinnst jenseits der Meere festzuhalten.

So etwa jetzt die englische Meinung. Indem wir nun nach Madagaskar
zurückkehren, geben wir zunächst genauer als in früheren Aufsätzen die That¬
sachen an, auf welche die Franzosen die Ansprüche gründen, die sie jetzt dort
geltend zu machen versuchen, um noch einige interessante Notizen über die von
ihnen besetzten Orte folgen zu lassen.

Schon in den ersten Jahren des vierzehnten Jahrhunderts besuchten Schiffer
aus Dieppe in der Normandie wiederholt die Küsten von Madagaskar. Aber
erst Richelieu befahl (1642) die offizielle Besitznahme der Insel von selten Frank¬
reichs. Die 8c>vise,6 as l'Orione erhielt das Privilegium, sich in Madagaskar
niederzulassen, dort Ansiedelungen anzulegen und den Handel mit der Bevöl¬
kerung zu eröffnen. Ludwig der Vierzehnte bestätigte 1643, was sein Vater
befohlen hatte. Der Agent der genannten Gesellschaft landete zuerst in Manfiata;
da jedoch das Küstenfieber die französischen Ansiedler dezimirte, so wurde die
Niederlassung auf die Halbinsel von Tholangar verlegt, wo man auf einer
Hochebne, welche die Rhede beherrschte, das Fort Dauphin anlegte. Dem ersten
Agenten Promis folgte 1648 ein gewisser Flacourt. Aber der Ansiedlungs-
versuch mißlang infolge der schlechten Aufführung der Direktoren, sowie der
Uneinigkeit der Kolonisten und ihrer abscheulichen Behandlung der Eingebornen
so vollständig, daß die Kolonie nach wenigen Jahren aufgegeben werden mußte.
1664 nahm Colbert den Gedanken einer ostindischen Gesellschaft wieder auf,
und das Edikt, melches dieselbe konzessionirte, verlieh der neuen Gründung die
Rechte unbeschränkter Gerechtigkeitspflege, Herrschaft und Souvercmetcit über


Die Franzosen in Madagaskar.

gewissen Instinkten und Fähigkeiten des angelsächsischen Volkes entsprungen.
Es ist allerdings wahr, wir haben uns die Zuneigung unsrer Vettern im Westen
für lauge Zeit entfremdet, und wir haben uns niemals die Liebe unsrer keltischen
Landsleute daheim zu erwerben gewußt. Wenn aber unser Einfluß, unser
Interesse und unsre Sprache fast in allen überseeischen Ländern herrschen, wenn
wir dort allenthalben kaufen und verkaufen, pflanzen, säen und ernten, erforschen,
kämpfen, bekehren und belehren, vor allem aber Profit einstreiche», so ist das
vielleicht Bestimmung des Schicksals, gewiß aber Folge unsrer Arbeitskraft,
unsrer Ausdauer und unsrer kaufmännischen Anschlägigkeit, nicht aber Resultat
politischer Weisheit und Überlegung, kurz nichts Gemachtes und Erdachtes,
sondern etwas naturgemäß Gewordenes.

Kann Frankreich das Kolonialreich, welches nach der bisherigen Erfahrung
nur durch die harte Arbeit von Leuten zu bauen ist, die bereit sind, ihr halbes
Leben in den Mühen und Entbehrungen und in der Vereinsamung eines frei¬
willigen Exils zu verbringen, durch Dekrete schaffen, so Wollen wir nicht neidisch
darüber grollen. Die Thatsachen werden ja bald sprechen. Inzwischen aber
mögen die Franzosen nicht vergessen, daß eine Zeit kommen kaun, wo es einer
französischen Regierung außerordentlich schwer fallen würde, angesichts einer
europäischen Krisis ihren Gewinnst jenseits der Meere festzuhalten.

So etwa jetzt die englische Meinung. Indem wir nun nach Madagaskar
zurückkehren, geben wir zunächst genauer als in früheren Aufsätzen die That¬
sachen an, auf welche die Franzosen die Ansprüche gründen, die sie jetzt dort
geltend zu machen versuchen, um noch einige interessante Notizen über die von
ihnen besetzten Orte folgen zu lassen.

