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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal.

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Ans dem Schuldbuche der Fortschrittspartei.

Duncker u. Co.j jenes Vertrauen fehlt, so fehlt eben diesen Männern das Ver¬
trauen des Volkes, es fehlt ihnen die Macht, in die Gemüter der Nation jene
vorwärts treibenden Gedanken zu werfen, die diesen Staat zu dem gemacht
haben, was er heute ist. . . Ich glaube nicht, daß die künftige Geschichte den
heutigen Ministerpräsidenten unter die wahrhaften Gründer und Förderer des
preußischen Staates in der fortschreitenden Entwicklung seiner wirklichen historischen
Mission einzeichnen wird. Dazu gehen ihm jene Eigenschaften ab, welche ich
mir vorhin zu schildern erlaubt habe."

Als im Mai 1865 das Militärgesetz wieder im Abgeordnetenhause be¬
raten wurde, bemerkte der Abgeordnete Simson in Betreff des Gedankens einer
Annexion der Herzogtümer an Preußen: "Das ist eine Politik, die ich aus der
Tiefe meiner Seele verabscheue. Wer ohne oder wider den Willen der verfassungs¬
mäßigen Vertreter des Schleswig-holsteinischen Volkes es unter die preußische oder
irgend eine andre Gewalt beugen will, der versündigt sich an dem Genius
unsrer Nation. Es ist mir ganz gleich, ob dabei ein liberales oder ein re¬
aktionäres Preußen durch seine jeweilige Regierung vertreten wird, ob die
Trauben süß oder sauer sind, es sind nach meinen Gedanken überhaupt gar
keine Trauben, es sind Giftbeeren, zu deren Verschluckung man uns dabei ver¬
führen möchte."

Bei derselben Debatte ließ der Abgeordnete Gneist sich zu der Erklärung
hinreißen: "Diese Reorganisation mit dem Kainszeichen des Eidbruchs an
der Stirn, die reorgunisirte Armee ans dem Boden des Verfassungsbruches
wäre doch sicher eine Armee, die nun und nimmermehr eine dauernde Institution
dieses Landes werden kann, solange eine göttliche Gerechtigkeit über diesem Lande
waltet." Er mußte sich daraus vom Kriegsminister bemerken lassen, daß "seine
Äußerung den Stempel der Überhebung und der Unverschämtheit an der Stirne
trage."

Als sich im Mai 1866 der Streit um Schleswig-Holstein zu einem Kampfe
zwischen Preußen auf der einen und Österreich samt der Mehrzahl der deutschen Klein¬
staaten auf der andern Seite zuzuspitzen begann, war der Landtag Preußens nicht
versammelt, aber die Partei, die in ihm die Jahre daher das Wort geführt hatte,
war bei der Hand, um vom Standpunkte der Demokratie mit möglichst lautem Ge¬
töse gegen einen etwaigen Krieg zu protestieren. In Berlin geschah dies von seiten
der Urwühlerversammlungcn, die immer nach der Parole verfuhren, welche ihnen
aus dem Hauptquartier der Fortschrittler zukam. Versammlungen in allen vier
Wahlbezirken sprachen sich in energischen Resolutionen gegen den Krieg sowie gegen
die Einverleibung der Herzogtümer in Preußen aus. Am kräftigsten drückte sich
dabei die im zweiten Wahlbezirke aus. Dieselbe belehrte Bismarck in folgenden
Sätzen über das, was dermalen Rechtens: "1. Jeder Krieg, der andres bezweckt
als die Verteidigung des Vaterlandes, ist unberechtigt und unsittlich. 2. Preußen
und Osterreich haben durch die gemeinsam vollführte Befreiung Schleswig-


Ans dem Schuldbuche der Fortschrittspartei.

Duncker u. Co.j jenes Vertrauen fehlt, so fehlt eben diesen Männern das Ver¬
trauen des Volkes, es fehlt ihnen die Macht, in die Gemüter der Nation jene
vorwärts treibenden Gedanken zu werfen, die diesen Staat zu dem gemacht
haben, was er heute ist. . . Ich glaube nicht, daß die künftige Geschichte den
heutigen Ministerpräsidenten unter die wahrhaften Gründer und Förderer des
preußischen Staates in der fortschreitenden Entwicklung seiner wirklichen historischen
Mission einzeichnen wird. Dazu gehen ihm jene Eigenschaften ab, welche ich
mir vorhin zu schildern erlaubt habe."

Als im Mai 1865 das Militärgesetz wieder im Abgeordnetenhause be¬
raten wurde, bemerkte der Abgeordnete Simson in Betreff des Gedankens einer
Annexion der Herzogtümer an Preußen: „Das ist eine Politik, die ich aus der
Tiefe meiner Seele verabscheue. Wer ohne oder wider den Willen der verfassungs¬
mäßigen Vertreter des Schleswig-holsteinischen Volkes es unter die preußische oder
irgend eine andre Gewalt beugen will, der versündigt sich an dem Genius
unsrer Nation. Es ist mir ganz gleich, ob dabei ein liberales oder ein re¬
aktionäres Preußen durch seine jeweilige Regierung vertreten wird, ob die
Trauben süß oder sauer sind, es sind nach meinen Gedanken überhaupt gar
keine Trauben, es sind Giftbeeren, zu deren Verschluckung man uns dabei ver¬
führen möchte."

