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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal.

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Jllustrirte prachtwerke des ^5. und ^6. Jahrhunderts.

in der Allerheiligen- oder Stiftskirche in Wittenberg aufbewahrten Heiligtümer
vorführt. 1521 illustrirte er das "Passional Christi und Antichristi", worin
Luther die Demut des Erlösers und das übermütige Treiben des Statthalters
Christi auf Erden einander gegenübergestellt hatte. Seit dem Jahre 1522,
als Luther seine Bibelübersetzung veröffentlichte, hatten die Wittenberger Künstler,
die sich in Cranachs Werkstatt in großer Anzahl zusammenfanden, vollauf zu
thun, die für die verschiedenen Ausgaben des Neuen und Alten Testaments
nötigen Illustrationen zu liefern.

Gewissermaßen das Widerspiel von Wittenberg war Köln, wo die von
der katholischen Kirche als Gegengift gegen die Luthersche Bibelübersetzung ver¬
anstaltete Übersetzung des Hieronymus Emser mit den vorzüglichen Illustrationen
des Anton von Worms erschien. Ein Gegenstück zu Lucas Cranachs Witten¬
berger Heiligtumsbuch endlich bildet das Hallische Heiligtumsbüchlein, welches der
kunstsinnige Markgraf Albrecht von Brandenburg durch seinen Hofmaler Mathias
Grünewald anfertigen ließ und welches uns in 234 Holzschnitten die in der Stifts¬
kirche zu Halle bewahrten Reliquien vor Augen bringt.

Mit einem eigentümlich wehmütigen Gefühl betrachtet man diese Werke
der Frührenaissance. Jeder, der nach ihnen ein modernes Jllustrationswerk
zur Hand nimmt, wird sich einer Anwandlung von Übelkeit nicht erwehren
können. Wie aus einem Gusse tritt uns ein solches altes Buch entgegen. Mit
stilvollen, ungeschnörlelten Typen ist es gedruckt; reiche Randleisten und Initialen
erfreuen das Auge; das herrliche Büttenpapier hat unverwüstlich dem Zahne
der Jahrhunderte getrotzt, und die keuschen, vom Künstler liebevoll ausgeführten
Bilder krönen das Ganze. Schon in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts
behauptete sich das deutsche Illustrationswesen nicht mehr aus solcher Höhe, im
17. und 18. Jahrhundert sank es noch tiefer. Wir aber, die wir es zu neuer Blüte em¬
porzubringen suchen, wie wenig haben wir bis jetzt von den alten Buchdruckern
und Künstlern zu lernen gewußt! "Wer vieles bringt, wird manchem etwas
bringen" -- das ist im allgemeinen unser Wahlspruch. Unsre Prachtwerke
leiden mit wenigen Ausnahmen an einer aufdringlichen Masse von Bildern,
fast keines macht den Eindruck eines künstlerischen Ganzen, da es nie von
einem tüchtigen Meister, sondern stets von einem ganzen Schwarm "erster
deutscher Künstler" illustrirt ist. Halten wir Maß in der Anzahl der bei¬
zugebenden Bilder und achten wir darauf, daß dieselben einen möglichst einheit¬
lichen Charakter haben! Wählen wir den reinsten ornamentalen Schmuck, die
stilvollsten Typen und das beste Papier! Nur dann können wir hoffen, daß
eins oder das andre unsrer Prachtwerke für das 19. Jahrhundert das werde,
was die Bücher der Frührenaissance für das 16. in so glänzender Weise ge¬
worden sind, ein nionurasntulli pgrermius.




Jllustrirte prachtwerke des ^5. und ^6. Jahrhunderts.

in der Allerheiligen- oder Stiftskirche in Wittenberg aufbewahrten Heiligtümer
vorführt. 1521 illustrirte er das „Passional Christi und Antichristi", worin
Luther die Demut des Erlösers und das übermütige Treiben des Statthalters
Christi auf Erden einander gegenübergestellt hatte. Seit dem Jahre 1522,
als Luther seine Bibelübersetzung veröffentlichte, hatten die Wittenberger Künstler,
die sich in Cranachs Werkstatt in großer Anzahl zusammenfanden, vollauf zu
thun, die für die verschiedenen Ausgaben des Neuen und Alten Testaments
nötigen Illustrationen zu liefern.

Gewissermaßen das Widerspiel von Wittenberg war Köln, wo die von
der katholischen Kirche als Gegengift gegen die Luthersche Bibelübersetzung ver¬
anstaltete Übersetzung des Hieronymus Emser mit den vorzüglichen Illustrationen
des Anton von Worms erschien. Ein Gegenstück zu Lucas Cranachs Witten¬
berger Heiligtumsbuch endlich bildet das Hallische Heiligtumsbüchlein, welches der
kunstsinnige Markgraf Albrecht von Brandenburg durch seinen Hofmaler Mathias
Grünewald anfertigen ließ und welches uns in 234 Holzschnitten die in der Stifts¬
kirche zu Halle bewahrten Reliquien vor Augen bringt.

Mit einem eigentümlich wehmütigen Gefühl betrachtet man diese Werke
der Frührenaissance. Jeder, der nach ihnen ein modernes Jllustrationswerk
zur Hand nimmt, wird sich einer Anwandlung von Übelkeit nicht erwehren
können. Wie aus einem Gusse tritt uns ein solches altes Buch entgegen. Mit
stilvollen, ungeschnörlelten Typen ist es gedruckt; reiche Randleisten und Initialen
erfreuen das Auge; das herrliche Büttenpapier hat unverwüstlich dem Zahne
der Jahrhunderte getrotzt, und die keuschen, vom Künstler liebevoll ausgeführten
Bilder krönen das Ganze. Schon in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts
behauptete sich das deutsche Illustrationswesen nicht mehr aus solcher Höhe, im
17. und 18. Jahrhundert sank es noch tiefer. Wir aber, die wir es zu neuer Blüte em¬
porzubringen suchen, wie wenig haben wir bis jetzt von den alten Buchdruckern
und Künstlern zu lernen gewußt! „Wer vieles bringt, wird manchem etwas
bringen" — das ist im allgemeinen unser Wahlspruch. Unsre Prachtwerke
leiden mit wenigen Ausnahmen an einer aufdringlichen Masse von Bildern,
fast keines macht den Eindruck eines künstlerischen Ganzen, da es nie von
einem tüchtigen Meister, sondern stets von einem ganzen Schwarm „erster
deutscher Künstler" illustrirt ist. Halten wir Maß in der Anzahl der bei¬
zugebenden Bilder und achten wir darauf, daß dieselben einen möglichst einheit¬
lichen Charakter haben! Wählen wir den reinsten ornamentalen Schmuck, die
stilvollsten Typen und das beste Papier! Nur dann können wir hoffen, daß
eins oder das andre unsrer Prachtwerke für das 19. Jahrhundert das werde,
was die Bücher der Frührenaissance für das 16. in so glänzender Weise ge¬
worden sind, ein nionurasntulli pgrermius.




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_153446/152>, abgerufen am 08.09.2024.