Schon in den ersten Jahren des vierzehnten Jahrhunderts besuchten Schiffer
aus Dieppe in der Normandie wiederholt die Küsten von Madagaskar. Aber
erst Richelieu befahl (1642) die offizielle Besitznahme der Insel von selten Frank¬
reichs. Die 8c>vise,6 as l'Orione erhielt das Privilegium, sich in Madagaskar
niederzulassen, dort Ansiedelungen anzulegen und den Handel mit der Bevöl¬
kerung zu eröffnen. Ludwig der Vierzehnte bestätigte 1643, was sein Vater
befohlen hatte. Der Agent der genannten Gesellschaft landete zuerst in Manfiata;
da jedoch das Küstenfieber die französischen Ansiedler dezimirte, so wurde die
Niederlassung auf die Halbinsel von Tholangar verlegt, wo man auf einer
Hochebne, welche die Rhede beherrschte, das Fort Dauphin anlegte. Dem ersten
Agenten Promis folgte 1648 ein gewisser Flacourt. Aber der Ansiedlungs-
versuch mißlang infolge der schlechten Aufführung der Direktoren, sowie der
Uneinigkeit der Kolonisten und ihrer abscheulichen Behandlung der Eingebornen
so vollständig, daß die Kolonie nach wenigen Jahren aufgegeben werden mußte.
1664 nahm Colbert den Gedanken einer ostindischen Gesellschaft wieder auf,
und das Edikt, melches dieselbe konzessionirte, verlieh der neuen Gründung die
Rechte unbeschränkter Gerechtigkeitspflege, Herrschaft und Souvercmetcit über


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[0156] Die Franzosen in Madagaskar. gewissen Instinkten und Fähigkeiten des angelsächsischen Volkes entsprungen. Es ist allerdings wahr, wir haben uns die Zuneigung unsrer Vettern im Westen für lauge Zeit entfremdet, und wir haben uns niemals die Liebe unsrer keltischen Landsleute daheim zu erwerben gewußt. Wenn aber unser Einfluß, unser Interesse und unsre Sprache fast in allen überseeischen Ländern herrschen, wenn wir dort allenthalben kaufen und verkaufen, pflanzen, säen und ernten, erforschen, kämpfen, bekehren und belehren, vor allem aber Profit einstreiche», so ist das vielleicht Bestimmung des Schicksals, gewiß aber Folge unsrer Arbeitskraft, unsrer Ausdauer und unsrer kaufmännischen Anschlägigkeit, nicht aber Resultat politischer Weisheit und Überlegung, kurz nichts Gemachtes und Erdachtes, sondern etwas naturgemäß Gewordenes. Kann Frankreich das Kolonialreich, welches nach der bisherigen Erfahrung nur durch die harte Arbeit von Leuten zu bauen ist, die bereit sind, ihr halbes Leben in den Mühen und Entbehrungen und in der Vereinsamung eines frei¬ willigen Exils zu verbringen, durch Dekrete schaffen, so Wollen wir nicht neidisch darüber grollen. Die Thatsachen werden ja bald sprechen. Inzwischen aber mögen die Franzosen nicht vergessen, daß eine Zeit kommen kaun, wo es einer französischen Regierung außerordentlich schwer fallen würde, angesichts einer europäischen Krisis ihren Gewinnst jenseits der Meere festzuhalten. So etwa jetzt die englische Meinung. Indem wir nun nach Madagaskar zurückkehren, geben wir zunächst genauer als in früheren Aufsätzen die That¬ sachen an, auf welche die Franzosen die Ansprüche gründen, die sie jetzt dort geltend zu machen versuchen, um noch einige interessante Notizen über die von ihnen besetzten Orte folgen zu lassen. Schon in den ersten Jahren des vierzehnten Jahrhunderts besuchten Schiffer aus Dieppe in der Normandie wiederholt die Küsten von Madagaskar. Aber erst Richelieu befahl (1642) die offizielle Besitznahme der Insel von selten Frank¬ reichs. Die 8c>vise,6 as l'Orione erhielt das Privilegium, sich in Madagaskar niederzulassen, dort Ansiedelungen anzulegen und den Handel mit der Bevöl¬ kerung zu eröffnen. Ludwig der Vierzehnte bestätigte 1643, was sein Vater befohlen hatte. Der Agent der genannten Gesellschaft landete zuerst in Manfiata; da jedoch das Küstenfieber die französischen Ansiedler dezimirte, so wurde die Niederlassung auf die Halbinsel von Tholangar verlegt, wo man auf einer Hochebne, welche die Rhede beherrschte, das Fort Dauphin anlegte. Dem ersten Agenten Promis folgte 1648 ein gewisser Flacourt. Aber der Ansiedlungs- versuch mißlang infolge der schlechten Aufführung der Direktoren, sowie der Uneinigkeit der Kolonisten und ihrer abscheulichen Behandlung der Eingebornen so vollständig, daß die Kolonie nach wenigen Jahren aufgegeben werden mußte. 1664 nahm Colbert den Gedanken einer ostindischen Gesellschaft wieder auf, und das Edikt, melches dieselbe konzessionirte, verlieh der neuen Gründung die Rechte unbeschränkter Gerechtigkeitspflege, Herrschaft und Souvercmetcit über

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_153446/156>, abgerufen am 08.09.2024.