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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal.

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"Lngland und die Madagciskcirfrage.

Gegenteil, die französische Regierung hat in den jüngsten Tagen weniger Ge¬
neigtheit zu einer bessern Gestaltung der kommerziellen Beziehungen zwischen den
beiden Staaten bekundet als früher, und kein Verständiger wird ihr dies ver¬
denken, da in einer Zeit, wo die Hauptmittelpunkte der Fabrikthätigkeit Frank¬
reichs mit ausländischen Erzeugnissen förmlich überschwemmt und die fremden
Märkte jener zum guten Teile verschlossen sind, das entgegengesetzte Verfahren
ein Akt der Großmut wäre, der sich durch nichts rechtfertigen ließe. Ebenfalls
klar ist, daß die französische Kolonialpolitik der öffentlichen Meinung in England
schwere Bedenken einflößt, und daß dies der französischen Presse in hohem Grade
mißfällt. Namentlich die radikalen Blätter führen eine Sprache, die erwarten
läßt, daß ihre Redakteure, wenn sie einmal zu gebieten hätten, was nicht völlig
undenkbar ist, England veranlassen wurden, auf feiner Hut zu sein. Vorläufig
indeß sind es phantastische Übertreibungen, wenn Rocheforts Juli-ÄQLiA"zg.ut sich
in einer zornschnaubenden Philippika über Englands Selbstsucht und Treulosig¬
keit ergeht, doch mag es immerhin im Sinne vieler seiner Landsleute gesprochen
sein und deshalb als Zeichen der Zeit registrirt werden, wenn wir da folgenden
Tiraden begegnen:

"England steht im Begriffe, uns aus Madagaskar zu vertreiben und Por¬
tugal zu einem Streite mit uns über die Mündung des Kongo zu verführen.
Es besitzt bereits drei Viertel von Afrika und hofft den ganzen Erdteil in seine
Hände zu bekommen. Natürlich bedroht uns der verschlagne Gladstone, der
beiläufig so liberal ist, wie Waldeck-Rousseau Republikaner ist, nicht mit einer
Kriegserklärung, wenn wir in Madagaskar bleiben. Ein Krieg mit irgend einer
europäischen Großmacht würde den Verlust von Irland nach sich ziehen. . . .
Wenn unsre Minister imstande wären, an etwas andres zu denken als an die
Verhaftung von Louise Michel, so würden sie begreifen, daß der Krebs, welcher
Frankreich zerfrißt, England ist, daß es uns bei jedem Schritte, den wir thun,
Hindernisse in den Weg legt, und daß wir ein für alle mal diesen werten
Freund los werden müssen, der immer um Gefälligkeiten bittet und sie dann
mit jedem gemeinen Kniffe bezahlt, den er sich nur erdenken kann. Statt Jr-
ländern nachzuspüren und ans der Fährte zu folgen, die sich unsrer Gastlichkeit
anvertraut haben, sollte die Negierung mit allen ihren Kräften und Geldmitteln
die Revolution in Irland ermutige". Es giebt aber uoch einen ander" Auf¬
stand, welcher dem britischen Löwen für immer die Krallen ausziehen würde.
Das ist eine Empörung in Indien, die nnr auf ein Signal wartet, um mit
hundert Millionen Männern gegen ihren und unsern Feind loszubrechen. Hütte
man die Schanzen von Tel El Kebir, die mit einem Bombardement von Sovereigns
genommen wurden, noch einen Monat halten können, so würde das anglvindische
Reich wie ein unterminirtes Gebäude in Stücke zerfallen sein. .. . Die Rebellion
der Hindus, immer im Glimmen, immer ans Gelegenheit lauernd, wird nicht
lauge mehr zu warten brauchen. . . . Der Tag ist vielleicht nicht fern, wo sie


«Lngland und die Madagciskcirfrage.

Gegenteil, die französische Regierung hat in den jüngsten Tagen weniger Ge¬
neigtheit zu einer bessern Gestaltung der kommerziellen Beziehungen zwischen den
beiden Staaten bekundet als früher, und kein Verständiger wird ihr dies ver¬
denken, da in einer Zeit, wo die Hauptmittelpunkte der Fabrikthätigkeit Frank¬
reichs mit ausländischen Erzeugnissen förmlich überschwemmt und die fremden
Märkte jener zum guten Teile verschlossen sind, das entgegengesetzte Verfahren
ein Akt der Großmut wäre, der sich durch nichts rechtfertigen ließe. Ebenfalls
klar ist, daß die französische Kolonialpolitik der öffentlichen Meinung in England
schwere Bedenken einflößt, und daß dies der französischen Presse in hohem Grade
mißfällt. Namentlich die radikalen Blätter führen eine Sprache, die erwarten
läßt, daß ihre Redakteure, wenn sie einmal zu gebieten hätten, was nicht völlig
undenkbar ist, England veranlassen wurden, auf feiner Hut zu sein. Vorläufig
indeß sind es phantastische Übertreibungen, wenn Rocheforts Juli-ÄQLiA«zg.ut sich
in einer zornschnaubenden Philippika über Englands Selbstsucht und Treulosig¬
keit ergeht, doch mag es immerhin im Sinne vieler seiner Landsleute gesprochen
sein und deshalb als Zeichen der Zeit registrirt werden, wenn wir da folgenden
Tiraden begegnen:

„England steht im Begriffe, uns aus Madagaskar zu vertreiben und Por¬
tugal zu einem Streite mit uns über die Mündung des Kongo zu verführen.
Es besitzt bereits drei Viertel von Afrika und hofft den ganzen Erdteil in seine
Hände zu bekommen. Natürlich bedroht uns der verschlagne Gladstone, der
beiläufig so liberal ist, wie Waldeck-Rousseau Republikaner ist, nicht mit einer
Kriegserklärung, wenn wir in Madagaskar bleiben. Ein Krieg mit irgend einer
europäischen Großmacht würde den Verlust von Irland nach sich ziehen. . . .
Wenn unsre Minister imstande wären, an etwas andres zu denken als an die
Verhaftung von Louise Michel, so würden sie begreifen, daß der Krebs, welcher
Frankreich zerfrißt, England ist, daß es uns bei jedem Schritte, den wir thun,
Hindernisse in den Weg legt, und daß wir ein für alle mal diesen werten
Freund los werden müssen, der immer um Gefälligkeiten bittet und sie dann
mit jedem gemeinen Kniffe bezahlt, den er sich nur erdenken kann. Statt Jr-
ländern nachzuspüren und ans der Fährte zu folgen, die sich unsrer Gastlichkeit
anvertraut haben, sollte die Negierung mit allen ihren Kräften und Geldmitteln
die Revolution in Irland ermutige». Es giebt aber uoch einen ander» Auf¬
stand, welcher dem britischen Löwen für immer die Krallen ausziehen würde.
Das ist eine Empörung in Indien, die nnr auf ein Signal wartet, um mit
hundert Millionen Männern gegen ihren und unsern Feind loszubrechen. Hütte
man die Schanzen von Tel El Kebir, die mit einem Bombardement von Sovereigns
genommen wurden, noch einen Monat halten können, so würde das anglvindische
Reich wie ein unterminirtes Gebäude in Stücke zerfallen sein. .. . Die Rebellion
der Hindus, immer im Glimmen, immer ans Gelegenheit lauernd, wird nicht
lauge mehr zu warten brauchen. . . . Der Tag ist vielleicht nicht fern, wo sie


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[0066] «Lngland und die Madagciskcirfrage. Gegenteil, die französische Regierung hat in den jüngsten Tagen weniger Ge¬ neigtheit zu einer bessern Gestaltung der kommerziellen Beziehungen zwischen den beiden Staaten bekundet als früher, und kein Verständiger wird ihr dies ver¬ denken, da in einer Zeit, wo die Hauptmittelpunkte der Fabrikthätigkeit Frank¬ reichs mit ausländischen Erzeugnissen förmlich überschwemmt und die fremden Märkte jener zum guten Teile verschlossen sind, das entgegengesetzte Verfahren ein Akt der Großmut wäre, der sich durch nichts rechtfertigen ließe. Ebenfalls klar ist, daß die französische Kolonialpolitik der öffentlichen Meinung in England schwere Bedenken einflößt, und daß dies der französischen Presse in hohem Grade mißfällt. Namentlich die radikalen Blätter führen eine Sprache, die erwarten läßt, daß ihre Redakteure, wenn sie einmal zu gebieten hätten, was nicht völlig undenkbar ist, England veranlassen wurden, auf feiner Hut zu sein. Vorläufig indeß sind es phantastische Übertreibungen, wenn Rocheforts Juli-ÄQLiA«zg.ut sich in einer zornschnaubenden Philippika über Englands Selbstsucht und Treulosig¬ keit ergeht, doch mag es immerhin im Sinne vieler seiner Landsleute gesprochen sein und deshalb als Zeichen der Zeit registrirt werden, wenn wir da folgenden Tiraden begegnen: „England steht im Begriffe, uns aus Madagaskar zu vertreiben und Por¬ tugal zu einem Streite mit uns über die Mündung des Kongo zu verführen. Es besitzt bereits drei Viertel von Afrika und hofft den ganzen Erdteil in seine Hände zu bekommen. Natürlich bedroht uns der verschlagne Gladstone, der beiläufig so liberal ist, wie Waldeck-Rousseau Republikaner ist, nicht mit einer Kriegserklärung, wenn wir in Madagaskar bleiben. Ein Krieg mit irgend einer europäischen Großmacht würde den Verlust von Irland nach sich ziehen. . . . Wenn unsre Minister imstande wären, an etwas andres zu denken als an die Verhaftung von Louise Michel, so würden sie begreifen, daß der Krebs, welcher Frankreich zerfrißt, England ist, daß es uns bei jedem Schritte, den wir thun, Hindernisse in den Weg legt, und daß wir ein für alle mal diesen werten Freund los werden müssen, der immer um Gefälligkeiten bittet und sie dann mit jedem gemeinen Kniffe bezahlt, den er sich nur erdenken kann. Statt Jr- ländern nachzuspüren und ans der Fährte zu folgen, die sich unsrer Gastlichkeit anvertraut haben, sollte die Negierung mit allen ihren Kräften und Geldmitteln die Revolution in Irland ermutige». Es giebt aber uoch einen ander» Auf¬ stand, welcher dem britischen Löwen für immer die Krallen ausziehen würde. Das ist eine Empörung in Indien, die nnr auf ein Signal wartet, um mit hundert Millionen Männern gegen ihren und unsern Feind loszubrechen. Hütte man die Schanzen von Tel El Kebir, die mit einem Bombardement von Sovereigns genommen wurden, noch einen Monat halten können, so würde das anglvindische Reich wie ein unterminirtes Gebäude in Stücke zerfallen sein. .. . Die Rebellion der Hindus, immer im Glimmen, immer ans Gelegenheit lauernd, wird nicht lauge mehr zu warten brauchen. . . . Der Tag ist vielleicht nicht fern, wo sie

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_152756/66>, abgerufen am 03.07.2024.