Bei derselben Debatte ließ der Abgeordnete Gneist sich zu der Erklärung
hinreißen: „Diese Reorganisation mit dem Kainszeichen des Eidbruchs an
der Stirn, die reorgunisirte Armee ans dem Boden des Verfassungsbruches
wäre doch sicher eine Armee, die nun und nimmermehr eine dauernde Institution
dieses Landes werden kann, solange eine göttliche Gerechtigkeit über diesem Lande
waltet." Er mußte sich daraus vom Kriegsminister bemerken lassen, daß „seine
Äußerung den Stempel der Überhebung und der Unverschämtheit an der Stirne
trage."

Als sich im Mai 1866 der Streit um Schleswig-Holstein zu einem Kampfe
zwischen Preußen auf der einen und Österreich samt der Mehrzahl der deutschen Klein¬
staaten auf der andern Seite zuzuspitzen begann, war der Landtag Preußens nicht
versammelt, aber die Partei, die in ihm die Jahre daher das Wort geführt hatte,
war bei der Hand, um vom Standpunkte der Demokratie mit möglichst lautem Ge¬
töse gegen einen etwaigen Krieg zu protestieren. In Berlin geschah dies von seiten
der Urwühlerversammlungcn, die immer nach der Parole verfuhren, welche ihnen
aus dem Hauptquartier der Fortschrittler zukam. Versammlungen in allen vier
Wahlbezirken sprachen sich in energischen Resolutionen gegen den Krieg sowie gegen
die Einverleibung der Herzogtümer in Preußen aus. Am kräftigsten drückte sich
dabei die im zweiten Wahlbezirke aus. Dieselbe belehrte Bismarck in folgenden
Sätzen über das, was dermalen Rechtens: „1. Jeder Krieg, der andres bezweckt
als die Verteidigung des Vaterlandes, ist unberechtigt und unsittlich. 2. Preußen
und Osterreich haben durch die gemeinsam vollführte Befreiung Schleswig-


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[0125] Ans dem Schuldbuche der Fortschrittspartei. Duncker u. Co.j jenes Vertrauen fehlt, so fehlt eben diesen Männern das Ver¬ trauen des Volkes, es fehlt ihnen die Macht, in die Gemüter der Nation jene vorwärts treibenden Gedanken zu werfen, die diesen Staat zu dem gemacht haben, was er heute ist. . . Ich glaube nicht, daß die künftige Geschichte den heutigen Ministerpräsidenten unter die wahrhaften Gründer und Förderer des preußischen Staates in der fortschreitenden Entwicklung seiner wirklichen historischen Mission einzeichnen wird. Dazu gehen ihm jene Eigenschaften ab, welche ich mir vorhin zu schildern erlaubt habe." Als im Mai 1865 das Militärgesetz wieder im Abgeordnetenhause be¬ raten wurde, bemerkte der Abgeordnete Simson in Betreff des Gedankens einer Annexion der Herzogtümer an Preußen: „Das ist eine Politik, die ich aus der Tiefe meiner Seele verabscheue. Wer ohne oder wider den Willen der verfassungs¬ mäßigen Vertreter des Schleswig-holsteinischen Volkes es unter die preußische oder irgend eine andre Gewalt beugen will, der versündigt sich an dem Genius unsrer Nation. Es ist mir ganz gleich, ob dabei ein liberales oder ein re¬ aktionäres Preußen durch seine jeweilige Regierung vertreten wird, ob die Trauben süß oder sauer sind, es sind nach meinen Gedanken überhaupt gar keine Trauben, es sind Giftbeeren, zu deren Verschluckung man uns dabei ver¬ führen möchte." Bei derselben Debatte ließ der Abgeordnete Gneist sich zu der Erklärung hinreißen: „Diese Reorganisation mit dem Kainszeichen des Eidbruchs an der Stirn, die reorgunisirte Armee ans dem Boden des Verfassungsbruches wäre doch sicher eine Armee, die nun und nimmermehr eine dauernde Institution dieses Landes werden kann, solange eine göttliche Gerechtigkeit über diesem Lande waltet." Er mußte sich daraus vom Kriegsminister bemerken lassen, daß „seine Äußerung den Stempel der Überhebung und der Unverschämtheit an der Stirne trage." Als sich im Mai 1866 der Streit um Schleswig-Holstein zu einem Kampfe zwischen Preußen auf der einen und Österreich samt der Mehrzahl der deutschen Klein¬ staaten auf der andern Seite zuzuspitzen begann, war der Landtag Preußens nicht versammelt, aber die Partei, die in ihm die Jahre daher das Wort geführt hatte, war bei der Hand, um vom Standpunkte der Demokratie mit möglichst lautem Ge¬ töse gegen einen etwaigen Krieg zu protestieren. In Berlin geschah dies von seiten der Urwühlerversammlungcn, die immer nach der Parole verfuhren, welche ihnen aus dem Hauptquartier der Fortschrittler zukam. Versammlungen in allen vier Wahlbezirken sprachen sich in energischen Resolutionen gegen den Krieg sowie gegen die Einverleibung der Herzogtümer in Preußen aus. Am kräftigsten drückte sich dabei die im zweiten Wahlbezirke aus. Dieselbe belehrte Bismarck in folgenden Sätzen über das, was dermalen Rechtens: „1. Jeder Krieg, der andres bezweckt als die Verteidigung des Vaterlandes, ist unberechtigt und unsittlich. 2. Preußen und Osterreich haben durch die gemeinsam vollführte Befreiung Schleswig-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_153446/125>, abgerufen am 08.09.2024.