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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal.

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Aus dem Schuldbuche der Fortschrittspartei.

der ihm vielleicht aus dieser Frage erwachsen- könnte, nicht siegreich zu Ende
führen würde ohne eine durchgehende Heilung seiner innern Zerwürfnisse."
Dann fuhr er, legitimistifch und demokratisch zugleich fort: "Wer und was ist
denn dieser Herzog von Augustenburg? Er ist der lebendige Ausdruck des
Rechtes und der Zusammengehörigkeit der Herzogtümer. . . Er ist stark in seiner
Ohnmacht, weil die Welt weiß, daß sein Volk ihn begehrt, daß sein Titel zwischen
Elbe und Königsau einstimmig ausgerufen werden würde, sobald, sei es eine
ständische Versammlung, sei es das allgemeine Stimmrecht, über ihn zu
entscheiden hätte. . . So lauge es so steht, wird er sschon wieder apodiktisch-
prophetisch^ unüberwindlich sein, so sicher die Freiheit eines einmütiger und ent¬
schlossenen Volkes unüberwindlich ist. . . Soviel ich weiß, rechnet das schleswig¬
holsteinische Volk zu seinen Rechten in erster Linie als das kostbarste seinen
Anspruch auf die männliche Erbfolge in seinem Fürstentum. Es will nicht
preußisch werden." Schließlich erklärte der Redner, er könne "gerade in dieser
Sache von dem Glauben nicht lassen, daß die gegenwärtigen Verhältnisse nicht
dauern können, daß der Staat Preußen nicht imstande ist, auf die Dauer eine
solche Position zu behaupten und zwischen Elbe und Eider auf die Dauer den
durch das ministerielle Programm angekündigten Selbstmord zu begehen."

Hatte schon der Bonner Professor schweres Geschütz spielen lassen, so fuhr
Virchow, der Berliner Professor, noch schwereres auf. "Die ganze europäische
Lage würde, behauptete er mit der ihm eignen Unfehlbarkeit, sicherer sein, wenn
die Regierung sich dem korrekten Verfahren angeschlossen hätte, welches von einer
Reihe deutscher Mittel- und Kleinstaaten am deutschen Bunde eingeschlagen
wurde. . . Nur zwei Mächte könnten möglicherweise Neigung haben, Einspruch
zu thun, Österreich und Rußland. Und weshalb, meine Herren? Zunächst
deshalb, weil Rußland und Österreich dadurch Preußen niederhalten, weil sie
Prenszen klein machen, weil sie unsre Machtstellung im Norden Europas unter¬
graben würden. Der Herr Ministerpräsident steht allerdings seit alter Zeit in
dem Rufe, daß er wenigstens das russische Bündnis immer verteidigt habe, und
daß er gerade darin das Heil unsrer Zukunft sehe.. . Wenn er es so sehr im
Interesse Preußens hält, die russische Succession in den Herzogtümern zu be¬
schleunigen, den einzigen großen Hafen, den Deutschland im Norden hat, in
russische Hände zu geben, mitten in unser Land hinein an einer Stelle, wo es
am meisten verwundbar ist, einen solchen fremden Keil zu schieben, dann, meine
Herren, werden wir allerdings auch jetzt nicht erwarten können, daß er eine
andre Richtung der Politik einschlage. . . Die Schleswig-holsteinische Bewegung,
die durch Deutschland geht, ist nur ein Symptom des Bedürfnisses der Einigung,
und dieses Bedürfnis verlangt vor allen Dingen, daß Deutschland seine Macht-
stellung uach außen hin zeige. Mögen nun die deutschen Fürsten die Prinzipien
der Legitimität opfern aus Gründen der europäischen Zweckmäßigkeit, mögen
sie deutsche Fürstengeschlechter in die Verbannung führen, weil es den Dänen


Aus dem Schuldbuche der Fortschrittspartei.

der ihm vielleicht aus dieser Frage erwachsen- könnte, nicht siegreich zu Ende
führen würde ohne eine durchgehende Heilung seiner innern Zerwürfnisse."
Dann fuhr er, legitimistifch und demokratisch zugleich fort: „Wer und was ist
denn dieser Herzog von Augustenburg? Er ist der lebendige Ausdruck des
Rechtes und der Zusammengehörigkeit der Herzogtümer. . . Er ist stark in seiner
Ohnmacht, weil die Welt weiß, daß sein Volk ihn begehrt, daß sein Titel zwischen
Elbe und Königsau einstimmig ausgerufen werden würde, sobald, sei es eine
ständische Versammlung, sei es das allgemeine Stimmrecht, über ihn zu
entscheiden hätte. . . So lauge es so steht, wird er sschon wieder apodiktisch-
prophetisch^ unüberwindlich sein, so sicher die Freiheit eines einmütiger und ent¬
schlossenen Volkes unüberwindlich ist. . . Soviel ich weiß, rechnet das schleswig¬
holsteinische Volk zu seinen Rechten in erster Linie als das kostbarste seinen
Anspruch auf die männliche Erbfolge in seinem Fürstentum. Es will nicht
preußisch werden." Schließlich erklärte der Redner, er könne „gerade in dieser
Sache von dem Glauben nicht lassen, daß die gegenwärtigen Verhältnisse nicht
dauern können, daß der Staat Preußen nicht imstande ist, auf die Dauer eine
solche Position zu behaupten und zwischen Elbe und Eider auf die Dauer den
durch das ministerielle Programm angekündigten Selbstmord zu begehen."

Hatte schon der Bonner Professor schweres Geschütz spielen lassen, so fuhr
Virchow, der Berliner Professor, noch schwereres auf. „Die ganze europäische
Lage würde, behauptete er mit der ihm eignen Unfehlbarkeit, sicherer sein, wenn
die Regierung sich dem korrekten Verfahren angeschlossen hätte, welches von einer
Reihe deutscher Mittel- und Kleinstaaten am deutschen Bunde eingeschlagen
wurde. . . Nur zwei Mächte könnten möglicherweise Neigung haben, Einspruch
zu thun, Österreich und Rußland. Und weshalb, meine Herren? Zunächst
deshalb, weil Rußland und Österreich dadurch Preußen niederhalten, weil sie
Prenszen klein machen, weil sie unsre Machtstellung im Norden Europas unter¬
graben würden. Der Herr Ministerpräsident steht allerdings seit alter Zeit in
dem Rufe, daß er wenigstens das russische Bündnis immer verteidigt habe, und
daß er gerade darin das Heil unsrer Zukunft sehe.. . Wenn er es so sehr im
Interesse Preußens hält, die russische Succession in den Herzogtümern zu be¬
schleunigen, den einzigen großen Hafen, den Deutschland im Norden hat, in
russische Hände zu geben, mitten in unser Land hinein an einer Stelle, wo es
am meisten verwundbar ist, einen solchen fremden Keil zu schieben, dann, meine
Herren, werden wir allerdings auch jetzt nicht erwarten können, daß er eine
andre Richtung der Politik einschlage. . . Die Schleswig-holsteinische Bewegung,
die durch Deutschland geht, ist nur ein Symptom des Bedürfnisses der Einigung,
und dieses Bedürfnis verlangt vor allen Dingen, daß Deutschland seine Macht-
stellung uach außen hin zeige. Mögen nun die deutschen Fürsten die Prinzipien
der Legitimität opfern aus Gründen der europäischen Zweckmäßigkeit, mögen
sie deutsche Fürstengeschlechter in die Verbannung führen, weil es den Dänen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_153446/122>, abgerufen am 08.09.2024.